Recht:Wie andere Staaten die Sterbehilfe regeln

Sterbehilfe - Schweiz

Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital wird für die Sterbehilfe verwendet.

(Foto: dpa)

Wer darf über das eigene Lebensende bestimmen? Von Land zu Land unterscheiden sich die Gesetze - und mit ihnen die Sorgen der Gesellschaft. Drei Beispiele.

Von Berit Uhlmann

Belgien und die Niederlande - Auch Minderjährige dürfen Sterbehilfe beanspruchen

Seit 2002 gelten in Belgien und den Niederlanden Gesetze, die im Kern dasselbe besagen: Der Arzt darf einen Menschen töten, wenn dieser körperlich oder psychisch unerträglich leidet, nicht auf Besserung hoffen kann und den Sterbewunsch freiwillig und nach reiflichem Überlegen bekundet.

Zwischen zwei und vier Prozent der Todesfälle gehen in beiden Ländern auf Sterbehilfe zurück; 2300 waren es vergangenes Jahr in Belgien, 6600 im Nachbarland. Die meisten Patienten litten an unheilbarem Krebs, schweren neurologischen Erkrankungen oder einer Kombination verschiedener Leiden. Weniger als zwei Prozent der Sterbehilfe-Patienten hatte eine seelische Erkrankung.

Wenngleich die Verabreichung todbringender Medikamente weitgehend akzeptiert ist, lösen einzelne Regelungen immer wieder Kontroversen aus. Dazu gehört der freiwillige Tod von Minderjährigen. Die Niederlande erlaubten die Sterbehilfe von Anfang an für Jugendliche von zwölf Jahren an.

In Belgien können unter 18-Jährige seit 2014 Hilfe beim Sterben erhalten, sofern sie die Tragweite ihrer Entscheidung verstehen können - und zwar unabhängig von ihrem Alter. Vor einiger Zeit starb so ein neunjähriges Kind durch die Intervention eines Arztes. Insbesondere die Kirchen zeigten sich entsetzt.

Unbehagen löst zudem die Sterbehilfe für Demenzpatienten aus. In den Niederlanden können seit 2016 auch diese Patienten durch ärztliche Hilfe aus dem Leben scheiden, wenn sie den Wunsch zu einer Zeit aufschreiben, in der sie noch ihre geistigen Kräfte besitzen.

Doch vor welche Schwierigkeiten diese Regelung Mediziner und Angehörige stellt, zeigt sich in einem Fall, in dem derzeit die Staatsanwaltschaft in Den Haag ermittelt. Eine ältere Dame hatte für den Fall um Sterbehilfe gebeten, dass sie einmal an schwerer Demenz leiden sollte. Als die Situation tatsächlich eintrat, machte sie widersprüchliche Angaben zu ihrem Todeswunsch und schien den Begriff Sterbehilfe nicht mehr zu verstehen. Dennoch gab ihr ein Arzt das Gift. Ärzte haben mehrfach davor gewarnt, dass durch die Ausweitung der Sterbehilfe wehrlose Menschen getötet werden könnten.

USA - In Oregon haben sich Befürchtungen nicht bewahrheitet

Die USA haben keine einheitliche Regelung zur Sterbehilfe. Und doch gehört der Bundesstaat Oregon zu den wenigen Regionen der Welt, aus dem es langjährige Erkenntnisse zum sogenannten ärztlich assistierten Suizid gibt.

Bei dieser Form der Sterbehilfe darf der Mediziner das todbringende Medikament nicht selbst verabreichen, sondern nur verschreiben. Die Suizidbeihilfe in Oregon ist seit 1997 an strenge Voraussetzungen gekoppelt. Der Patient muss volljährig und urteilsfähig sein, in Oregon wohnen und an einer unheilbaren Krankheit leiden, die nach Auffassung von zwei Ärzten innerhalb von sechs Monaten zum Tod führt.

Von Befürwortern des assistierten Suizids wird das Beispiel Oregon gerne zitiert, denn viele der Befürchtungen, die Kritiker im Vorfeld geäußert hatten, bewahrheiteten sich nicht. Die Regelung löste keinen Dammbruch aus. Die Zahl der Menschen, die das Medikament schluckten, nahm in den vergangenen 20 Jahren zwar zu, blieb aber mit etwa 0,2 Prozent aller Todesfälle vergleichsweise niedrig. Das Alter lag im Mittel bei 74 Jahren.

Auch die Sorge, dass der Freitod vor allem für arme und medizinisch schlecht versorgte Menschen zur Option werden könnte, erwies sich als unbegründet. Die meisten Patienten waren gut gebildet, finanzielle Gründe spielten kaum eine Rolle beim Sterbewunsch. Auch Schmerzen oder andere Symptome schwerster Krankheit wurden nur in einer Minderheit der Fälle als Motiv genannt; die meisten Sterbewilligen hatten bereits palliativmedizinische Hilfen erhalten.

Begleitende Befragungen sprechen dafür, dass es den Patienten mit ihrem Sterbewunsch in erster Linie um Selbstbestimmung geht. Als Motive nannten die Patienten die Unfähigkeit, an freudvollen Aktivitäten teilzunehmen sowie dem Verlust von Autonomie und Würde.

Etwa ein Drittel von denen, die das Rezept erhielten, nahmen das Medikament nicht ein. Auch dies könnte dafür sprechen, dass es den Betroffenen eher um das Gefühl geht, die Kontrolle über den eigenen Tod zu haben. Zwischenzeitlich ist der assistierte Suizid in sechs weiteren US-Staaten zulässig.

Schweiz - Hunderte Ausländer reisen zum Sterben ins Land

In der Schweiz ist die Sterbehilfe nicht explizit durch ein Gesetz geregelt. Es ist lediglich festgelegt, dass sich strafbar macht, wer einen anderen tötet oder aus "selbstsüchtigen Beweggründen" beim Sterben hilft. Daraus wird die Rechtsauffassung abgeleitet, dass der assistierte Suizid legal ist, solange er aus altruistischen Motiven erfolgt. Im Gesetz sind keine Voraussetzungen für diesen Akt festgelegt.

Die fehlenden Regelungen ebneten den Sterbehilfeorganisationen den Weg. Dass sie zum Teil auch Ausländer zum Sterben in die Schweiz holen, ist auch im Land nicht gern gesehen. In Großbritannien ist die Redewendung "in die Schweiz fahren" bereits ein Synonym für Selbsttötungen. Dem Image der Schweiz schadet das.

Dennoch haben die Organisationen eine Menge Zulauf; der größte Verein "Exit Deutsche Schweiz" zählt mehr als 100 000 Mitglieder. Am Ende scheidet allerdings nur ein Bruchteil der Registrierten mithilfe einer der Organisationen aus dem Leben. Etwa 700 Schweizer sind es pro Jahr - weniger als ein Prozent aller Gestorbenen. Hinzu kommen mehr als 200 Ausländer, die meisten werden vom Verein Dignitas begleitet. 2017 half die Organisation 215 Nicht-Schweizern beim Weg in den Tod. Am häufigsten nahmen Deutsche die Sterbehilfe in Anspruch, gefolgt von Briten und Franzosen.

Um die fehlenden rechtlichen Kriterien auszugleichen, haben die Schweizer Ärzte Richtlinien entworfen. Erst in diesem Jahr wurden sie aufgeweicht. Sterbehilfe kann demnach nicht mehr ausschließlich Totgeweihten gewährt werden, sondern allen Menschen, die an Symptomen leiden, die ihre Lebenssituation unerträglich erscheinen lassen. Diese Regeln machten es zum Beispiel möglich, dass vor Kurzem ein 104-jähriger australischer Wissenschaftler mit Schweizer Hilfe starb. Er war gebrechlich, fast blind, aber eben nicht tödlich erkrankt. Der Fall wurde kontrovers diskutiert.

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