Die klassische Armbanduhr wird an vielen Handgelenken mittlerweile von einer Smartwatch abgelöst. Das liegt auch daran, dass die schlauen Uhren etwas vermögen, das ihre mechanischen Vorläufer nicht leisten können: zum Beispiel Schritte zählen und das Herz überwachen. Aber wie sinnvoll ist das eigentlich? Der Herzspezialist Konstantinos Rizas vom Klinikum der Universität München forscht zu dieser Frage.
SZ: Wie viele Ihrer Patientinnen und Patienten nutzen bereits eine Smartwatch oder einen Fitnesstracker?
Konstantinos Rizas: Außerhalb unserer Studien dürften das etwa fünf bis zehn Prozent sein. Wir behandeln vornehmlich ältere Patienten in der Kardiologie, bei ihnen ist die Begeisterung, solche Geräte anzuwenden, nicht ganz so groß wie bei jüngeren. Aber wenn sie sie benutzen, dann nehmen sie die Anwendung in der Regel sehr viel ernster.
Wäre es sinnvoll, dass mehr Menschen solche Geräte tragen?
Wir haben in der Covid-19-Pandemie gemeinsam mit der Versicherungskammer Bayern eine Studie mit rund 5500 Menschen zwischen 50 und 90 Jahren vorgenommen. Niemand von den Probanden hatte eine bekannte Herzrhythmusstörung. Wir haben die Testpersonen per Los in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe hat sechs Monate lang täglich zweimal mit einem Smartphone ihren Puls gemessen, die Übrigen sind ganz normal zu Kontrolluntersuchungen zum Hausarzt gegangen. In der Gruppe mit den Smartphones wurde doppelt so häufig Vorhofflimmern entdeckt wie in der anderen Gruppe. Unter den älteren Teilnehmern zwischen 65 und 70 Jahren sogar dreimal so häufig. Solche Rhythmusstörungen erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall. Der Vorteil ist also: Wenn man sie entdeckt, kann man den Patienten Blutverdünner verschreiben, um einen Schlaganfall zu verhindern.
Mit dem Smartphone muss man seinen Puls aktiv messen, bei den neuen Smartwatches läuft die Überwachung hingegen passiv am Handgelenk ab. Dabei gibt es aber immer mal wieder Fehlalarm.
Ja, das kann passieren. Aber der löst sich meist auch schnell wieder auf. Bei manchen Smartwatch-Modellen kann man eine unregelmäßige Pulsmessung direkt mit einem EKG überprüfen. Man muss dazu nur den Finger auf die Uhr setzen, dann kann man ein richtiges EKG ableiten und erfährt, ob man einen Arzt aufsuchen sollte.
Die Geräte können nur sehr einfache EKGs aufzeichnen. Sind die denn verlässlich genug?
Die Uhren zeichnen sogenannte Ein-Kanal-EKGs auf. In der Klinik haben wir dagegen Zwölf-Kanal-EKGs. Aber die einfachen EKGs reichen beim Vorhofflimmern aus. Um einen Herzinfarkt zu erkennen, muss man das Herz hingegen von unterschiedlichen Seiten anschauen. Da braucht man dann die besseren Geräte.
Wenn bei Menschen Vorhofflimmern festgestellt wird, ohne dass sie Beschwerden haben – ist das überhaupt sinnvoll?
Das wird derzeit intensiv diskutiert. Bisher tendieren wir in der Klinik dazu, ein sogenanntes subklinisches Vorhofflimmern genauso zu behandeln wie das Vorhofflimmern, das entdeckt wird, weil Patienten spüren, dass ihr Herz nicht im Takt schlägt oder weil sie ein Herzrasen verspüren. Es gab im letzten Jahr aber zwei große Studien, die gezeigt haben, dass eine Blutverdünnung bei einem subklinischen Vorhofflimmern nicht unbedingt vorteilhaft ist. Sie kann dann zwar auch die Schlaganfallrate reduzieren. Aber weil ein Schlaganfall bei den Patienten, die von ihren Rhythmusstörungen gar nichts spüren, sehr selten ist, sind die Risiken durch die höhere Blutungsrate infolge der Blutverdünnung höher als der Nutzen durch die Senkung des Schlaganfallrisikos. Somit wissen wir aktuell nicht sicher, wie man Patienten am besten behandelt, bei denen das Vorhofflimmern noch subklinisch ist.
Gibt es weitere Einsatzgebiete für Wearables in der Kardiologie?
Tracker und Smartwatches können in vielen Bereichen der Kardiologie helfen. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz können sie zum Beispiel die Aktivität überwachen. Wenn sich die Patienten weniger als empfohlen bewegen, deutet das darauf hin, dass sie noch nicht genügend Medikamente erhalten. So kranke Patienten sind in der Regel motiviert, sich zu bewegen. Wenn sie es nicht schaffen, zeigt das, dass ihr Herz trotz der Behandlung zu schwach ist. Wir haben in einer weiteren Studie auch Patienten nach ihrer Entlassung überwacht, die wegen Herzklappenfehlern operiert worden waren. Wenn sie nach der Operation aktiv waren, deutete dies auf einen guten Verlauf hin.
Gibt es auch Gefahren durch die Geräte? Etwa weil Menschen durch Fehlalarme unnötig beunruhigt werden?
Das ist ein ganz wichtiges Thema. Tatsächlich zeigt eine neuere Studie, dass jüngere Menschen, die Wearables tragen, häufiger Angststörungen haben und häufiger zum Arzt gehen als Menschen, die diese nicht tragen. Was auch immer hier Ursache und Wirkung ist: Man muss das bedenken – auch mit Blick auf das Medizinsystem. Wenn in Zukunft noch mehr Menschen Smartwatches tragen, kann das auch zur Überfüllung von Notaufnahmen führen.
Würden Sie jungen, gesunden Menschen also eher vom Gebrauch der Geräte abraten?
Ich selbst habe mir bisher jede Generation dieser Smartwatches gekauft. Schon deshalb kann ich niemandem sagen, dass er die Finger davon lassen soll. Man kann sehr wichtige Informationen von diesen Geräten bekommen, man muss sie aber auch richtig interpretieren können. Für die Zukunft wäre es wichtig, dass eine Beurteilung von Befunden durch Ärzte auch online erfolgen kann und vergütet wird.
Hinweis der Redaktion: Im SZ-Gesundheitsforum sprechen Expertinnen und Experten am Mittwoch, dem 18. September ab 19.30 Uhr online über den Nutzen und die möglichen Risiken von Smartphones und Fitnesstrackern und wo sie bereits in der Medizin eingesetzt werden. Es werden auch Fragen von Zuschauenden beantwortet. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung zum Livestream ist erforderlich unter sz.de/erleben .