Skandal um billige Brustimplantate:Im Tollhaus der Medizin

Die wechselhaften Empfehlungen der zuständigen Behörde in Sachen Brustimplantate zeigen einmal mehr: Die Zulassung sogenannter Medizinprodukte in Deutschland ist ein Witz, und zwar ein schlechter. Ein staatliches Verfahren gibt es nicht - und ist wohl auch nicht gewollt. Entsprechend grotesk sind die Verfehlungen.

Werner Bartens

Sie liebt mich. Sie liebt mich nicht. Sie liebt mich . . . An diesen amourösen Abzählreim mit der Blume fühlt man sich erinnert anlässlich der wechselhaften Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Gefährdung durch französische Brustimplantate. Ähnlich willkürlich wie sich die Frage nach der Liebesgunst beim Zupfen der Blütenblätter an botanischen Launen ausrichtet, scheint die Gesundheit der Frauen vor allem vom Zufall und einer robusten Konstitution abhängig zu sein. Von staatlicher oder anderweitiger Kontrolle zur Sicherheit der Patienten hingegen keine Spur.

Wie sonst ist es zu verstehen, dass betroffenen Frauen einen Tag vor Heiligabend vom Bundesinstitut empfohlen wird, sich nicht pauschal die Implantate des französischen Herstellers PIP entfernen zu lassen - zwei Wochen später rät die Bundesoberbehörde hingegen, sich die Silikonkissen "als Vorsichtsmaßnahme" entnehmen zu lassen. Zu dem Gesinnungswandel hätten "zunehmend eingehende Mitteilungen" von Ärzten, Fachgesellschaften und Kliniken über weitere Risiken beigetragen.

Man würde gerne wissen, womit sich die mehr als 1000 Mitarbeiter der in Bonn ansässigen und dem Gesundheitsministerium zugeordneten Behörde den ganzen Tag beschäftigen. Eigentlich gehört es zu ihren Kernaufgaben, gesundheitliche Gefahren durch Arzneimittel und Medizinprodukte zu erkennen und von der Bevölkerung abzuwehren - und nicht erst dann ein paar verschämte Warnhinweise bekanntzugeben, wenn Patienten und Ärzte längst im großen Maßstab Alarm geschlagen haben. Ein zur bloßen Nachrufbehörde verkümmertes Institut, das Medikamente und medizinische Hilfsmittel zu Grabe trägt, wenn sich bereits vielfach gezeigt hat, wie lausig sie wirken oder wie gefährlich sie sind, braucht niemand. Vielmehr wäre eine gründliche Kontrollbehörde in vorbeugender Mission gefragt, die diesen Namen auch verdient und Menschen vor Schaden bewahrt, statt hinterher in das Wehklagen einzustimmen.

Doch Sicherheit und Schutz der Patienten sind anscheinend politisch nicht gewollt. Die Zulassung sogenannter Medizinprodukte in Deutschland ist ein Witz, und zwar ein schlechter. Ob Herzschrittmacher, Gelenkersatz, Röntgenröhre oder Gefäßstütze: Hersteller müssen lediglich nachweisen, dass ihr Gerät funktioniert, aber nicht, dass es Patienten etwas nutzt. Entscheidend für den Herzschrittmacher ist bei der Zulassung beispielsweise, dass er keinen Kurzschluss verursacht. Ob die Rhythmusstörung dadurch gelindert wird, ist unbedeutend, um das Gerät auf den Markt zu bringen. Dafür reicht ein CE-Siegel, ein europäisches Kennzeichen, das im Ausland erworben werden kann und nichts über Güte und Nutzen des Produkts aussagt.

In der Zulassung von Arzneimitteln gibt es zwar noch Schwachstellen, doch in den vergangenen Jahrzehnten hat sich hier viel getan: Erst wenn in drei Studienabschnitten Verträglichkeit, Dosis und Wirksamkeit eines neuen Mittels getestet worden sind, darf es auf den Markt. Der Nutzennachweis gegenüber herkömmlichen Therapien steht dann zwar oft noch aus, und gelegentlich kommt es trotzdem zu Arzneimittelskandalen, aber ein Mindestmaß an Sicherheit ist gewährleistet.

Fragwürdige Therapien in großem Stil

Für Medizinprodukte gibt es nichts Vergleichbares, und entsprechend grotesk sind die Verfehlungen. Drei Beispiele von Dutzenden: Defekte Hüftprothesen müssen tausendfach erneuert werden. Ein von deutschen Unikliniken gefeiertes Verfahren, bei dem Gefäßstützen Hirnarterien offenhalten und so Patienten vor einem Schlaganfall bewahren sollen, führt zum Gegenteil, zu dreimal so vielen Hirnschlägen wie in der konventionell behandelten Gruppe. Die Versteifung der Wirbelsäule mit Zement, die bei Osteoporose vor Brüchen schützen soll, zieht mehr Frakturen nach sich, weil der schwere Zement Knochen erst recht zusammensacken und dann bersten lässt.

Das Problem wird ignoriert oder verharmlost. Ein staatliches Zulassungs- und Kontrollverfahren für Medizinprodukte gibt es nicht und ist politisch wie von der Krankenhaus-Lobby auch nicht gewollt. Denn noch immer gilt in Kliniken (anders als in Arztpraxen) der Verbotsvorbehalt. Dieser absurde Passus besagt, dass jede medizinische Maßnahme erlaubt und erstattet wird, solange ihr Schaden nicht erwiesen ist. Ein Nutzen muss nicht belegt sein. Nur dieser ungeheuerliche Umstand lässt viele Kliniken weiter existieren, die fragwürdige Untersuchungen und Therapien in großem Stil anbieten. Würden die Kassen nur bezahlen, was erwiesenermaßen nutzt, wären Kranke besser versorgt - und viele Kliniken müssten dichtmachen.

Gesundheitsminister Bahr, der sein Haus - wie Vorgänger Rösler - als Wirtschafts- und nicht als Gesundheitsministerium führt, hat daran kein Interesse. Eine strengere Kontrolle von Medizinprodukten hält er auch nach dem Implantate-Skandal für unnötig. Das ist Klientelpolitik auf Kosten der Patienten - die als Höhepunkt der Infamie für die Reparatur des Schadens selbst aufkommen sollen. So können Kranke auch künftig vor der Behandlung mit Medizinprodukten nur an der Blume zupfen, hoffen und abzählen: Es hilft mir. Es hilft mir nicht.

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