Tabakrichtlinie:Schock auf der Schachtel

Nun prangen auch in Deutschland Gruselbilder auf deutschen Zigarettenschachteln. Furchtbar? Das kommt auf die Perspektive an.

Von Berit Uhlmann

Nun wird auch auf deutschen Zigarettenschachteln gefault, gelitten, gestorben. Die abschreckenden Fotos sind die offensichtlichste Neuerung der EU-Tabakrichtlinie, die am 20. Mai in Kraft tritt. Was Sie über die Fotos wissen sollten.

Schockfotos sind in vielen Ländern längst Standard

Kanada hat bereits 2001 Bilder von krebszerfressenen Lungen auf die Zigarettenboxen drucken lassen. Anfangs noch ungläubig bestaunt, hat sich diese Praxis bis 2014 in 65 Staaten durchgesetzt. Ende dieses Jahres werden aller Voraussicht nach mindestens 94 Länder - und damit fast die Hälfte aller WHO-Mitgliedsstaaten - Rauchern die Folgen ihrer Sucht drastisch vor Augen führen.

Neue Schachteln könnten verspätet eingeführt werden

Es ist gut möglich, dass die unschönen Schachteln nicht sofort in deutschen Läden stehen. Denn alle Zigaretten, die vor Inkrafttreten der Richtlinie hergestellt werden, dürfen noch in den herkömmlichen Verpackungen verkauft werden. Die Konzerne haben nun offenbar die Produktion hochgefahren, um noch eine Zeit lang aus den alten Beständen schöpfen zu können. Erkennbar ist die Entwicklung an den Steueranmeldungen der Hersteller, die im ersten Quartal 2016 deutlich anstiegen.

Lobbyismus und Zugeständnisse an die Industrie

Während Länder wie Thailand, Australien und Uruguay fast die gesamte Schachtel mit grafischen Warnhinweisen bedecken, wurde in der EU um jeden Millimeter Fotogröße gefeilscht. Nun müssen die Bilder 65 Prozent der Schachtel einnehmen, ursprünglich wollte die EU-Kommission 75 Prozent der Fläche mit Fotos versehen.

Das Schrumpfen der Bilder ist nicht der einzige Punkt, an dem die Politik einknickte. In drei von fünf Kernfragen zum Zigarettenverkauf handelte Big Tobacco Zugeständnisse aus.

Dass die Pläne sukzessive aufgeweicht wurden, ist nicht verwunderlich, meinen britische Forscher, die Dokumente der Tabakindustrie ausgewertet haben: Allein Philip Morris beschäftigte 160 Lobbyisten und gab 1,25 Millionen Euro aus, um die Verhandlungen über die Tabakrichtlinie mitzubestimmen.

Wirken die Fotos?

Ja, man kann ein stylisches Etui über die Gruselbilder ziehen. Doch es wird genug Plätze geben, an dem Menschen nicht um den Anblick der Tabakopfer umhinkommen. Etliche Studien zeigen, dass die grafischen Botschaften deutlicher wahrgenommen werden und eine stärkere emotionale Reaktion hervorrufen als die bisher üblichen Text-Warnungen. Bis zu 60 Prozent der Raucher sagen Studien zufolge, dass die Bilder bei ihnen den Wunsch auslösten, aufzuhören. Allerdings ist nur schwer abzuschätzen, wie viele Menschen tatsächlich allein der Fotos wegen zu Nichtrauchern werden oder gar nicht erst mit dem Qualmen anfangen. Unsicher ist auch, ob der Effekt in allen Ländern gleich stark auftritt und wie lange er anhält.

Auf jeden Fall haben die Staaten, die die Fotos als Erste einführten und auch sonst eine strikte Anti-Rauch-Politik verfolgen, niedrige Raucherquoten: In Kanada, Brasilien, Singapur, Thailand und Venezuela sind nur zwischen zwölf und 17 Prozent der Erwachsenen nikotinabhängig. In Deutschland brauchen 21 Prozent ihre täglichen Zigaretten. Zudem ist die Quote der Gelegenheitsraucher mit sechs Prozent vergleichsweise hoch.

Deutschland liegt im Nichtraucherschutz weit hinten

Regelmäßig veröffentlichen die europäischen Krebsgesellschaften ein Ranking der EU-Länder mit dem stärksten Nichtraucherschutz. In der jüngsten Ausgabe der Tobacco Control Scale von 2013 belegt Deutschland den vorletzten Platz - knapp vor Österreich. Besonders negativ fällt die Bundesrepublik mit ihren laxen Werbeverboten auf. Nur in Bulgarien und Deutschland darf die Tabakindustrie noch immer auf großen Plakatwänden werben. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) kündigte vor Kurzem an, die Plakatwerbung zu verbieten. Allerdings wird die Reklame frühestens 2020 verschwinden - 16 Jahre nachdem die Bundesrepublik den WHO-Vertrag zur Eindämmung des Tabakkonsums unterschrieben hat, der Werbung ganz klar untersagt.

Andere Länder sind in der Zwischenzeit längst viel weiter gegangen als vom WHO-Rahmenabkommen gefordert. Turkmenistan beispielsweise hat vor kurzem den Verkauf von Zigaretten komplett untersagt. Weitere Beispiele finden Sie in der Bildergalerie.

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