Organspende-Skandal:Wer bekommt meine Niere?

Mediziner fälschen drei Blutwerte und tricksen damit ganze Institutionen aus. Der aktuelle Skandal erweckt den Eindruck, niemand könne mehr sicher sein, wo Spenderorgane enden - und nach welcher Praxis sie vergeben werden. Doch es gibt Regeln für die Zuteilung der Organe. Ein Überblick.

Berit Uhlmann

Der Organspende-Skandal in Göttingen und Regensburg hat den Eindruck hinterlassen, das gesamte System der Organspende sei sehr manipulationsanfällig. Drei falsche Blutwerte notieren, und schon hat man ganze Institutionen ausgetrickst. Doch ein Blick auf die Richtlinien der Bundesärztekammer zeigt, dass es sich prinzipiell nicht bei jedem Organ leicht fälschen lässt. Während bei der Leber-Vergabe nur drei Blutwerte entscheidend sind, sind die Kriterien für andere Organe umfangreicher.

Organspende

Ein Arzt hält eine Niere in der Hand. Wer das begehrte Spenderorgan erhält, entscheidet der Rang auf der Warteliste.

(Foto: dapd)

Grundsätzlich heißt es in den Richtlinien der Bundesärztekammer, dass Dringlichkeit und Erfolgsaussichten der Transplantation über die Aufnahme in die Warteliste entscheiden. Kinder werden prinzipiell bevorzugt. Da es bei weitem nicht genügend Spenderorgane gibt, kommen in der Praxis oft nur die Patienten für eine Transplantation in Frage, deren Fall als besonders dringlich eingestuft wird. Diesen sogenannten High-Urgency-Status erhalten fast ausnahmslos Menschen, deren Leben akut bedroht ist.

Lebern: Der Skandal um gefälschte Leberwerte hat die aktuelle Krise der Transplantationsmedizin ausgelöst. Jährlich werden etwas mehr als 1000 Lebern transplantiert. In die Warteliste aufgenommen werden Patienten mit schweren Erkrankungen wie Leberzirrhose, Tumoren oder akutem Leberversagen etwa durch eine Hepatitis oder Medikamentenvergiftung. Ist die Leberzirrhose durch Alkoholmissbrauch entstanden, muss der Patient seit mindestens sechs Monaten trocken sein.

Vorrang haben Patienten mit akutem Leberversagen. Entscheidend für die Dringlichkeit sind in den meisten Fällen lediglich drei Blutwerte. Aus diesen drei Werten errechnen Mediziner den sogenannten MELD-Score. Die Abkürzung steht für Model for Endstage Liver Disease und gibt an, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient die folgenden drei Monate nicht überlebt.

Im Falle des Göttinger Transplantationsskandals hatte der Oberarzt diese Werte offenbar zusammen mit einem Internisten gefälscht. Die Patienten erschienen damit kränker als sie es waren. In einem Fall soll der Arzt einem Russen eine Leber transplantiert haben, der schwer alkoholabhängig war. Auch dies ist ein Verstoß gegen die Richtlinien.

Nieren: Nieren werden am häufigsten transplantiert und haben zugleich die besten Erfolgsaussichten. In die Warteliste wird nur aufgenommen, wer von der Dialyse abhängig ist oder dies in Kürze sein wird. Die Patienten rücken auf der Liste umso höher, je länger sie schon auf die Blutwäsche angewiesen sind.

Die höchste Dringlichkeitsstufe erreichen die Patienten, bei denen Komplikationen die Dialyse so erschweren, dass ihr Leben bedroht ist. Auch Patienten, die durch die Belastungen der Krankheit suizidgefährdet sind, erhalten bevorzugt Nieren. Jeder dieser Fälle muss nach den Richtlinien durch zwei unabhängige Prüfer untersucht werden. Kommen die Gutachter nicht zur gleichen Einschätzung, wird ein dritter Prüfer hinzugezogen.

Spenderherzen für Patienten auf Intensivstationen

Herzen: Patienten haben Aussicht auf ein Spenderherz, wenn bei ihnen eine hochgradige Herzschwäche vorliegt, die medikamentös oder chirurgisch nicht ausreichend behandelt werden kann. Auch angeborene Herzfehler und Herztumoren gehören zu den Indikationen.

Eine hohe Dringlichkeit gilt für Patienten, bei denen akute Lebensgefahr besteht. Es sind Kranke, die bereits auf Intensivstationen liegen und Zeichen eines beginnenden Organversagens zeigen.

Lungen: Auf die Warteliste kommen Patienten mit schweren Erkrankungen wie Mukoviszidose, für die Ärzte schätzen, dass sie nur eine 50-prozentige Chance haben, die kommenden fünf Jahre zu überleben. Nikotinsucht ist "in der Regel" ein Ausschlusskriterium, heißt es in den Richtlinien.

Die Dringlichkeit wird durch den sogenannten Lung-Allocation-Score (LAS) berechnet. Anders als der Leber-Score fließt hier jedoch eine Vielzahl von Faktoren ein, etwa die Wartezeit auf ein Spenderorgan, Belastungstests, der Grad an Hilfe, den die Patienten im Alltag brauchen, sowie verschiedene Laborwerte.

Bauchspeicheldrüsen: Eine Chance auf eine neue Bauchspeicheldrüse (Pankreas) haben Patienten mit schwerer Zuckererkrankung.

Das Kriterium der besonderen Dringlichkeit erfüllen jene Patienten, die schwere Zustände der Unterzuckerung erleiden. Fällt der Blutzuckerspiegel drastisch ab, kann dies zu Hirnschäden oder sogar zum Tod führen. Die besondere Dringlichkeit wird in jedem Fall einzeln von einer unabhängigen Gruppe von Medizinern unter Leitung von Eurotransplant überprüft. Dabei wird auch die Wartezeit auf das Spenderorgan einberechnet. Allerdings ist diese Transplantation eher selten. 160 Bauchspeicheldrüsen wurden im vergangenen Jahr transplantiert.

Dünndarm: Dünndarm-Transplantationen sind noch seltener. Im Jahr 2011 gab es nur sechs Fälle. Derartige Verpflanzungen kommen bei Patienten infrage, die aufgrund von schweren Darmerkrankungen dauerhaft auf eine künstliche Ernährung in Form von Infusionen angewiesen sind.

Über die Dringlichkeit entscheidet in erster Linie die Wartezeit. Denn die permanente Ernährung über das Blut birgt das Risiko von Infektionen und einer fortschreitenden Verschlechterung des Gesamtzustandes.

Dass es bei der Organvergabe dennoch zu Tricksereien kommt, geht entweder auf bewussten Betrug wie im Göttinger Fall zurück - oder auf Graubereiche in der Transplantationsplantationsmedizin. Dazu gehört zum Beispiel das umstrittene Schnellvergabe-Verfahren, das für Organe mit Defekten verwendet wird und offenbar Manipulationsmöglichkeiten eröffnet. Mehr darüber, wie die Regeln umgangen werden können, lesen Sie in diesem Überblick.

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