Tattoo und Krebsrisiko:Über und über tätowiert

Neun Prozent aller Deutschen sind tätowiert. In den USA ist es jeder Vierte. Ist allen bewusst, dass einige der Tätowierfarben als krebserregend gelten?

Susanne Klaiber

Tattoos gehen unter die Haut. Technisch, weil Nadeln mehrere tausend Mal pro Minute Farbe in die mittlere Hautschicht, die Dermis, pieken. Emotional, weil die Schriften und Bilder oft an Existentielles rühren: Männer tragen den Namen der Freundin, koptische Christen zeigen mit dem Kreuz ihre Religionszugehörigkeit, japanische Yakuza demonstrieren, dass sie Mitglieder der Bande sind. Auch als Schmuck werden Tattoos immer beliebter.

Tattoo, Reuters

Inhaltsstoffe für Tattoo-Farben brauchen noch immer keine Zulassung. Manche von ihnen gelten als krebserregend.

(Foto: Foto: Reuters)

Neun Prozent aller Deutschen sind Schätzungen zufolge inzwischen tätowiert, in den USA soll es jeder Vierte sein.

Was nur wenige Anhänger des Trends wissen: Die Tätowierfarben gehen nicht nur unter die Haut, sie verteilen sich von dort auch im ganzen Körper. "Einige der Stoffe sind giftig oder krebserregend", sagt Michael Landthaler, Chef der Dermatologie am Uniklinikum Regensburg. Er gilt als einer der wenigen deutschen Experten auf diesem Gebiet.

Zwar gibt es seit einem Jahr eine Verordnung, die als besonders kritisch eingestufte Farbpigmente für Tattoofarben und Permanent-Make-up verbietet. Aber sie geht dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nicht weit genug.

"Es ist nach wie vor so, dass die Inhaltsstoffe keine Zulassung brauchen", sagt Renate Krätke, Leiterin der BfR-Kommission für kosmetische Mittel. Das heißt: Es können immer noch Farbpigmente und Konservierungsstoffe in Tattoo-Farben landen, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht erwiesen ist.

In Tattoos konnte alles landen - auch Autolacke

Vor Inkrafttreten der Verordnung war die Situation noch extremer: "Es gab zwar schon immer verantwortungsbewusste Hersteller", sagt Krätke. Aber bei Produzenten, die sich nicht um solche Überlegungen scherten, konnte in den Tattoos so ziemlich alles landen, was genug Farbkraft hatte - auch wenn es für andere Zwecke gedacht war, zum Beispiel für Autolacke.

Paradox, denn die Inhaltsstoffe für Kosmetikprodukte wie Cremes, die nur oberflächlich verwendet werden, sind seit Jahren der europäischen Kosmetik-Richtlinie und der deutschen Kosmetik-Verordnung unterworfen. Demnach sind bestimmte Zusätze prinzipiell verboten, und Farbstoffe dürfen nur verwendet werden, wenn sie in der Verordnung aufgelistet sind.

Die im Körper angewendeten Tattoo-Farben hingegen unterstehen erst seit 2005 einer verbindlichen Regelung, dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetz (LFGB). Das verbietet aber keine Substanzen, sondern bestimmt nur allgemein, dass verwendete Stoffe nicht die Gesundheit schädigen dürfen.

Konkrete Verbote durch Tätowiermittel-Verordnung

Erst mit der Tätowiermittel-Verordnung gibt es konkrete Verbote. Darunter fallen etwa Azofarbstoffe, die sich durch Sonnenlicht oder die versuchte Tattoo-Entfernung per Laser in krebserregende aromatische Amine spalten lassen.

Aufgrund der neuen Regelung müssen die Hersteller außerdem die Inhaltsstoffe der Tattoo-Farben angeben. Gängig sind Ruß für Schwarz und Eisenoxide für Rot und Gelb.

"Man weiß nicht, was die Pigmente unter der Haut machen", sagt Krätke vom BfR. Deshalb fordert das Institut, die bestehende Negativliste um eine Positivliste unbedenklicher Stoffe zu ergänzen. Dazu müsste man erfassen, welche Pigmente, Konservierungsmittel und Verunreinigungen in Farben für Tattoos und Permanent-Make-up enthalten sind.

Diese Stoffe müssten getestet werden, ob sie stabil gegenüber UV-Licht und Bakterien sind, ob sie die Haut reizen und das Erbgut von Zellen verändern. Für die Zulassung sollten sie mindestens die Anforderungen für Kosmetika erfüllen - beim Tätowieren wird anders als beim Eincremen die Haut als Schutz umgangen.

Erschreckende Ergebnisse in der Schweiz

Dermatologe Christian Raulin von der Laserklinik Karlsruhe sieht mit der neuen Verordnung zwar "den größten Schaden abgewendet". Inwieweit diese befolgt würde, sei aber unklar. Es gibt keine Statistiken dazu, denn die Kontrolle ist Sache der örtlichen Gesundheitsämter.

In der Schweiz, wo es seit 2008 Vorschriften zur Zusammensetzung und Kennzeichnung von Tattoofarben gibt, hat das Bundesamt für Gesundheit deren Einhaltung überprüft - mit erschreckendem Ergebnis.

Von 152 Proben durften 41 Prozent wegen gesundheitsgefährdender Mängel ab sofort nicht mehr benutzt werden, die meisten enthielten verbotene Substanzen. Bei 68 Prozent beanstandeten die Kontrolleure die mangelnde Deklaration der Inhaltsstoffe.

Inzwischen erwägen mehrere Staaten, Tattoo-Inhaltsstoffe stärker zu reglementieren. Doch die Gesetzgeber stehen vor einem Problem: Es gibt kaum Forschung dazu. Die Wissenschaftler wissen nicht, ob in Tattoos verwendete Pigmente tatsächlich die Ursache von Krebserkrankungen sind.

Laserspezialist Raulin und seine Kollegen schrieben Ende 2009 im Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology, dass in der Literatur viele Hautveränderungen im Zusammenhang mit Tattoo-Pigmenten geschildert würden, darunter Vergrößerungen der Lymphknoten.

Das Gesundheitsrisiko ist unklar

Landthaler hat beobachtet, dass "es zunehmend Berichte über schwarzen und weißen Hautkrebs in Tätowierungen" gibt, in 30 bis 40 Publikationen seien Fälle beschrieben. Das sei aber kein Beweis dafür, dass die Farben die Ursache dafür seien. "Bisher weiß man darüber noch zu wenig."

Sicher ist nur, dass die Farben nicht nur im Tattoo bleiben, sondern sich im Körper verteilen. Landthaler schätzt, dass innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Stechen des Tattoos etwa 30 Prozent des Farbstoffs über das Lymphsystem abtransportiert werden.

Mediziner haben die Tattoo-Pigmente bereits in den Lymphknoten von Tätowierten nachgewiesen. Landthaler ist sich außerdem sicher, dass die Pigmente nicht nur in den Lymphknoten landen, sondern "überall im Körper, in Leber, Hirn und Nieren zum Beispiel".

Ob dies ein gesundheitliches Risiko darstellt, ist nicht klar - außer, der Patient leidet unter einer Allergie gegen die Farbstoffe. Dann kann es laut Raulin durch die weiträumige Verteilung der Farbstoffe zu quälendem und nicht therapierbarem Juckreiz kommen.

Außerdem stellen die Pigmente seiner Ansicht nach eine diagnostische Herausforderung dar, weil sie in den Lymphknoten nicht von den Metastasen des schwarzen Hautkrebses zu unterscheiden seien.

Online-Umfrage unter 3400 Tätowierten

Landthaler und der Physiker Wolfgang Bäumler von der Universität Regensburg haben ermittelt, dass auf einem Quadratzentimeter tätowierter Haut 2,25 Milligramm Pigment verwendet wird. Eine Online-Umfrage der Forscher unter 3400 deutschsprachigen Tätowierten ergab, dass sich ein Drittel von ihnen mehr als 900 Quadratzentimeter Haut hatte tätowieren lassen, das entspricht der Fläche eines rundherum tätowierten Männerarms.

Bei dieser Größe würden mehr als zwei Gramm Pigmente in die Haut eingebracht. "Alarmierend" finden das die Autoren angesichts der möglichen Inhaltsstoffe.

Vielen Tätowierten scheint die mögliche Gefahr durch ihren Körperschmuck nicht bewusst zu sein. Der Umfrage nach hielt ein Drittel der Befragten die Farben für sicher, allerdings hegten 65 Prozent Skepsis gegenüber den Pigmenten in ihren Tattoos.

Landthaler und Raulin raten aufgrund der bisherigen Erkenntnisse generell davon ab, sich tätowieren zu lassen. Nicht nur weil die umstrittenen Inhaltsstoffe der Tattoo-Tinten Risiken bergen. Beim Stechen unter mangelhaften hygienischen Bedingungen ist auch die Übertragung von Krankheiten wie Hepatitis möglich.

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