Stammzellforschung:Mini-Organe

In den Labors der Stammzellforscher wachsen mittlerweile menschliche Organe im Miniaturformat nach. Solche Organoide könnten eines Tages sogar Därme heilen und Lebern regenerieren.

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Mini-Darm

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Forschung braucht Zeit. Das zeigen gerade auch die aktuellen Entwicklungen. Die ersten Erkenntnisse, die zur Entwicklung der Darm-Organoide durch holländische Wissenschaftler beigetragen haben, sind zum Beispiel 270 Jahre alt: Sie stammen aus der Doktorarbeit des Mediziners Johann Nathanel Lieberkühn. Der deutsche Gelehrte hatte Wachspräparate von menschlichen Innereien angefertigt und beschrieb auf der Außenseite des Dünndarms zahllose winzige Ausstülpungen, die er Krypten nannte. Tatsächlich sind es, vom Inneren des Organs gesehen, Versenkungen zwischen den Darmzotten, aus denen kontinuierlich neue Zellen ausgetrieben werden. Gebildet werden sie von den Stammzellen der Krypten, die ganz im untersten Punkt der Krypten sitzen. Und wie vor sechs Jahren erstmals gezeigt werden konnte, sind diese Stammzellen auch in einem räumlichen Gel zu dieser steten Produktion in der Lage. Sie bilden dabei eine Art dreidimensionalen Stern. Innen ist das Gebilde hohl - dieser Hohlraum entspricht dem Darminneren. Hier würden sich nach einiger Zeit auch die abgestorbenen Zellen sammeln, die durch den steten Nachschub anfallen. Irgendwann geht so ein Mini-Darm dann auch einfach kaputt. Erstaunlicherweise öffnen sich die kleinen Gebilde aber auch von selbst, wenn sie auf eine löchrige Darmschleimhaut treffen: Dann heften sich die Gewebestückchen an die Ränder der Wunde, bis sie das Loch nach und nach wie ein Pflaster geschlossen haben. Allmählich passt sich das neue, noch ziemlich flache Gewebe dann seiner Umgebung - der Nische - an. Es bildet also napfartige Versenkungen, an deren unterem Ende die Stammzellen ihre Produktion aufnehmen, als seien sie noch nie woanders gewesen. Von allen neu entwickelten Organoiden sind die Mini-Därmchen wohl jene mit der größten Aussicht darauf, als Therapie in Patienten eingesetzt zu werden. Zum einen lassen sich die Zellen für die Organoide problemlos durch eine Biopsie entnehmen. Zum anderen bergen adulte Stammzellen nicht das Risiko der Alleskönner-Stammzellen, Tumore zu bilden. Trotzdem wird es noch Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis ein solcher Ansatz die Kliniken erreicht.

Texte: Kathrin Zinkant

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Kleine Mägen

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Obwohl der Magen gar nicht weit vom Dünndarm entfernt sitzt und ebenfalls ein Organ ist, das sich in einem erwachsenen Menschen sehr schnell erneuert, nämlich binnen fünf bis sechs Tagen, werden Mini-Mägen bislang vor allem aus embryonalen Stammzellen oder aus iPS-Zellen gewonnen. Ein Grund dafür ist, dass man zwar die adulten Stammzellen des Magens gefunden hat. Auch sie sitzen in Ausstülpungen der Magenschleimhaut, aus der stetig neue Zellen zur Oberfläche aufsteigen. Noch nicht entdeckt sind allerdings die Tricks, mit denen man die Stammzellen eines Patienten zur Bildung von säureproduzierenden Zellen des vorderen Magenabschnitts bringen könnte. Der menschliche Magen bildet im Tierreich eine Besonderheit, denn er lässt sich schlichtweg schwieriger untersuchen als andere Organe. Mit den Alleskönnern ist es Forschern aus Cincinnatti inzwischen aber gelungen, zumindest den hinteren, schleimbildenden Teil des Magens als Organoid im Labor wachsen zu lassen. Nach eigener Aussage wissen die Wissenschaftler inzwischen auch, wie sie den vorderen, säuerbildenden Abschnitt in der Petrischale entwickeln können. Bis aus den halben Organoiden ein vollständiges Werk entstehen kann, wird es aber gewiss noch eine Weile dauern.

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Mini-Brüste

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Die Vorstellung eines winzigen Busens in der Petrischale mag sicher noch befremdlicher erscheinen als die eines kleinen Darms. Tatsächlich gehört das Gewebe der Brust zu jenen Zellarten, mit denen schon am längsten in dreidimensionaler Kultur experimentiert wird. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass Brustkrebs bei Frauen immer noch eine sehr häufige Todesursache ist. Auch Brustgewebe erneuert sich dabei über das ganze Leben einer Frau hinweg, allerdings wussten Forscher nicht genau, welche Zellen für diesen Nachschub und möglicherweise auch für die häufige Krebsentstehung verantwortlich sind. Erste Mini-Drüsen entstanden bereits 2007. Vor zwei Monaten gelang es erstmals Wissenschaftlern vom Helmholtz Zentrum in München , direkt aus dem Brustgewebe von Patientinnen kleine Organoide zu entwickeln. Die Zellen wurden im Rahmen von Brustverkleinerungen gewonnen. Die Forscher konnten tatsächlich die gesuchten Stammzellen isolieren und hoffen nun, dass ihr neues Modell Aufschluss über die Entstehung von Krebs liefern kann. Und vielleicht wird es eines Tages auch möglich sein, die operierten Brüste von Krebspatientinnen zumindest teilweise aus solchen Organoiden zu rekonstruieren.

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Mini-Prostata

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Ähnlich wie die Brust bei der Frau ist die Vorsteherdrüse des Mannes sehr anfällig für Krebserkrankungen. Forscher versuchen deshalb schon lange, ein räumliches Krankheitsmodell aus menschlichen Zellen zu schaffen. Es gelang zwar immer wieder, kleine Prostatasphären zu schaffen, rundliche Gebilde aus den gewünschten Zellen, aber sie zeigten nicht die differenzierte Struktur des echten Organs und reagierten auch nicht auf männliche Hormone. Erst im vergangenen Oktober haben Forscher aus New York eine Arbeit darüber veröffentlicht, wie sich echte Organoide aus adulten Stammzellen der Prostata erschaffen lassen. Verantwortlich für die stete Erneuerung des wichtigen Männerorgans sind zunächst Zellen, die im Inneren der Prostata liegen. Selbst einzelne dieser Stammzellen sind in der Lage, vollständige Organoide wachsen zu lassen. Die Wissenschaftler zeigten auch, wie sich in diesen winzigen Prostata-Modellen Tumore bilden lassen. Für die Krebsforschung kann das von unschätzbarer Bedeutung sein.

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Mini-Gehirn

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Kein Organoid hat so viel Aufsehen erregt wie das erste Mini-Gehirn aus menschlichen Zellen. Wenn man den Forschern glaubt, war die sensationelle Entdeckung aber purer Zufall: Eigentlich drehte sich das Experiment darum, eine bestimmte Entwicklungsstufe von Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen zu gewinnen. Plötzlich schwammen in der Zellsuppe milchige kleine Bällchen herum. Unter dem Mikroskop entdeckten die Wissenschaftler dann dunkle Flecken auf der Oberfläche der wenige Millimeter großen Klümpchen - sie erwiesen sich als pigmentierte Zellen, wie sie in der Netzhaut des Auges zu finden sind. Sie entstehen im Zuge der Embryonalentwicklung aus den Zellen des sehr jungen embryonalen Gehirns. Ein Querschnitt der Zellgebilde offenbarte schließlich, dass die Wissenschaftler tatsächlich ein kleines Gehirn geschaffen hatten: Es enthielt alle Schichten des Denkorgans, die sich nach einigen Wochen im Fötus formen. Zuvor war es zwar schon gelungen, dreidimensionale Modelle der Großhirnrinde zu gewinnen. Aber ein ganzes kleines Gehirn? Inzwischen haben die Wissenschaftler vom Institut für molekulare Biotechnologie in Wien ein Protokoll erarbeitet, um die Minihirne aus induzierten pluripotenten Stammzellen zu gewinnen. Damit können auch Patientenspezifische Organoide hergestellt werden. Zahllose Krankheiten des Denkapparats lassen sich mithilfe dieser Organoide untersuchen. Ein Punkt betonen die Wissenschaftler allerdings immer wieder: Die Minihirne entwickeln sich von Fall zu Fall recht unterschiedlich. Es ist auch umstritten, inwieweit diese Organoide wirklich dem angenommenen Entwicklungsstand eines etwa neun Wochen alten Fötus entsprechen. Dass ein solches Minihirn womöglich denkt oder fühlt, schließen aber alle beteiligten Forscher vehement aus - weil das Organoid weder Nervensignale von außen erhält, noch welche nach außen aussendet. Es ist auch ausgeschlossen, dass die Organoide irgendwann die Größe eines Säuglingsgehirns erreichen. Dem Organoid fehlt wie allen Mini-Organen die dafür nötige Blutversorgung. Die Gebilde erreichen deshalb eine Größe von etwa vier Millimetern und hören dann auf zu wachsen. Sie lassen sich allerdings viele Monate am Leben erhalten und untersuchen. Zu den Forschungsinteresse gehört dabei unter anderem, die Regenerationsfähigkeit des Gehirns. Es gilt inzwischen als sicher, dass auch das Gehirn eines Erwachsenen noch adulte Stammzellen enthält, die neue Nervenzellen bilden. Diese Quelle der Verjüngung wollen Forscher genauer beleuchten, um sie zum Beispiel durch Medikamente in ihrer Aktivität steuern zu können. Gerade für Krankheiten, die mit einem Niedergang von Neuronen im Gehirn verbunden sind, wie Alzheimer oder Parkinson, kann dies von Bedeutung sein. Andererseits gibt es gerade in der embryonalen Entwicklung des Gehirns Störungen, die noch schlecht erforscht sind. Dazu gehört die sogenannte Mikroenzephalie, bei der das Gehirn nicht richtig wächst. Die Wiener Forscher haben bereits damit begonnen, den Ursachen dieser schweren Erkrankung mithilfe der Organoide auf die Spur zu kommen.

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Mini-Lebern

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Neben den Minidärmen gibt es noch einen zweiten aussichtsreichen Kandidaten für die therapeutische Anwendung von Organoiden: Mini-Lebern. Sie sind zwar noch weit von der massigen, mehrlappigen Struktur des Originals entfernt. Aber die vor zwei Jahren aus induzierten pluripotenten Stammzellen entwickelten Leberknospen könnten nach Aussage der verantwortlichen Forscher schon binnen vier Jahren an Patienten getestet werden - und zwar an Kindern, die dringend, aber vergeblich auf eine Lebertransplantation warten und dem Tod ins Auge sehen. In Mäusen ist es dank der Mini-Lebern bereits gelungen, das versagende Organ wieder zu regenerieren. Wie im Darm fanden die Knospen dabei von allein ihren Weg dorthin, wo sie benötigt wurden, dockten an, bildeten reife Leberzellen und begannen sogar, Medikamente zu verstoffwechseln - so, wie es eine normale Leber eben tut. Zugleich erspart diese Eigenschaft des Gewebes anderen Tieren das Schicksal, für ein Experiment verbraucht zu werden. Der Abbau von Arzneistoffen in der menschlichen Leber lässt sich nun direkt untersuchen.

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Mini-Nieren

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Von außen wirkt das Organ so schlicht, dass sich selbst Möbeldesigner schon etwas von der Niere abgeguckt haben. Und obwohl es bei jedem Menschen in doppelter Ausführung vorhanden ist, reicht ein Exemplar in der Regel zum Überleben aus. Dennoch das Organ lebenswichtig und ziemlich kompliziert gebaut. Mehr als 25 verschiedenen Arten von Zellen finden sich in der Niere, die in ihrer Funktion bis heute noch gar nicht vollständig verstanden ist. Aber auch hier sollen Organoide Abhilfe schaffen: Drei Jahre lang knobelten Wissenschaftler im australischen Parkville an der richtigen Mixtur von Substanzen, um aus embryonalen Stammzellen zunächst adulte Vorläuferzellen aus der Niere zu gewinnen. Tatsächlich kam es anders, und die Forscher entdeckten in ihren Kulturen unverhofft kleine Gebilde, deren Zellen sich wie in der sich entwickelnden Niere eines Embryos zusammenfügten. In einen Körper verpflanzen lassen sich solche Nieren-Organoide natürlich nicht, dazu sind sie viel zu schlicht. Aber wie in so vielen anderen Mini-Organen lassen sich in solchen menschlichen Kulturmodellen immerhin Medikamente testen. Viele Arzneien sind giftig für die Niere und werden deshalb rigoros an Tieren getestet. Das Team will nun versuchen, in Mäusen etwas elaboriertere Nieren herzustellen, mit Blutgefäßen und einem sogenannten Interstitium. Die Forscher möchten diese Organe dann auch einpflanzen, um zu sehen, ob die Nieren Urin produzieren können.

© SZ vom 28. August 2015
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