Die Ständige Impfkommission (Stiko) zieht ihre Empfehlung für die Meningokokken-C-Impfung im Kindesalter zurück. Stattdessen sollen fortan Jugendliche im Alter von zwölf bis 14 Jahren eine Spritze eines Vierfachimpfstoffs gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, W und Y erhalten – und eine Nachholimpfung bis zum 25. Geburtstag, sollte man diese im Jugendalter verpasst haben.
Das gaben Stiko-Vertreter in einer Pressekonferenz für Wissenschaftsjournalisten bekannt. Die schriftliche Begründung liegt der SZ vor. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Stiko, dass sie eine Impfung für Kleinkinder ins Jugendalter verschiebt.
Meningokokken sind mit Zuckermolekülen umhüllte Bakterien, die weltweit vorkommen. Je nach Bauweise der Zuckermoleküle werden die Erreger gruppiert. In Deutschland wohl am bekanntesten ist die sogenannte Serogruppe C, gegen die Kleinkinder seit 2006 flächendeckend geimpft werden. Neu kam im Januar 2024 eine Stiko-Empfehlung für Kleinkinder für die Impfung gegen den Typ B hinzu. Meningokokken-Infektionen treten in Deutschland selten auf, können aber schwere Folgen wie Hirnhautentzündungen oder eine Blutvergiftung haben, die mitunter auch tödlich enden.

Medizin:Stiko rät zur Meningokokken-B-Impfung für Säuglinge
Die Erkrankung ist selten, kann aber tödlich enden. Deshalb fordern Kinderärzte seit Jahren eine Impfempfehlung für alle Kinder - nun ist sie da.
Die Stiko begründet ihre Entscheidung mit weiter gesunkenen Infektionszahlen. So erkranken immer weniger Kinder an Meningokokken C, aktuelle Daten zeigen, dass seit 2001 die Zahl der Fälle kontinuierlich sinkt. Erkrankungen von Kleinkindern sind selten. Die Expertinnen und Experten stützen ihre Entscheidung auf eine ausführliche Datenanalyse sowie Modellierungen, die gezeigt haben, dass die höchste Schlagkraft einer landesweit empfohlenen und von den Krankenkassen finanzierten Impfung gegen die Erreger der Klassen A, C, W und Y im Jugendalter besteht.
Die Stiko erwägt hier auch praktische Aspekte, denn der Impfkalender für Kleinkinder sei in den ersten Lebensmonaten ohnehin sehr voll, sagt Julia Tabatabai, Kinder- und Jugendärztin an der pädiatrischen Gemeinschaftspraxis Scheden sowie Mitglied der Ständigen Impfkommission, auf der Pressekonferenz. Zwar würde eine Kombination aus sehr früher Kleinkindimpfung und Jugendauffrischung die Krankheitslast am stärksten senken, doch erscheint diese Strategie besonders aufwendig. Es müssten Zehntausende Kleinkinder geimpft werden, um einen einzigen Fall zu verhindern.
„Der indirekte Effekt ist am höchsten, wenn man Jugendliche impft.“
Von dem etwas entzerrten Impfkalender erhofft sich Tabatabai zudem mehr Luft für andere, wichtige Impfungen, allen voran die Pneumokokken-Impfung. Pneumokokken-Bakterien können Kinder ebenfalls sehr krank machen, doch ist die Beobachtung vieler niedergelassener Kinderärzte: Manche Eltern verschieben den Pieks aufgrund der zahlreichen anderen Impftermine nach hinten. „Leider ist im Moment zu beobachten, dass der Abschluss der Pneumokokken-Impfung häufig zu spät kommt“, sagt Alexander Dalpke, Ärztlicher Direktor am Zentrum für Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Heidelberg und Mitglied der Ständigen Impfkommission. So sei die Krankheitslast im Vergleich zu den Meningokokken 50- bis 100-fach höher.
Ganz gestrichen wird der Schutz gegen den Serotyp C ohnehin nicht, die Stiko nimmt nun Jugendliche im Alter ab etwa zwölf Jahren ins Visier. Daten zeigen, dass die Schutzwirkung der Impfung nach fünf bis sieben Jahren nachlässt, die Infektionszahlen derzeit aber bei Jugendlichen im Alter von etwa 15 Jahren ansteigen. Deshalb gilt eine Impfung im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren als Schlüssel im Kampf gegen die Erreger.
Neben dem individuellen Schutz vor Ansteckung senkt die Impfung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zudem die Besiedlung der Erreger im Nasen-Rachen-Raum. Diese kann dazu führen, dass zwar der Träger – meist junge Menschen – selbst nicht krank wird, aber dennoch andere ansteckt. Wenn weniger Jugendliche die Bakterien in sich tragen, verbreiten sie sich insgesamt weniger. Davon profitieren auch andere Altersgruppen. „Der indirekte Effekt ist am höchsten, wenn man Jugendliche impft“, sagt Dalpke.
Auch bereits im Kindesalter gegen den Typ C geimpfte Jugendliche sollten daher ihren Schutz auffrischen, sagt Tabatabai, „unabhängig davon, welche Impfung vorher stattgefunden hat“. Das sei auch eine gute Gelegenheit, die Vorsorgeuntersuchung J1 wahrzunehmen und sich gegebenenfalls zu einer HPV-Impfung sowie einer Auffrischung des Tetanusschutzes beraten zu lassen, so die Kinderärztin.
Droht mit der Abschaffung der Impfung nun der Schutz wegzufallen?
Gleichzeitig sei den Stiko-Mitgliedern durchaus bewusst, dass sich die aktuelle Empfehlung ändern müsse, sollten die Infektionszahlen der Serogruppe C wieder ansteigen. Dass dies ausgerechnet durch den nun beschlossenen Wegfall der Impfempfehlung passiert, sei nicht auszuschließen, „aber doch unwahrscheinlich“, sagt Dalpke der SZ.
Einige Kinderärzte befürchten, dass mit der Abschaffung der C-Impfung im Kindesalter der Schutz vollständig entfällt. „Erst im Alter von zwölf Jahren zu impfen, halte ich für zu spät“, sagt etwa Ralph Köllges, niedergelassener Kinderarzt in Mönchengladbach und Experte für Meningokokken-Impfungen. „Wir wissen, dass viele Kinder und Jugendliche in diesem Alter nicht mehr regelmäßig zu uns kommen.“ Außerdem gelte es, auch die wenigen Meningokokken-Fälle unter Kleinkindern im Blick zu behalten, vor allem Y-Fälle.
„Ich verstehe schon, dass die Stiko die Verhältnismäßigkeit wahren muss“, sagt Köllges. Nur: „Bei Menschen am Anfang ihres Lebens drehen wir den Euro zweimal um, aber am Ende des Lebens sind wir als Gesellschaft sehr, sehr großzügig.“ Köllges würde es daher begrüßen, wenn auch Kleinkinder gegen alle Meningokokken-Stämme geimpft werden würden – und im Jugendalter dann entsprechend der neuen Regelung eine Auffrischung erfolgt. „Den Wunsch vieler meiner Kollegen nach einer doppelten ACWY-Impfung trage ich voll mit. Und ich überlege mir, das künftig in meiner Praxis auch so zu machen.“
Die Stiko begründet ihre Einschätzung hingegen mit dem Zeitpunkt der Impfung: Kleinkinder erhalten bislang eine Meningokokken-C-Impfung häufig erst im Alter von zwölf Monaten oder später. Doch erstaunlicherweise sinken auch unter Säuglingen zwischen null und zwölf Monaten die Fallzahlen der Serogruppe C. „Das kann man nicht allein mit der Impfung erklären“, sagt Dalpke. Auch indirekte Effekte können nicht die Erklärung sein, denn ein Jugendlicher, der als Kleinkind geimpft wurde, könne dennoch die Erreger weitergeben – so lange hält die Schutzwirkung nicht an. Warum aber die Erreger des Typs C in Deutschland und anderen europäischen Ländern seit Jahren auf dem Rückzug sind, ist unklar.
Die Empfehlung gilt ab sofort, die Kostenübernahme der Krankenkassen aber steht noch aus. In der Zwischenzeit bleibt der bisherige Anspruch auf eine Meningokokken-C-Impfung bestehen. Die Stiko rät Eltern, mit der Kinderärztin oder dem Kinderarzt das weitere Vorgehen abzustimmen.

