Süddeutsche Zeitung

Handys:Zu viel auf dem Schirm

  • Bisher gibt es kaum belastbare Ergebnisse zur Auswirkung der Smartphone-Nutzung auf die Gehirnentwicklung von Kindern.
  • Erste Erkenntnisse einer großen amerikanischen Untersuchung alarmieren Eltern. Doch noch ist es zu früh für Schlussfolgerungen.
  • Dennoch sorgen sich Experten um die Kinder, die ständig am Handy hängen.

Von Werner Bartens

Für die einen ist es ein Folterinstrument aus dem siebten Kreis der Hölle, die anderen sehen einen nützlichen Allroundhelfer darin. Kaum eine alltagsnahe Entwicklung wird so kontrovers diskutiert und ist gleichzeitig so stark verbreitet wie das Smartphone. In den USA hat nun ein Fernsehbeitrag viele Amerikaner alarmiert. In der populären Sendung "60 Minutes" auf CBS warnen Forscher vor unabsehbaren Auswirkungen exzessiver Bildschirmzeit auf das kindliche Gehirn.

"Wir sehen in Kernspinaufnahmen, dass der Kortex dünner wird", sagt Gaya Dowling, die an den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA an einer Untersuchung zu den Folgen des Handygebrauchs beteiligt ist. "Das ist die äußerste Schicht des Gehirns, in der vor allem Sinneseindrücke verarbeitet werden." Die Studie ist jedoch längst nicht beendet. Mit 300 Millionen Dollar Finanzaufwand soll an 21 Kliniken erforscht werden, wie das ständige Starren auf den Bildschirm die Entwicklung beeinflusst. Mehr als 11 800 Kinder und Jugendliche sollen in die Untersuchung einbezogen werden.

Was Dowling außerdem sagt, geht im CBS-Beitrag fast unter. Der Kortex verändert sich in jungen Jahren permanent und wird im Laufe der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen zumeist etwas dünner, das ist ein normaler Reifungsprozess. Diese Einschätzung geht lediglich auf die vorläufige Auswertung von Studiendaten zurück. Gaya Dowling sagt denn auch, dass unklar sei, "ob es sich bei den Veränderungen um eine schädliche Entwicklung handele und ob sie überhaupt auf die intensive Zeit vor dem Smartphone zurückzuführen" sei.

Trotz einer Flut an Studien zur Smartphone-Nutzung gibt es bisher tatsächlich kaum belastbare Ergebnisse. "Das Gehirn verändert sich sowieso stark - und die Größe der Strukturen sagt nichts darüber aus, ob das schädlich oder nützlich ist", sagt Bert te Wildt, der in seinem Buch "Digital Junkies" die Folgen extremer Bildschirmnutzung beleuchtet. "Nur auf Veränderungen des Gehirns zu schauen, wird völlig überbewertet", so der Chefarzt der Psychosomatischen Klinik in Dießen am Ammersee, wo schwerpunktmäßig Menschen mit Internetabhängigkeit behandelt werden. "Alle schauen gebannt auf Kernspinbilder, aber allein die neurobiologischen Ergebnisse sagen kaum etwas aus. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die Nervenzellen vernetzen - und das lässt sich nicht im Kernspin abbilden."

Trotzdem sei der ständige Handygebrauch bei Kindern problematisch. "Wichtig ist ja nicht nur, was Kinder machen, wenn sie auf den Bildschirm starren, sondern was sie in dieser Zeit alles nicht machen", sagt de Wildt. Zur normalen Entwicklung Heranwachsender gehört es eben auch, Beziehungen zum eigenen Körper, zur Welt und zu anderen Menschen aufzubauen.

Dafür sind sinnliche Erfahrungen wichtig - Geschmack, Berührung und Geruch kommen am Bildschirm viel zu kurz. "Um wichtige Entwicklungsschritte zu meistern, muss man Blickkontakt aufnehmen, Sicherheit im Umgang mit anderen gewinnen, seinen Körper erleben und die Sinnesorgane erproben", sagt de Wildt. "Das lässt sich nicht digital ersetzen, und dieser Mangel ist womöglich die größte Gefahr für die Hirnentwicklung."

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Quelle:
SZ vom 17.12.2018
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