Tagebuch einer Ebola-Helferin:Blutproben im Akkord

Ebola in Guinea

Mitarbeiter des Roten Kreuzes desinfizieren sich und ihre Ausrüstung bei Guéckédou in Guinea.

(Foto: Kristin Palitza/dpa)

Die junge Wissenschaftlerin Lisa Östereich war im westafrikanischen Guinea, um im Kampf gegen Ebola zu helfen. Ihre Erlebnisse hat sie für die SZ in Tagebüchern dokumentiert. Die Protokolle zeugen von der Panik der Einheimischen - und der Angst der Helfer, selbst zum Ebola-"Contact" zu werden.

Von Lisa Östereich 

Vor einigen Wochen ist Lisa Östereich, Doktorandin im Bereich der Virologie am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, im Rahmen des europäischen Projekts "European Mobile Laboratory for the detection of Pathogens up to risk group 4" nach Guinea gereist, um dort mit weiteren europäischen Wissenschaftlern die Ebola-Diagnostik zu unterstützen. Ihre Aufgabe war es, Blutproben aus nahe gelegenen Behandlungszentren der Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) mithilfe molekularbiologischer Methoden (PCR) zu untersuchen. Diese Diagnostik ist unabdingbar, um Verdachtsfälle zu klären sowie über die Entlassung von Ebola-Überlebenden zu entscheiden. Der Süddeutschen Zeitung stellte die Virologin Auszüge ihres Tagebuchs zur Verfügung.

Tag 1, Hamburg

So, jetzt geht es endlich los. Nach drei Tagen Packen bin ich um 6 Uhr eingecheckt und fertig zum Abflug. Im Gepäck unter anderem drei Laptops und genug PCR-Kits für drei Wochen.

Tag 2, Conakry

Ins Land einzureisen, ging mit dem magischen WHO-Brief kinderleicht, und nach Gelbfieber oder Ähnlichem hat erst gar keiner gefragt.

Wetter: 25 Grad und Regen.

Habe unser Security Briefing erhalten. In Meeting mit WHO, MSF, CDC (Weltgesundheitsorganisation, Ärzte ohne Grenzen und US-Seuchenschutzbehörde) und allen anderen Beteiligten gesessen. Die tagesaktuellen Fallzahlen zu hören, ist schon sehr erschreckend, besonders wenn man die Kapazität der Krankenhäuser kennt.

Tag 3, Guéckédou

Die Fahrt nach Guéckédou ging um 6 Uhr morgens los. Das Flugzeug sah aus, als wäre es mindestens 30 Jahre alt. 20 Personen inklusive Pilot und Copilot. Das Spannendste war, dass alle Passagiere eine P3-Atemmaske bekommen haben, bevor sie ins Flugzeug durften. Ein ganzes Flugzeug mit Leuten in P3-Masken ist schon ein tolles Bild. Auf Rückweg, okay, aber P3-Masken auf dem Hinweg? Na gut, 1½ Stunden in P3-Maske im Flugzeug . . .

Die Straße war dann noch viel schlimmer als erwartet. Schlagloch trifft es schon gar nicht mehr. Besonders schlimm ist es in Guéckédou selber. Der Weg rauf ist ziemlich steil, und selbst mit Allradantrieb ist der Jeep von einer Seite zur anderen geschlingert. Ich will nicht wissen, wie das bei starkem Regen und mit einem normalen Auto gehen soll. Der MSF-Krankenwagen fährt hier anscheinend auch rauf. Die armen, armen Kranken.

Das Hotel ist nett. Strom gibt es zwar nur abends, wenn es dunkel ist, aber wir sind tagsüber wohl sowieso nicht oft dort.

Der erste Tag Labor. Die ersten Proben sind gegen 10.30 Uhr eingetroffen. Am Anfang musste ich mich so auf das Arbeiten konzentrieren, dass es gar nicht so richtig gesackt ist, dass ich hier gerade mit Ebola-Proben von realen Menschen arbeite. Nach dem Mittagessen war dann alles plötzlich real. Die Proben waren jetzt nicht mehr Trainingsröhrchen, sondern von realen, kranken Menschen auf der Isolierstation. Jetzt ist der ganze Ausbruch direkt vor der Tür. Geschichten von infizierten Ärzten oder Krankenschwestern betreffen einen jetzt direkt.

Tagebuch einer Ebola-Helferin: Die Virologin Lisa Östereich arbeitet am Bernhard-Nocht-Institut an ihrer Doktorarbeit. Im Ebolagebiet von Guinea half sie bei Blutproben-Diagnosen.

Die Virologin Lisa Östereich arbeitet am Bernhard-Nocht-Institut an ihrer Doktorarbeit. Im Ebolagebiet von Guinea half sie bei Blutproben-Diagnosen.

(Foto: privat)

Das Labor: eine Küche, ein Raum für den Cycler (die PCR-Maschine), ein Büro, ein Laborraum und ein Lager sowie der Mastermix-Raum. Insgesamt relativ viel Platz und ganz gut strukturiert.

Am Morgen sind unsere Vorgänger gekommen, um ihren ganzen Kram einzupacken. Sie haben sehr deutlich gemacht, wie sehr sie hier nur noch wegwollen. Wir hatten dann den Rest des Tages so viel zu tun, dass ich keine Zeit mehr hatte, darüber nachzudenken, dass wir drei jetzt alleine in einem Ebola-Ausbruch stecken und für die nächsten drei Wochen nicht rauskommen.

Tag 7

Ich fange jetzt schon an, erschöpft zu sein. Aber wenigstens schlafe ich gut. Bis zum Nachmittag hatten sich über 50 Proben angesammelt. Essen erst um 11 Uhr abends, und keine Chance, mal etwas zu machen, das nicht Laborarbeit ist. Man sitzt vormittags stundenlang rum und wartet auf Proben, der Rest des Tages ist ein Wettlauf gegen die Uhr, den man in jedem Fall verliert, weil der Tag einfach nicht genug Stunden hat.

Tag 8

Sonntage sind angeblich die ruhigen Tage. Wir haben die Handschuhe an der Glovebox (sterile Kiste mit Plastikhandschuhen zum Hineingreifen) gewechselt. Ich hätte erwartet, dass mich dieser Schritt mehr mitnehmen würde, aber irgendwie hat sich keine Nervosität eingestellt.

Wir hatten abends einen neuen Fahrer, der grade erst aus Conakry gekommen ist und den Weg zum Hotel scheinbar noch nicht kannte. So wurde es eine Stadtrundfahrt. Es war 21 Uhr und komplett dunkel draußen, aber total viele Menschen auf der Straße. Irgendwie irreal, wenn man sich klarmacht, dass man sich in der Quarantänezone befindet.

Tag 9

So, schon über eine Woche in Guinea und ich habe jegliches Gefühl für Zeit verloren. Jeder Tag exakt wie der andere.

Wir sind im Labor sehr viel schneller geworden, was dafür sorgt, dass der ganze Tag entspannter abläuft. Meine Kollegin X arbeitet am liebsten an der Glovebox, und von mir aus soll sie das gerne machen. Extraktion kann ich genauso machen, und so kommen wir uns nicht in die Quere. Wir haben festgestellt, dass wir alle einen sehr ähnlichen Musikgeschmack haben. X und ich hören beide stundenlang Coldplay, wenn wir uns an der Arbeit konzentrieren müssen. Ich bin abends zur Isolationsstation gegangen, um MSF die PCR-Ergebnisse zu bringen. Eine absolut phänomenale Leistung, so ein gut organisiertes Lager unter diesen Umständen aufzubauen. Jeden Tag Proben von ganzen Familien in der Hand zu haben und zu sehen, dass sie alle positiv sind, macht die Sache für mich real genug. Ich muss dazu keine sterbenden Menschen in einem Krankenhaus sehen.

Habe mir wohl irgendwo einen Magen-Darm-Keim eingefangen und jetzt erst mal schön Durchfall. Ist echt super, wenn man weiß, dass man für den Rest des Tages nur den Baum hinterm Haus als Toilette hat.

Wenn Helfer in den Hinterhalt geraten

Tag 11

Eine der Proben war schlimmerweise ein Baby, das sich als positiv herausgestellt hat. So was schlägt ziemlich auf die Stimmung.

Neue Proben vom Roten Kreuz. Die Armen haben die doch sehr undankbare Aufgabe, Leichen einzusammeln und uns Proben zu schicken. Sie haben erzählt, dass sie immer wieder Leichen finden, die offensichtlich von jemandem dort abgelegt worden sind. Komplett unvorstellbar, dass in Deutschland Angehörige die Leichen von verstorbenen Verwandten einfach irgendwo im Wald abladen. Es gibt einem einen kleinen Einblick, wie sehr die Menschen fürchten, mit Ebola-Infizierten in Verbindung gebracht zu werden.

Von MSF/WHO haben wir dann auch noch erfahren, dass eine Probe jetzt doch nicht mehr kommt, da Leute aus der Gegend den Transport angegriffen haben. Es wurden daraufhin viele Leute verhaftet, jetzt droht aber eine Attacke, um die Verhaftungen zu rächen. Aus einem medizinischen Transport ist somit eine Evakuierung des MSF/WHO-Personals geworden. Anscheinend ist das in einigen Regionen um Macenta wohl noch schlimmer. Obwohl in Macenta im Moment der guineische Hotspot ist, werden immer wieder MSF- und WHO-Leute mit Steinen angegriffen, und bestimmte Dörfer sind komplett unerreichbar, obwohl es dort immer vermehrter Fälle gibt. Es ist also tatsächlich eine schon fast abergläubische Angst, dass jeder der mit MSF/WHO assoziiert wird, "böse" ist.

Die zweite schlechte Nachricht des Tages war, dass nun schon zum zweiten Mal eine Person aus Macenta, die hochgradig infiziert war, mit dem Bus bis Conakry gefahren ist. Alle ca. 60 Insassen des Busses sind jetzt also contacts. Prost Mahlzeit! Erschreckend, dass Leute, die so krank sind, dass sie beim Aussteigen in Conakry sofort abgefangen werden, überhaupt in einen Bus einsteigen, wissend, dass sie damit den ganzen Bus zu contacts machen. Vermutlich ist ihnen das Schicksal der anderen Passagiere einfach total egal. Das führt einem vor Augen, wie schnell ich hier selber zu einem contact werden könnte.

Tag 18

Kaum zu glauben, dass ich jetzt die Tage an zwei Händen abzählen kann, bis ich wieder im Flieger nach Deutschland sitze. Im Labor ist der Tag normal abgelaufen. X und ich waren zusammen an der Glovebox, und zwei andere haben die Extraktion und PCR gemacht. Nachmittags haben wir dann getauscht.

Wetter: Gut, 27 Grad, wenig Regen

Stimmung: sehr gut

PS: X hat abends seinen Miniprojektor angeworfen und einen Film geschaut. Ich war aber zu müde.

Tag 20

Das Behandlungszentrum ist gnadenlos überlastet mit den Dutzenden Verdachtsfällen aus Macenta pro Tag. Sie haben so wenige freie Betten, dass sie Leute draußen warten lassen oder wieder wegschicken mussten.

Nach dem Mittagessen haben wir auf die erste Macenta-Lieferung gewartet. Statt der Proben kam die Nachricht, dass alles WHO-, CDC-, Rotes-Kreuz- und MSF-Personal aus Macenta evakuiert wurde, da die Sicherheitslage so schlimm geworden ist. Ganz Nzérékoré und Macenta lassen keine Hilfsorganisationen mehr an sich ran. Wenn man dabei sieht, dass jeden Tag Dutzende Menschen alleine in Macenta sterben und 80 Prozent der Proben, die wir aus Macenta bekommen, positiv sind . . .

Zurück im Labor gab es die üble Nachricht, dass eine der Proben, die wir am Vormittag zum Testen bekommen hatten, von einem MSF-Mitarbeiter war und sich als hochgradig positiv herausgestellt hat. Das ist jetzt schon die dritte Person von MSF, die sich infiziert hat, seit wir hier sind.

Beim Essen hat Y erzählt, dass er einen verzweifelten Anruf von einem Freund bekommen hat, der in der Gegend von Nzérékoré lebt. In seinem Dorf sind über 80 Menschen in den letzten Tagen gestorben. Das Dorf gehört aber zu denen, die MSF und WHO etc. komplett ablehnen und ihnen jeden Zutritt verweigern. So gibt es keine Chance, den Ausbruch irgendwann unter Kontrolle zu bekommen.

Stimmung: War anfangs gut, wurde dann genervter, ziemlich deprimiert und pessimistisch.

Tag 22

Bewohner eines Dorfes hatten das Rote Kreuz wegen zwei Toten angerufen, und zwei Freiwillige vom RC (Rotes Kreuz) sind gekommen, um die Leichen zu sichern. Das Ganze hat sich dann als Hinterhalt herausgestellt. Gott sei Dank war eine kleine Militärabordnung in dem Dorf stationiert, die eingegriffen hat. Ich kann verstehen, dass WHO und RC jetzt sagen, dass sie dort unter diesen Umständen einfach nicht helfen können. Die Vorstellung aber, dass eine ganze Gegend so groß wie Hessen sich selbst überlassen wird, ist furchtbar. Ohne Diagnostik, Isolationsstationen und sichere Begräbnisse haben die Menschen keine Chance gegen Ebola.

Unser Nachfolgerteam ist in Conakry gelandet.

Tag 23

Morgen Nachmittag beginnt die Übergabe mit dem neuen Team. Ich glaube, ich werde vieles vermissen. Besonders das Gefühl, wirklich nur eine Aufgabe zu haben.

Als wir im Labor angekommen sind, war auf der angrenzenden Grünfläche ein Trupp aus ca. 20 Männern versammelt. MSF erweitert seine Isolationsstation und wird jetzt wieder unser direkter Nachbar. Jippi . . . Na ja, X meinte, dass ein hoher Zaun zwischen uns und die Station kommen soll und dass zumindest keine "echten" Ebolapatienten dort untergebracht werden sollen. Mal schauen, wie sich das so weiter entwickelt.

Abends stand schon der Anfang des Zauns und ein grobes Gerüst von einem Zelt. Absolut unglaublich, mit welchem Tempo eine MSF-Zeltstadt errichtet werden kann. Wir müssen ab jetzt gut darauf achten, dass das Tor zu unserem "Garten" geschlossen ist. Zwei Leute standen heute Mittag schon vor mir und haben mir in krausem Französisch versucht zu erklären, dass ich ihre Temperatur messen soll. X hat daraufhin erst mal ein großes "Biohazard"-Schild am Zaun angebracht.

Unser Nachfolgerteam musste wegen Regen an einem anderen Flughafen landen und war nach der Autofahrt durch Forrest Guinea ziemlich fertig mit den Nerven.

Tag 25

Heute hat offiziell die Übergabe mit dem neuen Team angefangen. Ein sehr seltsames Gefühl, jetzt den Neuen das Ruder zu überlassen. Ich würde am liebsten dauernd eingreifen und ihnen Tipps geben.

Stimmung: Erschöpft und doch froh, dass unser Part vorbei ist.

Langsam ist es Zeit, dass wir nach Hause kommen. Wir haben grade zum "Mittagessen" Fertig-Erbsenpüree mit kaltem Sauerkraut gegessen. Ich würde echt töten für ein Graubrot mit Butter und Käse.

Nachmittags haben ich den MSF-Mitarbeiter kennengelernt, der sich letzte Woche als Ebola-positiv herausgestellt hat. Er hat glücklicherweise überlebt und war total gut drauf.

Über Kissidougou ging es nach Conacry. X hat entschieden, dass wir die Nacht im einzigen 5-Sterne-Hotel von Conakry verbringen. Die Dusche hat definitiv zu den besten meines Lebens gehört. Erschreckend aber, wie braun Wasser und Handtuch nachher waren.

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