Studie zu Oberschenkelhalsbrüchen:Überleben nach dem Sturz

Oberschenkelhalsbruch

Im Röntgenbild sieht ein Oberschenkelhalsbruch unscheinbar aus, für die Betroffenen bringt er große Probleme.

(Foto: Jochen Lübke/dpa)
  • Der Oberschenkelhalsbruch gehört zu den fünf großen gesundheitlichen Problemen älterer Menschen.
  • Die Sterblichkeit ist erheblich, viele Patienten verlieren ihre Selbstständigkeit und müssen in Pflegeeinrichtungen einziehen.
  • Um die Situation zu verbessern, wäre mehr Teamarbeit im Krankenhaus notwendig.

Von Werner Bartens

Der erste Sturz bringt das Alter, der zweite den Tod. Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez hat schonungslos beschrieben, was passiert, wenn Menschen in die Jahre kommen und stürzen.

Kaum ein Leiden ist so mit zunehmender Gebrechlichkeit und drohendem Siechtum verbunden wie der Oberschenkelhalsbruch, der viele Senioren nach einem Sturz ereilt. "Weil diese Fraktur so sehr dafür steht, dass Menschen hilfs- und pflegebedürftig werden, ist der Begriff Oberschenkelhalsbruch auch umgangssprachlich so tief verankert", sagt Clemens Becker, Chef der Geriatrie am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart. "Dieses Leiden gehört zu den fünf großen gesundheitlichen Problemen älterer Menschen - und wir könnten vielen von ihnen besser helfen."

Die Hüftfraktur, wie der Oberschenkelhalsbruch auch genannt wird, ist die mit Abstand am häufigsten im Krankenhaus behandelte Fraktur. Die Sterblichkeit nach dem Bruch ist erheblich, viele Patienten verlieren ihre Selbständigkeit und müssen in Pflegeeinrichtungen einziehen.

Die Herausforderung ist enorm: Mehr als zehn Prozent der Patienten sterben innerhalb der ersten 30 Tage nach einem Sturz. Und bis zu 20 Prozent der Gestürzten bleiben bettlägerig oder zumindest so gebrechlich, dass sie anschließend im Heim betreut werden müssen. Nur 40 bis 60 Prozent der Patienten erreichen nach einer Fraktur des Oberschenkelhalses wieder das Niveau an Mobilität, das sie zuvor hatten.

"Diese dramatische Mortalitätsrate müssen wir senken", sagt Jürgen Bauer, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Gerade hat ein Team aus Unfallchirurgen und Geriatern Erkenntnisse aus der deutschlandweiten Profind-Studie mit mehr als 55 000 Patienten vorgestellt. Dabei zeigte sich, dass ein "geriatrisch-unfallchirurgisches Co-Management", wie die Mediziner die Kooperation verschiedener Disziplinen in der Versorgung nennen, die Sterblichkeit innerhalb von 30 Tagen nach einem Oberschenkelhalsbruch um 22 Prozent senken kann. Statt 13,1 Prozent starben 10,1 Prozent der Patienten in dem Monat nach der Fraktur. "Dies bedeutet, dass zwischen 3000 und 4000 Todesfälle in Deutschland jedes Jahr vermeidbar wären", sagt Becker. "Rechnet man das auf alle Operationen bei älteren Menschen hoch, könnten wohl sogar Zehntausende Leben gerettet werden."

Zudem zeigen die Experten für Knochenbrüche im Alter im Weißbuch Alterstraumatologie, wie die Versorgung älterer Patienten mit Frakturen verbessert werden müsste. Derzeit werden jährlich mehr als 400 000 ältere Menschen in Deutschland nach einem Sturz ins Krankenhaus eingewiesen. Die häufigste Diagnose ist mit 150 000 Fällen ein Bruch des Oberschenkels. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 82 Jahren, deshalb ist es wichtig, die vielfältigen gesundheitlichen Probleme zu beachten, die den betagten Kranken zusätzlich oder in Folge des Knochenbruchs drohen.

In Großbritannien, Skandinavien und der Schweiz ist die Versorgung deutlich besser

"Es fehlt oft noch am Teamansatz - und das geht auf Kosten der Patienten", sagt Geriater Becker. "Wie sieht denn der Arbeitsalltag auf den operativen Stationen typischerweise aus: Die Ärzte verschwinden um acht Uhr im OP oder in der Notaufnahme und vor 16 Uhr werden die Probleme auf Station kaum bearbeitet. Dann wird ein Konsil beantragt, aber der Kollege vom anderen Fach kommt außerhalb der Dienstzeit und verfolgt nicht immer nach, ob und wie gut seine Empfehlungen umgesetzt wurden." Da die Probleme älterer Patienten immer komplexer werden und sie oft ein Dutzend Medikamente nehmen, sind Ärzte einer Fachrichtung mit der Versorgung oft überfordert.

Für den Heilerfolg ist es aber nicht nur wichtig, dass der Bruch binnen 24 Stunden versorgt wird, sondern dass ein multiprofessionelles Team nach festgelegten Standards vorgeht und Begleiterkrankungen im Blick hat. So müssen auf Station gleich im Anschluss an die Operation Laborwerte überprüft werden, die auf Infektzeichen oder einen intraoperativen Infarkt hinweisen.

Viele Patienten brauchen Gerinnungshemmer, die um die Operation ausgesetzt werden und deren Wirkung engmaschig kontrolliert werden sollte. Bei älteren Männern droht ein Harnverhalt, auch dann ist Eile geboten. Etliche Kranke sind ausgetrocknet, eine Exsikkose kann gravierende Probleme nach sich ziehen. Die gefürchtete Lungenentzündung nach der Operation hat eine bessere Prognose, wenn sie rasch erkannt und behandelt wird.

Aber nicht nur Ärzte sind in dem interdisziplinären Team gefragt, sondern auch Physio- und Ergotherapeuten, die frühzeitig mit der Mobilisation der Patienten beginnen. "Dass die Patienten spätestens 24 Stunden nach der Operation das erste Mal vor dem Bett stehen, ist das Ziel", sagt Becker. "Auch hier haben wir noch erheblichen Nachholbedarf."

In der Schweiz, in Skandinavien und in England ist die Versorgung deutlich besser. Dort ist die Zahl der Altersfrakturen seit einigen Jahren rückläufig, während sie in Deutschland stagniert. In Schweden wird unter dem Motto "Capture the fracture" erfolgreich versucht, Stürze durch bessere Prävention zu verhindern - und wenn es dazu kommt, Patienten optimal im Team zu behandeln.

"In Deutschland haben wir hingegen nicht nur Nachholbedarf in der Behandlung, sondern auch eine Präventionslücke", sagt Altersmediziner Becker. "Dabei könnten durch Bewegung und ausreichende Aktivität im Alter viele Frakturen vermieden werden. Und bei Osteoporose ist es wichtig, früh vorzubeugen und gegebenenfalls zu behandeln." Studien aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass sich mit Teamarbeit im Krankenhaus und mehr Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse älterer Menschen ihre Prognose nach Knochenbrüchen deutlich verbessert.

Die Zahl der Frakturen wird bis zum Jahr 2030 um 30 bis 40 Prozent zunehmen

Doch obwohl der Nutzen für Patienten offensichtlich ist, wenn sich die Strukturen verbessern, gibt es Widerstände von Krankenhausverbänden. Schließlich ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit mehr Personalkosten verbunden.

Der Gemeinsame Bundesausschuss, der entscheidet, welche Leistungen von der Krankenversicherung übernommen werden, hat das Thema bereits auf der Agenda. "Aufgrund der demografischen Entwicklung ist für diese Verletzung bald mit einer Verdoppelung der Zahlen zu rechnen", sagt Joachim Windolf, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. "Frakturen im Alter insgesamt werden bis zum Jahr 2030 um 30 bis 40 Prozent zunehmen. Gesundheit im Alter bedeutet vor allem, die selbstbestimmte Mobilität zu erhalten, denn das ist die Basis für ein selbständiges Leben mit eigenen Zielen."

Ursula Lehr, ehemalige Familienministerin und jetzt im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, klagt, dass "die Geriatrie in Deutschland schwer Fuß gefasst hat und von den meisten Universitäten auch heute noch nicht so anerkannt wird wie in England, der Schweiz und den USA".

Dass ältere Menschen, die pflegebedürftig sind, zusätzlich Ansprache, Aktivität und Bewegung brauchen, würde zu wenig beachtet. Dabei ist längst bekannt, dass Funktionen, die nicht geübt werden, verkümmern - und der nächste Sturz dann der letzte sein könnte.

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