Tamiflu und die Pharmaindustrie:Gebt endlich alles raus!

Nach dem Tamiflu-Skandal: Europäische Kontrollbehörden fordern den freien Zugang zu allen Studiendaten. Wenn diese geheim bleiben, sind Patienten in Gefahr: Übertreibungen zu neuen Therapien und Tests sind Tür und Tor geöffnet; gefährliche Nebenwirkungen bleiben womöglich verborgen.

Werner Bartens

Kontrollbehörden wollen verhindern, dass weiterhin Forschungsergebnisse zurückgehalten werden wie im Fall des Grippemittels Tamiflu (SZ, 11. April). Im Fachblatt PLoS Medicine (online) fordern führende Mitglieder europäischer Gesundheitsbehörden einen neuen Umgang mit Medizin-Studien.

"Klinische Daten sollten nicht als vertrauliche Informationen der Hersteller verstanden werden", betonen Autoren um Hans-Georg Eichler von der Europäischen Arzneimittelagentur Ema. "Wir halten es weder für wünschenswert noch für realistisch, den Status quo mit einem begrenzten Zugang zu Studiendaten beizubehalten."

Neben Eichler haben Fachleute französischer, britischer und niederländischer Medizinbehörden den Artikel verfasst. Zwar müsse der Schutz persönlicher Daten und die Qualität der Auswertung gewährleistet sein, wenn alle Informationen aus klinischen Studien freigegeben würden. Ansonsten sei aber unbestritten, "dass in einer offenen Gesellschaft weder Industrie noch Sponsoren oder Behörden das Monopol auf Daten" hätten.

"Das ist ein wichtiger Schritt", sagt Peter Doshi, der gezeigt hat, wie Roche einen Großteil der Daten zu Tamiflu mit immer neuen Ausreden zurückgehalten hat und der Nutzen des Medikaments vermutlich massiv übertrieben wurde. "Meines Wissens gibt es damit erstmals ein öffentliches Bekenntnis von Seiten der Regulationsbehörden, dass klinische Studiendaten nicht Geheimbesitz der Hersteller sind."

Bleiben Daten geheim, sind Patienten in Gefahr: Übertreibungen zu neuen Therapien und Tests sind Tür und Tor geöffnet; gefährliche Nebenwirkungen bleiben womöglich verborgen.

In den USA plant die Arzneibehörde FDA einen Passus in der Patientenaufklärung, wonach Teilnehmern einer Studie mitzuteilen ist, wo diese registriert wurde. "Schließlich erklären sich viele Menschen zu klinischen Studien bereit, weil sie die Medizin voranbringen wollen", sagt Doshi. "Bleiben Daten unter Verschluss, unterminiert das dieses gemeinnützige Verhalten." Mit dem neuen Passus werden juristische Schritte möglich, sollten Studien verheimlicht werden.

Die Wissenschaftsgemeinde braucht Studienunterlagen zur gründlichen Prüfung", sagt Eichler. Mitglieder der unabhängigen Cochrane-Collaboration haben es erlebt, dass Zugang versprochen, aber nicht gewährt wurde.

Bei einer Pharmafirma waren Ordner mit Aufklebern versehen, hauseigene Forscher wachten darüber, dass nur grün markierte Akten geöffnet wurden, erinnert sich Jos Kleijnen, ehemaliger Leiter des niederländischen Cochrane-Zentrums.

"Wirkliche Fortschritte zum Nutzen der Patienten kann es nur geben, wenn sich alle Beteiligten nicht nur zur Transparenz bekennen, sondern sie auch praktizieren", sagt Gerd Antes, der das Deutsche Cochrane-Zentrum leitet.

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