Süddeutsche Zeitung

Medizinethik:Hilfe beim letzten Weg

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Menschen haben laut Bundesverfassungsgericht Anrecht auf Medikamente, die einen schmerzfreien Suizid ermöglichen. Die Regierung ignoriert das Urteil.

Von Christina Berndt

Was gab es für heftige Diskussionen, als vor knapp 20 Jahren der Ethikrat gegründet wurde! Am Ende dieser Woche kann man wieder einmal sagen: Was für ein Glück, dass es ihn gibt. Das Gremium nimmt sich immer wieder die besonders heiklen Themen vor, am Donnerstag hat es sich erneut der Sterbehilfe gewidmet - schon zum dritten Mal in sechs Jahren. Gut so, denn das Thema wird in der deutschen Gesellschaft viel zu klein gehalten. Dabei ist es ein so großes!

Menschen, die sterben wollen, müssen das ganz grundsätzlich auch dürfen - dieses Urteil hat das Bundesverfassungsgericht schon im Februar gefällt. Ihre Entscheidung sei als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu akzeptieren, urteilten die Richter. Und deshalb haben diese Menschen auch ein Anrecht auf Medikamente wie Natrium-Pentobarbital, die einen schmerzfreien Suizid ermöglichen.

Doch das höchstrichterliche Urteil wird von der Regierung einfach ignoriert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsste den Zugang zu Medikamenten für einen assistierten Suizid gesetzlich auf den Weg bringen. Geschehen ist in den acht Monaten nichts. Acht Monate! Was für eine unerträgliche lange Zeit für jemanden, der sein Leben nur noch als Qual empfindet.

Menschen sollten sich nicht aus einer akuten Notlage heraus das Leben nehmen

Das ist umso schwerer erträglich, als hinter dem ministeriellen Aussitzen offenbar Kalkül steckt. Schon seit einem ebenfalls wegweisenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 hoffen Schwerstkranke auf den Zugang zu Natrium-Pentobarbital. Doch das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) hat noch keine einzige Erlaubnis erteilt. Schließlich hatte Spahns Staatssekretär im Juni 2018 an das BfArM geschrieben: "Nach intensiver Beratung im Bundesministerium für Gesundheit möchten wir Sie hiermit bitten, solche Anträge zu versagen."

Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema, keine Frage. Es rührt an grundlegende Fragen von Selbstbestimmung und Humanität. Und eine Freigabe wirft eine Menge bedeutsamer Probleme auf. So muss verhindert werden, dass Menschen sich aus einer akuten Notlage, etwa wegen einer behandelbaren Depression, das Leben nehmen. Auch muss ausgeschlossen sein, dass Menschen zum Suizid gedrängt werden oder sich nur noch als Last für ihre Angehörigen oder die Gesellschaft empfinden. Sterbehilfe anstelle von pflegerischer, psychologischer, sozialer und medizinischer Versorgung? Das darf nicht sein. Der Zugang zur Sterbehilfe kommt daher nicht ohne eine fundierte Begleitung aus, die auch Lösungswege aufzeigt. Aber diese ist möglich. Auch vor anderen heiklen Entscheidungen wie Gentests oder Schwangerschaftsabbrüchen gibt es solche verpflichtenden Beratungen längst.

Selbst wenn für all das gesorgt ist, werden aber Menschen bleiben, die ihr Leben nicht mehr lebenswert finden. Weil es nur noch Leid bedeutet. Weil Schmerzen manchmal trotz aller Errungenschaften der Palliativmedizin unerträglich bleiben. Weil es keine Zukunft mehr gibt, für die es sich zu leiden lohnt. Mitgefühl, Fürsorge und Achtung erfordern es dann, diese letzte Entscheidung zu akzeptieren und den Menschen beizustehen, statt ihnen den Ausweg aus einem leidvollen Leben zu versperren.

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