Snus und die E-Zigarette:Die gesunden Alternativen zur Zigarette?

Selbst einige Wissenschaftler sind überzeugt: Wenn schon nikotinabhängig, dann sollten Süchtige lieber auf Snus oder die E-Zigarette ausweichen. Doch womöglich macht der Griff zu diesen Tabakprodukten alles nur noch schlimmer.

Berit Uhlmann

Damit hatte wohl niemand gerechnet: Während seit Jahrzehnten weltweit an Strategien gegen das Rauchen geforscht wird, geraten ausgerechnet eine schwedische Altmännersitte und die Erfindung eines chinesischen Tüftlers in den Ruf, Heilsbringer im Kampf gegen die Zigarette zu sein.

SWEDISH GIRL TRIES SNUFF IN STOCKHOLM

Er raucht nicht, er stinkt nicht: Snus wird mit der Botschaft "Genuss überall" beworben. Doch sein Einsatz im Kampf gegen den Zigarettenkonsum mehr als fraglich.

(Foto: REUTERS)

Der schwedische Lutschtabak Snus und die in China entwickelte elektronische Zigarette gelten einigen Wissenschaftlern als weniger gesundheitsschädlich als Zigaretten und darüber hinaus als geeignet, mehr Menschen vom Rauchen abzubringen als Aufklärung oder Nikotinpflaster. Liegt die Rettung für Raucher tatsächlich im Snus-Lutschen und elektrischem Dampfen?

Seit etwa 20 Jahren richten Gesundheitsstrategen ihren Blick auf Schweden. Der Zigarettenkonsum geht in dem skandinavischen Land kontinuierlich zurück, es hat heute die niedrigste Raucherquote innerhalb der EU. Die Ursache dafür wollen einige Wissenschafter unter der Oberlippe vieler Schweden ausgemacht haben: Snus, ein kleines Säckchen voll Tabak, das fest ans Zahnfleisch geklemmt Nikotin abgibt und populärer als die Zigarette ist.

War der Tabakbeutel ursprünglich nur unter älteren Männern verbreitet, schieben ihn sich heute vor allem junge Menschen in den Mund. Insgesamt 19 Prozent der schwedischen Männer konsumieren regelmäßig Snus, nur elf Prozent rauchen, bilanziert das Journal of the National Cancer Institute und zitiert mehrere Forscher, die darin einen Zusammenhang sehen.

Doch nicht alle glauben an den vermeintlichen Segen aus Schweden. Martina Poetschke-Langer vom Heidelberger Krebsforschungsinstitut ist der Ansicht, dass nicht der Snus-Konsum, sondern die umfangreichen Präventionsprogramme des Landes für die sinkenden Raucherzahlen in Schweden verantwortlich sind.

Zudem bezweifelt die Wissenschaftlerin, dass mit einem Wechsel zu dem rauchlosen Tabak viel gewonnen wäre: "Zwar ruft Snus anders als Zigaretten offenbar keinen Lungenkrebs hervor", sagt sie und räumt ein, dass Schweden eine der niedrigsten Lungenkrebsraten der Industrienationen hat. Allerdings gebe es "sehr sichere Hinweise darauf, dass der Snus-Konsum die Entwicklung von Krebs der Bauchspeicheldrüse fördert". Dem Krebsforschungsinstitut zufolge wurden im Snus 28 krebserregende Substanzen in unterschiedlichen Konzentrationen gefunden, Zigarettenrauch enthält etwa 90 Kanzerogene.

Skeptisch sehen auch die meisten Gesundheitsbehörden innerhalb der EU den rauchlosen Tabak. Snus darf EU-weit nicht verkauft werden. Allein Schweden erwirkte eine Ausnahme und kämpft darum, das EU-Verkaufsverbot zu kippen. Liebhaber der Tabakbeutel gibt es allerdinges auch in Deutschland, Snus wird im Internet angeboten, der Konsum ist legal.

Die Strategie der Tabakkonzerne

Anders ist die Situation in den USA. Die großen Tabakkonzerne sind in die Snus-Produktion eingestiegen. Sie vermarkten den Lutschtabak landesweit und teilweise auch in Schweden. Und spätestens seitdem die Rechnung mit der Zigarettenindustrie gemacht werden muss, ist Snus' Eignung im Kampf gegen den Zigarettenkonsum mehr als fraglich.

Snus und die E-Zigarette: Ein kleines Säckchen, das fest ans Zahnfleisch geklemmt Nikotin abgibt und populärer als die Zigarette ist: der schwedische Lutschtabak Snus.

Ein kleines Säckchen, das fest ans Zahnfleisch geklemmt Nikotin abgibt und populärer als die Zigarette ist: der schwedische Lutschtabak Snus.

(Foto: AFP)

So stießen Harvard-Forscher bei einer Auswertung interner Dokumente der Tabakkonzerne auf sehr deutliche Äußerungen: British American Tobacco identifizierte als primäre Zielgruppe "Raucher, die andernfalls aufhören würden oder in bestimmten Situationen nicht rauchen können oder wollen". Philip Morris kam durch eine Marktanalyse zu dem Schluss, dass "Raucher Snus vor allem zu den Zeiten nutzen, in denen sie nicht rauchen können".

Camel-Produzent Reynolds gab als Ziel vor: Der rauchlose Tabak müsse "klar als Zigaretten-Ersatz für bestimmte Situationen und nicht als dauerhaftes Rauch-Substitut positioniert werden. Die Hervorhebung von zusätzlichen Vorteilen (z. B. kein Geruch, kein Passivrauchen) kann Rauchern helfen, den Konsum eines Produktes zu rationalisieren, von dem sie lieber nicht zugeben würden, dass sie es brauchen."

Dass diese Strategie konsequent in der Vermarktung fortgesetzt wurde, zeigt eine Analyse von Reynolds' Werbekampagnen, die Wissenschaftler der University of California vorlegten. Camel-Snus wurde seit Markteinführung 2006 fast ausschließlich mit Fotos beworben, in denen junge, ansehnliche Menschen ihr Tabak-Päckchen in Bars, bei Rockkonzerten oder auf Flughäfen hervorholten - Orten also, an denen Rauchen verboten oder unerwünscht ist. "Genuss überall", war eine der häufigsten Botschaften.

Eine Untersuchung von Wissenschaftlern der University of Medicine and Dentistry of New Jersey legt sogar nahe, dass der amerikanische Snus gezielt als Rauchersatz für bestimmte Situationen entwickelt wurde. Marlboro Snus offenbarte darin einen deutlich geringeren Nikotingehalt als das schwedische Original. Die Forscher vermuten, Philip Morris könnte das Produkt so designt haben, dass es die Nikotinsucht nicht ausreichend befriedigt, um Rauchern den kompletten Wechsel zu Snus zu ermöglichen.

All diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass Raucher animiert werden sollen, nicht Snus statt Zigaretten, sondern Snus und Zigaretten zu nutzen. Solchen Nikotinkonsum über mehrere Kanäle sehen Experten mit Sorge: Menschen, die Nikotin aus mehreren Quellen konsumieren, haben nicht nur größere Gesundheitsrisiken als ausschließliche Zigarettenraucher, sie entwickeln meist auch eine stärkere Abhängigkeit. "Von zwei Nikotinquellen loszukommen, ist ungleich schwieriger, als von einer", sagt Martina Poetschke-Langer. Michael Siegel von der Boston University School of Public Health wird deutlicher: "Die Wahrheit über Snus in den USA ist, dass die Tabakkonzerne ihre Kunden vom Aufhören abhalten wollen."

Auch E-Zigaretten sind gesundheitsbedenklich

Etwa zur gleichen Zeit, als Big Tobacco in den USA die Snus-Vermarktung begann, entwickelte ein Chinese, der zuvor an Ginseng-Präparaten geforscht hatte, einen zigarettenförmigen Nikotin-Verdampfer. Seine elektronische Zigarette sieht aus wie ihr herkömmliches Pendant. Sie verbrennt jedoch keinen Tabak, sondern verdampft per Batterieantrieb Nikotin. Vom Snus unterscheidet sie sich in vielerlei Hinsicht, vor allem aber dadurch, dass die Tabakkonzerne mit ihr nichts zu tun haben.

Genau dieser Umstand lässt einige Forscher hoffen: So propagierten Wissenschaftler aus Berkeley und Boston im Journal of Public Health Policy E-Zigaretten als "vielversprechendes Mittel zur Rauchentwöhnung". Michael Siegel von der Boston University sagt: Hersteller, die nicht zur Zigarettenindustrie gehören, "haben einen echten Anreiz, Menschen zum Rauchstopp zu bewegen".

Hinzu komme: Anders als Nikotinkaugummis und Snus bietet die E-Zigarette Süchtigen nicht nur das Nikotin, das ihr Körper verlangt, sondern ermöglicht auch gewohnte Verhaltensweisen, die die Psyche beruhigen. Dass die E-Zigarette neben der normalen Zigarette zu einer doppelten Nikotin-Abhängigkeit führen werde, hält Siegel für wenig wahrscheinlich. Eine wenngleich nicht repräsentative Nutzerbefragung habe gezeigt, dass die Konsumenten es als eher unpraktisch empfinden, die Dampf-Ausrüstung und Zigaretten stets dabeizuhaben und beides intensiv zu nutzen.

Was das Gefährdungspotential der E-Zigarette angeht, sieht Siegel sie eher in der Kategorie der Nikotinkaugummis. Dennoch will er seinen Vorstoß nicht als Freispruch für die derzeitig auf dem Markt befindliche E-Zigarette verstanden wissen. Denn der Fakt, dass die Tabakkonzerne nicht beteiligt sind, gereicht dem Produkt nicht nur zum Vorteil.

Der Markt ist unübersichtlich, es gibt Wildwuchs und Wirrwarr. Die meisten Hersteller sitzen in China, ihre Ware wird von einer Vielzahl von Händlern zumeist über das Internet angeboten. Wer Informationen über die Hersteller sucht, stößt vor allem auf Skurrilitäten: So versucht Ruyan, die Firma des E-Zigarettenerfinders, auf der deutschen Website mit einer Sicherheitsüberprüfung durch die "Akademie der militärischen Medizinen" zu überzeugen und wirbt mit dem Erhalt des "speziellen Preises der Leistung des Bürgersinnes für nationale Marke" sowie dem Besuch von "Reuter, eine Hauptströmung Media".

Als Wissenschaftler der University of California Produkte von sechs unterschiedlichen Marken testeten, kam eine lange Mängelliste heraus: Bestellungen wurden falsch ausgeliefert, der Nikotingehalt war unklar, Gebrauchsanleitungen waren falsch zugeordnet, die Kartuschen leckten, sodass nikotinhaltige Flüssigkeit auf die Hände der Nutzer oder ihre Umgebung tropfte. Welche Folgen dies haben kann, ist ebenso unklar wie die korrekte Entsorgung der leeren Patronen.

Gerade die fehlenden Standards in dem Produkt machen es schwierig, Potential und Gefährlichkeit einzuschätzen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA warnt ausdrücklich vor E-Zigaretten. In den Produkten hat sie Karzinogene wie Nitrosamine und in einem Fall die giftige Chemikalie Diethylenglycol gefunden. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung äußert sich etwas zurückhaltender und rät "zur Vorsicht im Umgang mit dem Produkt" sowie dazu, sich vor Nutzung der E-Zigaretten als Rauchstopp-Hilfe durch einen Arzt beraten zu lassen.

Deutsche Mediziner kommentieren den amerikanischen Vorstoß für die Entwöhnung per E-Zigarette mit Ironie: So wurde im Deutschen Ärzteblatt als "logisch nächste Innovation" die "iCigarette" vorgeschlagen: Eine zigarettenförmige Kombination aus einem Peak-Flow-Meter (einem Gerät zur Messung der Lungenleistung) und einem iPhone, die Nutzern über Kopfhörer suggeriert "wie sexy ihn das Saugen am Kunstdaumen macht".

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