Süddeutsche Zeitung

Arzt-Patienten-Beziehung:Der gebildete Kranke

Früher konnten Patienten einfach nur krank sein, heute sollen sie dem Arzt mündig gegenübertreten. Hilft das Internet dabei? Schon möglich, doch am Ende zählt ganz anderes.

Von Berit Uhlmann

Mal ist es ein zusammengefaltetes Zettelchen, mal ein ganzer Ordner voller Papier: Jeder Arzt kennt den Patienten, der mit ausdrucktem Medizinwissen aus dem Internet zu ihm kommt. Und jeder Arzt kann auch davon berichten, wie viel Unsinn in diesen ungefilterten Informationen oft steckt: der Wundertee, der Tumore schrumpfen lassen soll, seitenlange Fallberichte, die der Patient auf sich bezieht, obwohl sie mit seinen Beschwerden gar nichts zu tun haben. Doch mancher Arzt erkennt, dass das Internet auch hervorragende Auskünfte bietet, die Patienten zu informierten und selbstbewussten Partnern machen können.

"Wir haben heute so viele Informationen wie nie zuvor und gleichzeitig ein großes Informationsdefizit", sagte Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor der Klinikums der LMU, zur Eröffnung des SZ-Gesundheitsforums. Auch Jauch kennt Patienten, die sich in der schieren Masse wichtiger wie irrelevanter Fakten verlieren, und er weiß, dass die Netzrecherche "zum Kommunikationshindernis" werden kann. Doch der Mediziner hat eine Lösung für das Dilemma: "Ärzte müssen ihre kommunikativen Fähigkeiten stärken."

Denn man kann lange über unseriöse Berichte aus dem Internet schimpfen - oder aber die Menschen dahinter sehen. Diejenigen, die unrealistischen Heilsversprechen aus dem Netz glauben, sind oft Schwerstkranke, die sich an einen Strohhalm klammern, hat die Psychologin Monika Dorfmüller oft erfahren.

Auch mal schweigen und warten können - das gilt nicht nur für Patienten

Diese Patienten brauchen etwas, das Jauch "Empa-Time", nennt: eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern für Empathie und Zeit. Aufgabe der Ärzte ist ja nicht nur, immer kompliziertere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu erläutern - das kann im Zweifelsfall auch eine gut gemachte Website -, sondern sich auf den individuellen Patienten einzustellen: auf Verängstigte und Verzweifelte, auf Sterbende und ihre Angehörigen, auf Hochbetagte und Demenzkranke, auf Menschen aus anderen Kulturkreisen. Dabei geht es längst nicht nur ums Reden: "Zu den kommunikativen Fähigkeiten gehört auch das Zuhören", betont Jauch. Ärzte müssen Fragen zulassen und, so ergänzt Monika Dorfmüller, "auch mal schweigen und warten können, bis der Patient eine Information verarbeitet hat".

Wie individuell die Bedürfnisse von Patienten sind, erlebt auch Carola Sraier von der Unabhängigen Patientenberatung Bayern immer wieder. Sie begegnet Kranken, die ganze Bündel von Internet-Ausdrucken vor sich haben und dennoch nicht wissen, ob sie die Tausende Euro teure Behandlung nun zulassen sollen oder nicht. "Obwohl eher gut informierte und gebildete Patienten zu uns kommen, ist die Selektion von Information eine zunehmend wichtige Aufgabe für uns", sagt Sraier.

Doch die Patienten benötigen mehr als Informationsmanager. Sie wollen sich auch aussprechen und Trost erfahren, denn dies kann bei der Bewältigung einer Krankheit helfen. Sraier hat die Erfahrung gemacht, dass viele Patienten solche Gespräche vom Arzt gar nicht erst erwarten und sie auch nicht einzufordern wagen. Die Kranken spüren den Druck, unter dem Mediziner in übervollen Praxen stehen: "Ich kann nicht nachfragen; ich raube dem Arzt seine Zeit, und ich brauche ja noch mein Rezept", klagen die Patienten dann. Auf lange Sicht ist diese Zurückhaltung zu kurz gedacht, denn durch unklare Kommunikation können Leid und Schaden entstehen.

Die Patientin wusste genau, was sie wollte: einen anderen Arzt

Deshalb sind auch die Patienten gefragt, beim Arzt das zu fordern, was sie brauchen. Monika Dorfmüller rät, sich auf wichtige Arztgespräche vorzubereiten. Wer vorab Informationen, beispielsweise beim Apotheker einholt, kann sich im Gespräch auf die unklaren Punkte konzentrieren. Eine Frageliste hilft, das Gespräch zu strukturieren. Wer sich in Begleitung sicherer fühlt, kann einen Angehörigen oder Freund mit zum Arzt nehmen. Im Zweifelsfall sollte eine zweite Meinung eingeholt, die Krankenkasse oder eine Patientenberatung hinzugezogen werden.

Die Experten des SZ-Gesundheitsforums

Dr. Christina Berndt, Redakteurin, Süddeutsche Zeitung

Dr. Monika Dorfmüller, leitende klinische Psychologin i.R., Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen

Professor Dr. Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor der Klinikums der LMU

Professor Dr. Antonius Schneider, Stiftungslehrstuhl Allgemeinmedizin an der TUM

Carola Sraier, Gesundheitswissenschaftlerin, Unabhängige Patientenberatung Bayern

Moderation: Dr. Monika Dorfmüller und

Professor Dr. Constanze Giese

Allerdings ist dies ist nur die eine Seite. Denn es gibt auch Patienten, die dieses Mündigsein überfordert. Will wirklich jeder Kranke alle Entscheidungen in partnerschaftlicher Diskussion gemeinsam mit dem Arzt treffen? Antonius Schneider vom Institut für Allgemeinmedizin an der TU München erinnert sich an eine 80-jährige Patientin mit einer Harnwegsinfektion. Mustergültig führte er die Dame durch das Diagramm der Behandlungsmöglichkeiten, ließ keine Abzweigung aus, erläuterte das Für und Wider der Antibiotikagabe - und wartete gespannt auf die mündige Entscheidung der Frau. Sie wusste tatsächlich sehr genau, was sie wollte: einen anderen Arzt.

Ein Kollege wies die Patientin dann kurzerhand an, das Antibiotikum zu nehmen, versicherte ihr, dass alles gut werden würde - und dann war auch alles gut. Schneider ließ das Erlebnis keine Ruhe. Er untersuchte, welche Patienten wirklich auf Augenhöhe mit dem Arzt verhandeln wollen. Das Ergebnis: Vor allem ältere Patienten wollen tendenziell lieber zum Arzt aufsehen und klare Anweisungen erhalten. Ähnliches beobachten Mediziner auch bei Schwerkranken oder Opfern von verheerenden Unfällen. Sie wollen die Verantwortung für ihre Behandlung nur noch aus der Hand geben. Und selbst der Patient mit Bagatell-Beschwerden will manchmal nur vertrauen.

"Früher konnte man einfach nur krank sein, heute muss man ein mündiger Patient sein. Das kann auch sehr anstrengen", sagte Christina Berndt, Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Zwar sei es wichtig, Informationen einzuholen und zu überprüfen, schließlich sei längst nicht jeder Arzt ausreichend über die Entwicklung seines Fachs informiert, und viele Ärzte hätten zudem auch wirtschaftliche Interessen, die man kritisch sehen müsse. Dennoch dürfe man nicht vergessen, dass Vertrauen in den Mediziner eine wichtige Komponente der Behandlung ist. Nicht umsonst sprechen Wissenschaftler von der "Droge Arzt". So sei es für Patienten bei aller kritischen Distanz auch wichtig, am Ende innezuhalten und zu sagen: "Jetzt bin ich Patient, ich möchte mir jetzt helfen lassen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2223186
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.11.2014/chrb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.