Süddeutsche Zeitung

Sterbezeitpunkt:Wann ist ein Mensch tot?

Mehr kulturelle Gepflogenheit als wissenschaftliches Vorgehen: In den USA stellen viele Ärzte schon den Todesschein aus, wenn das Herz nur wenige Minuten stillsteht. In Italien warten Mediziner 20 Minuten, in Deutschland gibt es gar keine einheitlichen Regeln. Wissenschaftlern bereiten diese absurden Unterschiede bei der Todesfeststellung Sorgen.

Von Christina Berndt

Wann ist ein Mensch tot? Wenn sein Herz nicht mehr schlägt? Wenn sein Herz seit fünf Minuten nicht mehr schlägt? Oder sollten Ärzte lieber 20 Minuten warten, bevor sie einen Totenschein ausstellen? In den verschiedenen Ländern des Erdballs werde bei der Todesfeststellung absurd unterschiedlich vorgegangen, monierten Mediziner nun auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Anästhesiologie, die derzeit in Barcelona stattfindet.

Die Ärzte forderten eine internationale Vereinheitlichung der Standards, wann und wie ein Mensch für tot erklärt werde. Die Kriterien für die Todesfeststellung müssten anhand wissenschaftlicher Fakten verbessert werden und dürften nicht das Ergebnis unterschiedlicher kultureller Herangehensweisen sein, forderten die Mediziner. Es könne nicht richtig sein, dass international so unterschiedliche Kriterien gelten.

Auch müsste durch striktere Richtlinien für die Todesfeststellung verhindert werden, dass Menschen für tot erklärt werden, die es gar nicht sind. Dies komme zwar selten, aber doch immer wieder einmal vor, sagte Alex Manara vom Frenchay Hospital in Bristol. Er hat die Fachliteratur nach solchen furchtbaren Fehleinschätzungen durchforstet und dabei immerhin 30 ausführlich beschriebene Fälle gefunden. Die Zahl der nicht publizierten Fälle dieser Art werde diese Zahl aber vermutlich um ein Vielfaches übersteigen, so Manara.

Gerade moderne Techniken machten zunehmend deutlich, dass die klare Linie zwischen Leben und Tod verwische, stellten die Ärzte fest. Deshalb müssten moderne Techniken stärker einbezogen werden, wenn es um so wichtige Entscheidungen gehe wie die Fortbehandlung eines Menschen.

Die Mediziner führten die Hirnstrommessung oder auch die Positronenemissionstomographie (PET) an, mit deren Hilfe Stoffwechselprozesse im Körper sichtbar gemacht werden können. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat das Thema bereits für sich entdeckt. Sie will helfen, eine weltweit gültige Regelung zu erarbeiten; diese soll letztlich auch beinhalten, wie viele Minuten lang Ärzte einen Patienten beobachten müssen, bevor sie ihn für tot erklären.

In der großen Mehrzahl aller Fälle in Krankenhäusern schauen Ärzte bisher nur auf Herz und Lunge eines Patienten und prüfen, ob er ansprechbar ist. Wenn das Herz nicht mehr schlägt, die Lungen nicht mehr atmen und der Patient auch nicht mehr auf Reize von außen reagiert, stellen sie seinen Tod fest.

Zuvor aber sollten sie mindestens fünf Minuten warten, ob sich Herz oder Lunge nicht doch spontan wieder erholten, fordert Manara. So lautet auch in Großbritannien und Kanada die offizielle Empfehlung. In den USA und Australien würden Mediziner in vielen Kliniken aber schon nach zwei Minuten zum Totenschein greifen; und in Italien lautet die Empfehlung an Ärzte, 20 Minuten verstreichen zu lassen, bevor sie einem Patienten das Leben absprechen.

In Deutschland ist die Untersuchung der sterblichen Überreste nicht einmal bundeseinheitlich geregelt. Die Regeln für die Leichenschau sind Sache der Länder. Das kritisieren Ärzte und Juristen seit Langem. Sie befürchten eine Totschreibung Lebender; darüber hinaus blieben auch zahlreiche Straftaten unerkannt, weil Ärzte für die Leichenschau ungenügend ausgebildet seien und immer mehr rechtsmedizinische Institute geschlossen werden.

Eine internationale Richtlinie sei in jedem Fall "eine sehr gute Idee", sagte der Intensivmediziner Jerry Nolan vom Royal United Hospital in Bath der britischen Rundfunkanstalt BBC. "Italiener und Briten sind vermutlich gleich gebaut. Es ergibt Sinn, für beide dieselben Kriterien zur Todesfeststellung anzuwenden."

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Quelle:
SZ vom 04.06.2013
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