Sterbehilfe:Töten ist nicht das Geschäft der Ärzte

Nach dem Bundestagsvotum ist es Ärzten nur schwer möglich, beim Suizid zu helfen. Zum Glück, denn die Argumente für diese Form der Sterbehilfe sind nicht stichhaltig.

Ein Gastkommentar von Thomas Pollmächer

Nun ist sie also verboten, die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung. So hat es der Bundestag am vergangenen Freitag beschlossen. Damit bleibt zwar im Einzelfall die Beihilfe zum Suizid weiter straffrei, niemand darf sie aber "zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit machen", heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Dies gilt auch für Ärzte, denen nun zusätzlich zu standesrechtlichen auch strafrechtliche Sanktionen drohen, wenn sie wiederholt bei Suiziden assistieren. Es bleibt also dabei, Suizidassistenz ist keine ärztliche Tätigkeit.

Die neue gesetzliche Regelung steht im diametralen Gegensatz zu dem, was andere vorgeschlagen haben: In zwei Gesetzentwürfen sollten Ärzte ausdrücklich unter bestimmten Umständen straffrei bleiben. Einer davon erklärte die Suizidassistenz sogar regelrecht zur ärztlichen Behandlungsmethode, indem als Voraussetzung "eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz" gefordert wurde. Denjenigen Abgeordneten, die in der Abstimmung im Bundestag unterlegen sind, ging es also darum, die Beihilfe zur Selbsttötung zum integralen Bestandteil des ärztlichen Handlungsrepertoires zu machen.

Die Befürworter des ärztlich assistierten Suizides wussten sich einer überwiegenden Unterstützung in der Öffentlichkeit sicher und konnten auf unsere Nachbarländer Schweiz, Belgien und die Niederlande verweisen, wo Ärzte seit Jahren Beihilfe zur Selbsttötung leisten oder teilweise sogar Tötungen auf Verlangen durchführen. Der Deutsche Bundestag hat also eine Entscheidung gefällt, die klar gegen den Trend verläuft. Zum Glück, denn die Argumente für den ärztlich assistierten Suizid sind nicht stichhaltig.

Was bedeutet Sterbehilfe?

Die Bezeichnung Sterbehilfe wird gewöhnlich als Oberbegriff gebraucht und umfasst alle Möglichkeiten, wie ein Sterbewunsch erfüllt werden kann. Dazu gehört im einfacheren Fall, dass ein Arzt auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet. Er legt beispielsweise einem Patienten, der nicht selbst essen kann, keine Magensonde - auch wenn dies den Tod zur Folge hat. Der Arzt handelt in diesem Fall legal, er ist sogar zu diesem Verzicht verpflichtet, sofern der Patient es unmissverständlich wünscht und beispielsweise in einer Patientenverfügung niedergelegt hat. Daran wird sich nichts ändern. Am anderen Ende der Möglichkeiten steht das aktive Eingreifen des Arztes. In diesem Fall würde der Mediziner beispielsweise dem Kranken eine Giftspritze setzen. Nach deutschem Recht handelt es sich dabei - anders als beispielsweise in den Niederlanden - um Tötung auf Verlangen und somit um eine Straftat. Auch dies wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Eine Zulassung der Tötung auf Verlangen steht gar nicht zur Debatte. Die derzeitige Diskussion dreht sich um einen Mittelweg zwischen den beiden Polen: den ärztlich assistierten Suizid. Dabei hilft der Arzt dem Patienten, aus dem Leben zu scheiden, aber der Kranke tut den letzten Schritt.

Der Wunsch zu sterben darf nicht missachtet werden. Helfen muss man dabei aber nicht

Eines der beiden zentralen Argumente lautet: Der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten gebiete dem Arzt, schwer kranke Menschen beim Suizid zu unterstützen. Aber stimmt das? Der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht eines anderen gebietet es, ihn gewähren zu lassen. Deshalb darf ein Arzt natürlich den selbstbestimmten Todeswunsch eines Menschen nicht missachten, genauso wie er die selbststimmte Ablehnung einer Behandlung respektieren muss. Hieraus folgt aber weder eine Verpflichtung noch eine Berechtigung des Arztes, sich an der Tötung eines Menschen zu beteiligen, selbst wenn dieser es wünscht und die Tötung selbst ausführt. Anders als ein neutraler Mitbürger darf und muss der Arzt nämlich Wünsche seines Patienten daraufhin prüfen, ob ihre Erfüllung dem Wohl des Betreffenden dient und ihm nicht schadet.

Diese Prüfung ist neben der Achtung der Selbstbestimmung ein weiteres moralisches Grundprinzip ärztlichen Tuns. Zumindest der Arzt, wie wir ihn heute noch kennen, ist kein bedingungsloser Wunscherfüller. Er ist eine Instanz, die den Patienten unabhängig - auch unabhängig von dessen eigenen Wünschen - fachlich berät. Er dürfte also dem Suizidenten nur dann "helfen", wenn er selbst zur Überzeugung gelangt, es sei besser für den Betreffenden zu sterben als weiterzuleben. Sollen und wollen Ärzte solche Unterscheidungen zwischen wertem und unwertem Leben treffen? In den Nachbarländern Holland und Belgien geschieht das seit Jahren, aber die deutsche Ärzteschaft hat gute moralische und historische Gründe, auch weiterhin uneingeschränkt jedes Leben positiv zu bewerten.

Es gibt Situationen, da geht Menschlichkeit vor Profession

Selbstverständlich kann ein solcher moralischer Grundsatz auch hierzulande in Zweifel gezogen werden, wie das selbst unter den Ärzten eine beachtliche Minderheit tut. Diejenigen Ärzte, die sich tatsächlich zutrauen und es für moralisch vertretbar halten, das Leben anderer Menschen zu bewerten, sollten dies aber offen tun und sich nicht hinter dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten verstecken.

Das zweite zentrale Argument für eine ärztliche Unterstützung beim Suizid ist die Behauptung, nur Ärzte verfügten über die fachliche Kompetenz und seien befugt, die entsprechenden Medikamente zu verordnen. Beides begründet die ärztliche Mitwirkung an Suiziden nicht überzeugend. Sollte der Staat seine Bürger bei Suiziden unterstützen wollen, dann wäre es ein Leichtes, den Zugang zu entsprechenden Medikamenten auch ohne ärztliche Verordnung reglementiert zu gestatten. Und zur passenden Abmessung und Bereitstellung einer ausreichenden tödlichen Dosis von Barbituraten, die meist bei assistierten Suiziden eingesetzt werden - dafür bedarf es nur minimaler medizinischer Kenntnisse, eine ärztliche Approbation ist jedenfalls nicht notwendig.

Eine ärztliche Assistenz bei Suizid ist also technisch nicht notwendig und entgegen der Behauptung vieler Befürworte auch nicht moralisch geboten. Im Gegenteil, die ärztliche Suizidassistenz rüttelt an wohlbegründeten patientenorientierten Prinzipien ärztlichen Tuns. Es ist deshalb richtig, dass gerade Ärzte sich auch in Zukunft grundsätzlich nicht an suizidalen Handlungen beteiligen und dies auch in ihrer Berufsordnung weiterhin so festschreiben.

Dennoch kann ein Arzt bei der Begleitung schwer kranker Patienten in Situationen geraten, in denen ihm die Menschlichkeit etwas gebietet, was ihm seine Profession nicht erlaubt. In dieser Situation wird er sein Gewissen befragen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Die neue Rechtslage unterstützt ihn zusammen mit dem Berufsrecht dabei, nicht in die Versuchung zu geraten solche einzelnen Gewissensentscheidungen zu umgehen, indem er die Suizidassistenz "zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht", um dieses Zitat aus der Gesetzesbegründung zu wiederholen.

Die neue gesetzliche Regelung schützt Ärzte auch vor weitergehenden Forderungen, wie zum Beispiel nach der Tötung auf Verlangen oder der Tötung Einwilligungsunfähiger zu ihrem vermeintlichen Wohl oder entsprechend ihrem mutmaßlichen Willen. Und schließlich schützt sie Patienten vor jedem gesellschaftlichen oder individuellem Druck, den Wert ihres eigenen Lebens prüfend infrage zu stellen.

Die Debatte über den assistierten Suizid wird weitergehen, weil das Thema an grundlegende moralische Fragen rührt, die nicht abschließend zu beantworten sind. Wie sie sich aber auch immer entwickeln wird, es sollte dabei bleiben, dass Töten nicht das Geschäft von Ärzten ist.

Info

Thomas Pollmächer, 56, ist Chefarzt und leitet das Zentrum für psychische Gesundheit in Ingolstadt.

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