Medizin:Wie Abnehmspritzen etliche Krankheiten lindern könnten – und andere fördern

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Das Medikament der Zukunft? Die „Abnehmspritze“ Wegovy.   (Foto: Hannah Beier)

Herzinfarkt, Psychosen, Demenz: Forscher liefern Hinweise, dass GLP-1-Rezeptor-Agonisten womöglich zahlreiche Beschwerden lindern. Und doch warnen sie davor, Abnehmspritzen als Allheilmittel zu glorifizieren.

Viel Nutzen – aber auch einige Risiken: In einer Analyse, veröffentlicht im Fachmagazin Nature Medicine, haben Forscher anhand großer Datensätze die medizinischen Vor- und Nachteile von GLP-1-Rezeptor-Agonisten ermittelt, zu denen auch die Abnehmspritze Wegovy zählt.

Der Studie zufolge können solche Präparate unter anderem die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz, Psychosen und Suchterkrankungen senken. Andererseits gehen sie mit erhöhten Risiken etwa für Magen-Darm-Probleme und Gelenkentzündungen einher, schreibt das Team um Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis.

In der Studie wertete das Autorentrio eine Datenbank des US-Kriegsveteranenministeriums aus und verglich Daten von etwa 216 000 Menschen, die GLP1-Rezeptor-Agonisten gegen Diabetes 2 nahmen, mit Daten von etwa 1,2 Millionen Veteranen, die andere Therapien gegen die Stoffwechselerkrankung nutzten. Die mittlere Beobachtungsdauer betrug 3,7 Jahre.

Das Ergebnis: Für 42 gesundheitliche Probleme sank unter der GLP-1-RA-Therapie das Risiko, dagegen stieg es für 19 andere an. Positive Effekte konnte das Team bei der Behandlung von Suchtproblemen feststellen – etwa bei Patienten, die an Alkohol-, Opiat-, Tabak- oder Cannabissucht leiden. Aber auch bei Patienten mit psychotischen Störungen, bei Demenzkranken oder Menschen mit Blutgerinnungsstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Infektionskrankheiten und diversen Atemwegsproblemen. Die Risikominderung liegt laut Studie bei zehn bis 20 Prozent.

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„Diese großen Datensätze unterstreichen die positive Risiko-Nutzen-Bilanz dieser Präparate“, sagt der Gastroenterologe Frank Tacke von der Berliner Charité, der nicht an der Studie beteiligt war. „Das ist vorerst beruhigend.“ Und: „Anhand so großer Datenmengen kann man auch seltene Nebenwirkungen ermitteln“, sagt Tacke, der dem wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) angehört.

Die Wirkstoffe, die überwiegend einmal pro Woche injiziert werden, verlängern vorwiegend die Verweildauer der Nahrung im Verdauungstrakt und erhöhen so das Sättigungsgefühl. Ob und wie genau sie gegen etliche weitere Erkrankungen helfen können, darunter Parkinson und Alzheimer, ist derzeit Gegenstand weiterer Studien. Bekannt ist: „GLP-1-RA-Präparate wirken auf Rezeptoren in Gehirnarealen, die an Impulskontrolle, Belohnung und Sucht beteiligt sind“, erläutert Studienautor Al-Aly. Das könne womöglich auch erklären, warum die Präparate beim Drosseln einer Suchterkrankung funktionieren. Die möglicherweise verringerte Demenzgefahr wiederum könnte auf die entzündungshemmende Wirkung im Gehirn zurückgehen.

„Angesichts der Neuheit der Medikamente und ihrer in die Höhe schießenden Popularität ist es wichtig, die Auswirkungen auf alle Körpersysteme systematisch zu analysieren“, schreibt der Hauptautor Al-Aly. Ziel sei eine umfassende Kartierung der Verbindungen dieser Wirkstoffe zu sämtlichen Organsystemen.

Doch die Autoren warnen, die Präparate nicht als Allheilmittel ohne Nebenwirkungen zu glorifizieren: „GLP-1-RA-Präparate können einen breiten gesundheitlichen Nutzen bieten“, sagt Al-Aly. „Aber risikofrei sind sie nicht.“

So zeigt die Analyse etwa, dass unter den Anwendern unter anderem Übelkeit und Erbrechen, Sodbrennen, Gelenkentzündungen, Schlafstörungen oder Blutdruck-Probleme auftraten. Zudem könnte die Einnahme in seltenen Fällen entzündliche Prozesse in den Nieren und der Bauchspeicheldrüse fördern.

Generell ist die Beobachtungszeit von 3,7 Jahren in der Studie zu kurz, um langfristige Nebenwirkungen wie Tumorerkrankungen oder Suizidalität zu finden. Die Zukunft wird zeigen, welche Chancen und Risiken die Abnehmspritzen mit sich bringen.

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