Sprachentwicklung von Babys:Hallo, Firagerofidugekafitogeri!

Babys können theoretisch drei oder vier Sprachen verarbeiten, ohne in ihrer Entwicklung merklich gebremst zu werden. Wie das möglich ist, konnten Wissenschaftler jetzt zeigen.

Von Christopher Schrader

Wer fremden Sprachen zuhört, kann oft nicht einmal erkennen, wo die Wörter beginnen und aufhören. Die Silben prallen in einem ununterbrochenen, unverständlichen Strom auf die Ohren. Das geht auch Babys so, wenn ihre Eltern mit ihnen sprechen; und doch filtern sie bald die Regeln aus dem Sprachbrei - selbst dann, wenn Vater und Mutter in grundverschiedenen Sprachen auf sie einreden. "Die Erwachsenen erwarten ganz selbstverständlich und zu Recht, dass ihre Kinder die Sprache allein durch Zuhören erwerben", sagte der Psychologe Steven Pinker von der Harvard-Universität am Wochenende auf der Jahrestagung der Wissenschaftsorganisation AAAS in Boston.

Wie Babys den Lautteppich ordnen, welche Hinweise und Regeln sie benutzen, haben die Psychologinnen Janet Werker von der Universität von British Columbia und Judit Gervain von der Pariser Sorbonne herausgefunden. Schon mit sieben Monaten lauschen die Kinder auf die Häufigkeit der Wörter sowie die Höhe und Länge, mit denen sie ausgesprochen werden. "Das alles passiert sehr früh und in einem begrenzten Zeitfenster", sagte Werker in Boston. "Die Kinder könnten auch drei oder vier Sprachen verarbeiten, ohne in ihrer Entwicklung merklich gebremst zu werden."

Die beiden Wissenschaftlerinnen hatten daher keine Bedenken, die kleinen Probanden neben Japanisch und Englisch, das sie von ihren Eltern hörten, noch einer Kunstsprache auszusetzen. "Firagerofidugekafitogeri", so drang es während des vierminütigen Experiments in einem fort aus den Lautsprechern. Die Silben "fi" und "ge" wiederholten sich in dem Lautteppich regelmäßig und häufig, die anderen waren seltener. Das entspricht der Struktur vieler Sprachen, in denen Bedeutungswörter, wie zum Beispiel einzelne Substantive, selten vorkommen, die verbindenden Funktionswörter wie Präpositionen aber häufig, erklärte Werker.

Allerdings ordnen verschiedene Sprachen die beiden Kategorien unterschiedlich an. Die meisten indogermanischen Sprachen stellen das Funktions- vor das Bedeutungswort: "aus München" oder "from London" heißt es, während Japanisch, Hindi und einige andere asiatische Sprachen sowie Türkisch und Baskisch die umgekehrte Reihenfolge nutzen: "Tokio kara", sagte Werker, heiße es auf Japanisch "aus Tokio".

Im Kopf passen sich dann die Hirnwellen den gehörten Lauten an, ergänzte der Psychologe und Neurowissenschaftler David Poeppel von der New York University. Die sogenannten Theta-Wellen schwingen etwa in dem Takt von 200 Millisekunden auf und ab, mit denen Silben ausgesprochen werden. "So zerhackt das Gehirn den aufgenommenen Schall in Einheiten", so Poeppel.

Die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu verarbeiten, verliert sich schnell

Die Bedeutung von Sätzen ergibt sich aber erst aus der Reihenfolge der Wörter. Die beiden Psychologinnen Gervain und Werker hatten gezeigt, dass Kinder den Sprachteppich seltener und häufiger Silben in der Kunstsprache so ordnen, wie es den Gepflogenheiten ihrer Muttersprache entspricht; sie gaben das mit Blicken nach links oder rechts zu blinkenden Lichtern zu erkennen, die sie vorher mit den beiden Möglichkeiten des Satzbaus assoziiert hatten.

Baby

Babys hören sehr genau hin, wenn ihre Eltern mit ihnen sprechen - und nehmen kleine Unterschiede im Satzbau wahr.

"Aber was passiert, wenn beide Elternteile Sprachen sprechen, bei denen die Satzstellung unterschiedlich ist?", fragte Werker in Boston. "Die Kinder brauchen andere Hinweise." In ihrer aktuellen Studie hat sie sie gefunden (Nature Communications, online).

Es stellt sich nämlich heraus, dass Japaner oder Inder die seltenen Bedeutungswörter mit einer höheren Stimmlage versehen als die häufigeren Funktionswörter. Engländer oder Kanadier hingegen sprechen die Substantive gedehnter aus als die Präpositionen; Prosodie werden solche Elemente der Satzmelodie zusammenfassend genannt.

So konnten auch die 24 zweisprachig aufwachsenden Kinder im Alter von sieben Monaten die entsprechend veränderte Silbenfolge der Kunstsprache auf beide Weisen in sinnvolle Einheiten aufspalten. Einsprachig aufgewachsene Babys haben diese Fähigkeit mit sieben Monaten dagegen schon weitgehend verloren, sie können mit der "falschen Prosodie" nichts mehr anfangen.

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