Sozialmediziner:"Gute Heilpraktiker kennen ihre Grenzen"

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Stefan Willich ist Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité in Berlin und Gründungspräsident der Europäischen Gesellschaft für integrative Medizin. (Foto: N/A)

Der Berliner Sozialmediziner Stefan Willich erklärt, was sich ändern muss, damit Patienten nicht in Gefahr geraten.

Interview von Hanno Charisius

SZ: Herr Willich, warum gehen Menschen zum Heilpraktiker anstatt zum Arzt?

Stefan Willich: Ich denke, sie erhoffen sich dort vor allem etwas weichere Formen des medizinischen Angebots und einen eher ganzheitlichen Therapeuten-Patientenkontakt.

Also sind Heilpraktiker - einfach gesagt - so beliebt, weil sie häufig als sanft geltende pflanzliche Arzneimittel oder Homöopathie verordnen und weil sie ihren Patienten länger zuhören können als Ärzte?

Sagen wir, sie füllen eine Lücke im Bedürfnis vieler Patienten, die viele Ärzte bisher vernachlässigt haben. Heilpraktiker haben seit Langem ihren Platz im deutschen Gesundheitssystem, und ich denke, es gibt Argumente dafür und dagegen. Dafür spricht, dass Heilpraktiker Angebote haben, die die Schulmedizin potenziell sinnvoll ergänzen könnten.

Nämlich?

Ich meine damit zum Beispiel manche pflanzlichen Arzneimittel oder Akupunktur, die bereits gut erforscht sind. Aber es gibt eben auch sehr viele andere therapeutische Methoden, hinter denen große Fragezeichen stehen, weil die wissenschaftliche Evidenzbasis häufig sehr dünn ist.

Bislang dürfen Heilpraktiker in Deutschland anbieten, was nicht ausdrücklich verboten ist. Die Todesfälle in Brüggen in Nordrhein-Westfalen zeigen, wie gefährlich diese Regelung ist. Wäre eine Positivliste mit den Verfahren, die Heilpraktiker einsetzen dürfen, nicht eine bessere Lösung - gerade im Sinne der Patienten?

Ich halte nicht viel von Positivlisten, die wären auch sehr kurz, wenn man eine wissenschaftlich belegte Wirksamkeit als Voraussetzung nimmt.

Was wäre die Alternative?

Meiner Meinung nach sollte man bei der Ausbildung ansetzen. Die ist bislang nicht geregelt, Anwärter müssen nur eine staatliche Prüfung ablegen. Das reicht häufig nicht aus, um das eigene Tun sinnvoll einschätzen zu können und die Grenzen der eigenen Fähigkeiten zu kennen. Es gibt ja eine Reihe von Heilpraktikerverbänden, die könnten standardisierte Ausbildungsgänge entwickeln, die jeder Anwärter durchlaufen muss, gefolgt von regelmäßiger Überprüfung des Wissensstandes, vielleicht alle fünf bis zehn Jahre.

Bis es solche neuen Ausbildungsgänge gibt: Wie unterscheidet man einen schlechten Heilpraktiker von einem guten?

Ich glaube, dass es viele Heilpraktiker gibt, die sehr gute und wichtige Arbeit leisten, basierend auf einer fundierten Ausbildung. Allerdings bislang nur auf ihre eigene Initiative. Gute Heilpraktiker kennen ihre Grenzen und wissen, wann es an der Zeit ist, ärztliche Spezialisten einzubeziehen. Aber ohne qualitätsgesicherte Ausbildungsprogramme mit einem entsprechenden Zertifikat stehe ich vor dem Praxisschild und kann daraus wenig ablesen.

Wie findet man dann einen guten Heilpraktiker?

Der subjektive Eindruck ist wichtig, aber der kann trügerisch sein. Wenn fundamentales Fachwissen fehlt, kann die Situation gefährlich werden, selbst wenn der Patient sich noch so wohlfühlt. Zudem werden im Internet unseriöse und sogar kriminelle Therapieangebote verbreitet. Skrupellose oder sich selbst überschätzende Heiler spielen mit den Hoffnungen und Ängsten der Patienten und machen Angebote, deren Wirkungen und Risiken in keiner Weise untersucht sind und die zudem häufig viel kosten.

Haben nicht auch Ärzte manchmal damit Schwierigkeiten, die Grenzen ihres Wissens zu beurteilen?

Natürlich müssen sich auch Ärzte selbstkritisch fragen, wie gut sie ausgebildet sind, um den jeweiligen Patienten angemessen zu behandeln. Jeder Arzt und Wissenschaftler wird sich auch an Fälle erinnern, wo sich Ärzte fachlich überschätzt haben.

Wer sollte denn künftig die Kosten für eine Heilpraktikerbehandlung übernehmen?

Solange der wissenschaftliche Nachweis für die Wirksamkeit und Sicherheit einer Behandlung fehlt, sollte sie weiter persönlich vom Patienten bezahlt werden. Würde das ernsthaft umgesetzt, wäre es zudem ein guter Indikator für den Patienten: Keine Kassenleistung, also gibt es auch noch keinen ausreichenden objektiven Wirknachweis.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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