Die Entbindungsstation ist schon lange ausgesucht, das Paar hat sich mit dem Kreißsaal vertraut gemacht, das Atmen im Wehenrhythmus ist eingeübt: Die Geburt kann losgehen. Und dann kommt alles ganz anders, als es sich die Mutter wochenlang ausgemalt hat: Das Baby erblickt das Licht der Welt in Form greller OP-Beleuchtung. Die Mutter ist zu Passivität verurteilt. Die Hälfte ihres Körpers spürt sie nicht. Für viele Mütter ist dies keine angenehme Vorstellung - und dennoch Realität. Jedes dritte Kind in Deutschland wird mittlerweile per Kaiserschnitt entbunden und nicht nur die Betroffenen fragen sich, ob dies überhaupt nötig oder vielleicht sogar schädlich ist. Nur: Diese Fragen sind nicht pauschal zu beantworten.
Prinzipiell gilt: "Für Mütter ist das Risiko, per Kaiserschnitt zu entbinden, heute nicht größer als das einer natürlichen Geburt", sagt Klaus Friese, ärztlicher Direktor und Chef der Gynäkologie in der onkologischen Spezialklinik Klinik Bad Trissl und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. In den meisten Fällen ist dabei keine Vollnarkose nötig, vielmehr werden Nerven im Wirbelkanal durch die sogenannte Periduralanästhesie oder Spinalanästhesie betäubt. Die Mutter bleibt also wach, spürt aber von der Taille abwärts nichts mehr.
Risiken gibt es eher für folgende Schwangerschaften. Die Plazenta kann mit der alten Schnittnarbe verwachsen und/oder den Geburtskanal verdecken. Blutungen und Geburtskomplikationen können die Folge sein. "Spätere Störungen im Bereich der Plazenta sind das Damoklesschwert der Schnittentbindung", erläutert Klaus Vetter, ehemaliger Chefarzt der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln und Mitautor mehrerer Leitlinien zur Geburtshilfe. Mütter, die sich weitere Kinder wünschen, sollten sich dessen bewusst sein.
Ein gewisses Risiko bedeutet der Kaiserschnitt auch für das Baby. An erster Stelle stehen dabei Lungenprobleme: Während bei vaginal entbundenen Kindern auf dem Weg durch den engen Geburtskanal Flüssigkeitsreste aus der Lunge herausgepresst werden, können sie bei Kaiserschnittgeburten im Organ verbleiben und Atemprobleme verursachen. "Man reduziert die Gefahr, wenn das Kind so spät wie möglich geholt wird, am besten erst Anfang der 40. Woche", sagt Friese.
Beobachtungen zeigen zugleich, dass Kaiserschnitt-Kinder später etwas häufiger an Infektionen, Allergien, Asthma oder Übergewicht leiden. Die genauen Entstehungsmechanismen sind nicht bekannt, auch ist ein Kaiserschnitt nur einer von vielen Faktoren, die diese Krankheiten begünstigen. Als entscheidendes Kriterium für oder gegen einen Kaiserschnitt taugen diese statistischen Risiken daher schwerlich.
Einig sind sich die meisten Ärzte, dass kein Kind ohne medizinische Notwendigkeit per Kaiserschnitt auf die Welt kommen sollte. Schwierig wird es allerdings bei der Frage, was wirklich notwendig ist.
Nach der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist die Schnittentbindung vor allem dann unumgänglich, wenn das Kind quer im Bauch liegt, wenn sich die Plazenta vorzeitig löst oder die Nabelschnur droht, eingeklemmt zu werden, so dass das Kind nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Diese Komplikationen können zu schwersten Behinderungen oder dem Tod des Kindes führen. Allerdings sind solch zwingende Gründe für weniger als zehn Prozent der Kaiserschnitte in Deutschland verantwortlich.
Die meisten anderen Schnittgeburten erfolgen aus Gründen, die auch unter Medizinern umstritten sind. Dazu gehören die Beckenendlage, also jene Stellung des Kindes, bei der nicht der Kopf, sondern das Gesäß des Kindes nach unten zeigt. Friese ist überzeugt: "Eine Beckenendlage muss nicht automatisch zum Kaiserschnitt führen." Vielmehr könnten erfahrene Geburtshelfer am Ende der Schwangerschaft die sogenannte Äußere Wendung versuchen. Dabei wird das Kind durch gezielte Handgriffe am Bauch der Mutter in die richtige Geburtsposition gedreht. "Die Erfolgsquote liegt bei etwa 65 Prozent", sagt Friese. Und selbst wenn die Wendung nicht gelingt, ist eine natürliche Entbindung nicht ausgeschlossen.
Dabei sind es - entgegen landläufiger Meinung - die großen, oft als unpersönlich empfunden Kliniken, in denen Risikoschwangere die größte Chance haben, ihr Kind auf natürlichem Weg zur Welt zu bringen. Denn anders als kleinere Häuser haben sie genügend Erfahrungen und Ressourcen, um auch Notfälle zu bewältigen. Die Leitlinie nennt als Voraussetzungen für eine Geburt bei Beckenendlage, dass ein versierter Facharzt, Anästhesisten und Neonatologen, also Ärzte die auf Neugeborene spezialisiert sind, jederzeit verfügbar sind.
Zum Kaiserschnitt wird normal großen Frauen meist auch geraten, wenn das Gewicht des Kindes auf mehr als 4500 Gramm geschätzt wird. Eine Entscheidung, ob dies nötig ist, sei immer individuell zu treffen, sagt Vetter. Ein Richtwert sei die Größe des mütterlichen Beckens. Ist auch dieses groß, ist eine natürliche Entbindung möglich. Allerdings sollte wie bei der Beckenendlage für den Notfall vorgesorgt sein, eine Geburt außerhalb einer Klinik sei somit ausgeschlossen.
Eher verwirrend sind die Empfehlungen bei Zwillingsschwangerschaften. Eine Reihe von Studien kommt zu dem Schluss, dass eine natürliche Geburt nicht gefährlicher für das Kind ist als ein Kaiserschnitt. Die für ihre Sorgfalt bekannte Forschervereinigung Cochrane Collaboration verweist jedoch nach Durchsicht der Forschungsliteratur darauf, dass es nicht genügend wissenschaftliche Beweise für die Überlegenheit der einen oder anderen Methode gibt. Die Entscheidung wird somit eine individuelle bleiben.
Unklar ist auch die Lage beim Wunschkaiserschnitt. Prinzipiell wird kaum ein Arzt einen Entbindungstermin vorziehen, damit das Kind ein bestimmtes Sternzeichen oder der Terminplan der Mutter mehr Klarheit erhält. Allerdings lassen die meisten Gynäkologen psychologische Gründe, wie Angst vor der Geburt, als Argument für einen Kaiserschnitt gelten. Wie schwerwiegend diese Gründe sind, wird meist nicht überprüft.
Ein besonderes Problem stellt dar, was Kritiker vielen Kliniken vorwerfen: Ein Kaiserschnitt erfolgt viel zu oft auf Wunsch der Ärzte. Die Vergütung für die Operation ist viel höher als die einer vaginalen Geburt, ihr Aufwand in vielen Fällen geringer. Für werdende Mütter ist es schwer einzuschätzen, ob ihnen der Kaiserschnitt aus dringenden medizinischen Gründen oder vielleicht doch aus Gewinnstreben angeraten wird. Ihnen kann nur geraten werden, mindestens einen weiteren Arzt und eine Hebamme in die Entscheidung einzubeziehen. Und - egal wie die Entscheidung ausfällt - zu akzeptieren, dass keine Geburt der anderen gleicht.