Süddeutsche Zeitung

Skandal um Transplantationen:Wer kontrolliert die Chirurgen?

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Die mutmaßliche Schieberei mit Spenderorganen in Göttingen hat das Zeug, sich zum größten Transplantationsskandal der Republik auszuwachsen. Damit das Vertrauen in die Organspende nicht weiter erschüttert wird, müssen Verstöße künftig schärfer geahndet werden. Denn Verbrecher sind in der Transplantationsmedizin nicht seltener als anderswo, Eitelkeiten und Machbarkeitswahn dagegen eher häufiger.

Christina Berndt

Damit mehr Menschen ihre Organe spenden, hat der Bundestag kürzlich ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet. Und nun das: Am Universitätsklinikum Göttingen wurden Patienten offenbar in großem Stil bevorzugt mit Spenderlebern versorgt. Die Geschehnisse haben das Zeug, sich zum größten Transplantationsskandal in der Geschichte der Republik auszuwachsen. Eine Folge werden sie mit Sicherheit haben: Das Vertrauen der Bürger in die Transplantationsmedizin wird unweigerlich sinken.

Doch trotz der erschütternden Vorgänge in Göttingen wäre es falsch zu sagen, die deutsche Transplantationsmedizin sei ein Sumpf. Unzählige Ärzte und Schwestern setzen sich tagtäglich für die Organspende ein. Den meisten geht es dabei nur um eines: Sie wollen Leben retten oder den Patienten ein besseres Leben ermöglichen.

Gerade für die Patienten ist es nun wichtiger denn je, das Vertrauen wieder zu stärken. Dies lässt sich nur durch mehr Kontrolle und Transparenz erreichen. Verbrecher sind in der Transplantationsmedizin nicht seltener als anderswo, Eitelkeiten und Machbarkeitswahn eher häufiger. Immer wieder wird es deshalb Verstöße gegen die Ethik und gegen Transplantationsrichtlinien geben. Nur sollten sie künftig schärfer geahndet werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Die oft schleppende oder gar fehlende Aufklärung verdeutlicht ein Fall aus Düsseldorf: Hier wurden einem Mann Organe entnommen, ohne dass alle Protokolle zur Feststellung des Hirntods vorlagen. Es galt zu untersuchen, ob gegen Gesetze verstoßen wurde. Doch die zuständige Kommission der Bundesärztekammer prüfte lange vor sich hin; am Ende teilte sie der Krankenschwester, die den Fall angezeigt hatte, lapidar mit: Die Vorwürfe sind verjährt.

Fast blauäugig hat der Gesetzgeber die Kontrolle über die Organspende verschiedenen Kommissionen unter dem Dach der Bundesärztekammer überlassen. Als Teil der ärztlichen Selbstkontrolle gehören sie zum System. Zudem sitzen überwiegend Transplantationschirurgen darin. Wer aber selbst Organe verpflanzt und vom Wohlwollen seiner Chirurgen-Kollegen abhängig ist, der kann kein echtes Interesse an Aufklärung haben. So entsteht immer wieder der Eindruck, das deutsche Organspendewesen sei ein Geheimbund.

Der Umgang mit dem Göttinger Fall macht etwas Hoffnung: Diesmal haben sich die Prüfer mit großem Engagement der Sache angenommen. Sie haben eine vierköpfige Taskforce gegründet, die sämtliche betroffenen Patientenakten und Dateien im Klinikum untersucht, Zeugen befragt und so den Staatsanwälten zuarbeitet. Das ist gut, aber noch nicht gut genug.

Für eine effektive Kontrolle gehören in die Kommissionen unabhängige Personen - neben Juristen und Ethikern auch Ärzte ohne Verbindungen zur Transplantationsszene. Wichtig ist auch Offenheit: Die Kommissionen arbeiten bisher im Verborgenen, ihre Berichte sind geheim. Um das Vertrauen in die Organspende zu stärken, ist aber echte Transparenz unabdingbar.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2012
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