Süddeutsche Zeitung

Sexualität:Harte Zeiten für "Pink Viagra"

Lesezeit: 2 min

Von Berit Uhlmann

An Fantasien, an Hoffnungen, auch an blöden Witzen hatte es nicht gefehlt, als im vergangenen Oktober die erste Lustpille für die Frau auf den US-Markt kam. Ein Jahr später haben die an der Zulassung des Wirkstoffes Flibanserin Beteiligten nicht mehr viel zu lachen. Eine neue Richtlinie der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA trägt jetzt zusätzlich zur Ernüchterung bei. Mit deren Regelungen hätte das auch "Pink Viagra" genannte Mittel womöglich nie eine Chance auf Zulassung gehabt.

So fordert die Behörde nun, dass künftige Medikamente zur Steigerung der weiblichen Libido an möglichst vielen unterschiedlichen Patientinnen getestet werden. Das Unternehmen Sprout Pharmaceuticals hatte seine Flibanserin-Tests noch auf jüngere und gesunde Frauen beschränkt. Patientinnen jenseits der Wechseljahre schloss es ebenso aus wie Frauen mit weiteren Erkrankungen. Selbst Frauen mit leichten Depressionen wurden nicht in die Studien aufgenommen, obwohl die Verstimmung auch Folge einer sexuellen Luststörung sein könnte. Einen Teil der potenziellen Nebenwirkungen testete der Hersteller dagegen an Männern. Die FDA hält nun für künftige Tests fest, dass die Studiengruppen möglichst repräsentativ für die weibliche amerikanische Bevölkerung sein sollten.

Die Behörde monierte auch die von der Pharmafirma angelegten Bewertungskriterien. Sprout maß den Erfolg des Medikaments unter anderem an einem Fragenkatalog namens "Female Sexual Function Index". Die FDA kommentiert, ihr sei nicht bekannt, dass dieses Instrument für einen Zulassungsprozess ausreichend validiert worden sei.

Irritierend ist unter anderem, dass der Index bereits ansteigen kann, wenn die Frau nach Einnahme der Pille über mehr sexuelle Fantasien berichtet. "Nur ist unklar, ob dies allein einen Vorteil für die Patientinnen darstellt", urteilt die Behörde. Sie kritisiert zugleich, dass dieser Katalog eine Abfrage der Gedanken, Empfindungen und Erfahrungen nur einmal alle vier Wochen vorsehe. Eine tägliche oder wöchentliche Auswertung lasse akkuratere Erkenntnisse erwarten.

Den Flibanserin-Hersteller könnten die strengeren Regeln freuen - Konkurrenzprodukte haben es mit den neuen Regeln schwerer, eine Zulassung zu bekommen. Allerdings macht die neue Richtlinie auch einmal mehr bewusst, auf welch wackligem Grund die Zulassung von Flibanserin steht. Sie war erst im dritten Anlauf gelungen, nachdem die Firma im Rahmen einer großen Lobby-Kampagne gefordert hatte, dass es für sexuelle Störungen von Frauen ebensolche Therapien geben müsse wie für Männer. Die FDA war hart für die Zulassung kritisiert wurden.

Tatsächlich aber ist Flibanserin weit davon entfernt, das weibliche Pendant zu Viagra zu werden. Als die männliche Sexpille 1998 auf den US-Markt kam, wurde bereits im ersten Monat eine halbe Million Rezepte ausgestellt. Vier Wochen nach Markteintritt von Flibanserin hatten sich gerade einmal 227 Frauen die Verordnung vom Arzt geholt. Innerhalb von vier Monaten waren es 4000.

Zugleich zeigte eine neuere Untersuchung, dass die Wirkung des Mittels noch hinter den bescheidenen Erwartungen zurückbleibt. Flibanserin beschert Patientinnen innerhalb von zwei Monaten durchschnittlich eine sexuell erfüllende Erfahrung mehr als Frauen, die das Medikament nicht nehmen. Das ist nur halb so viel wie vom Pharmahersteller angegeben. Dafür können Nebenwirkungen erheblich sein: Müdigkeit, Übelkeit und Schwindel wurden berichtet. Zusammen mit Alkohol kann der Wirkstoff sogar zu einem starken Abfall des Blutdrucks führen und Ohnmachten auslösen.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2016
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