Sterbehilfe:Gut, dass dieses Gesetz gescheitert ist

Die Koalition in Berlin hat ihren Gesetzentwurf zur Sterbehilfe zurückgezogen - und das ist auch gut so. Nun sollte sich in der Debatte der Blick auf die wichtigsten Hindernisse richten, die einem menschenwürdigen Sterben entgegenstehen: die medizinische Übertherapie und die unzureichende Palliativversorgung.

Ein Gastbeitrag von Gian Domenico Borasio

Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünket: Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir lieget. (J. W. von Goethe)

Der 32-jährige Patient war an einer seltenen, aggressiven Krebsart erkrankt. Die Krankheit war fortgeschritten, die Lebenserwartung gering. Da wurde ihm die Behandlung mit einem gerade neu zugelassenen Medikament angeboten. Der Patient willigte ein. Als das Palliativteam hinzugezogen wurde, litt er nicht nur an den tumorbedingten Schmerzen, sondern zusätzlich unter Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und einem stark juckenden Hautausschlag als Nebenwirkungen der Behandlung. Er hatte ersichtlich nicht mehr lange zu leben, und es hätte dringend einer Cortisontherapie bedurft, um seine Beschwerden zu lindern.

Die behandelnden Ärzte lehnten aber ab. Sie befürchteten, dass das Cortison die erhoffte lebensverlängernde Wirkung des neuen Medikaments beeinträchtigen könnte. Der junge Patient starb qualvoll drei Tage später.

Was hat dieser traurige Fall mit Suizidhilfe zu tun? Vordergründig nichts, der Patient wollte unbedingt so lange wie möglich leben. Bei näherem Hinschauen sehr viel. Die Debatte um die Suizidhilfe, die nun dadurch eine Atempause erhalten hat, dass die Koalition ihren Gesetzentwurf zurückgezogen hat, berührt nämlich nur einen kleinen Teilaspekt der Diskussion über das Lebensende. Sie lenkt sehr erfolgreich den Blick von denjenigen Hindernissen ab, welche einem menschenwürdigen Sterben hauptsächlich entgegenstehen: die medizinische Übertherapie und die unzureichende Palliativversorgung.

In den vergangenen Jahren hat die Pharmaindustrie eine Reihe teurer Krebsmedikamente mit zum Teil nur geringer Wirkung auf den Markt gebracht. Das im obigen Beispiel erwähnte Medikament wurde 2011 zugelassen; es verlängert das Leben um etwa drei Monate, allerdings um den Preis von schweren und sehr häufigen Nebenwirkungen. Die Behandlungskosten betragen circa 100.000 Euro pro Patient.

Ließe man ähnliche Medikamente für alle zum Tode führenden Krebserkrankungen zu, ergäbe dies Ausgaben von 22,5 Milliarden Euro jährlich.

Zum Vergleich: Für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im gesamten Bundesgebiet haben die Krankenkassen 2010 gerade einmal 56 Millionen Euro ausgegeben. Das sind etwa 0,03 Prozent ihrer jährlichen Ausgaben. Dabei kann die SAPV nicht nur die Lebensqualität der Patienten verbessern, sie ermöglicht auch in mehr als 80 Prozent der Fälle ein Sterben zu Hause, was wiederum den Kassen viel Geld spart.

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