Schwangerschaft:Wenn eine Geburt nicht nur sicher, sondern auch ein Erlebnis sein soll

Vor der Geburt

Eine im achten Monat schwangere Frau mit Ultraschallbild vor ihrem Babybauch.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Anspruch an eine perfekte Schwangerschaft ist heute groß, doch der Erwartungsdruck schürt bei vielen Eltern Ängste. Sind die berechtigt? Fragen an den Geburtsmediziner Olaf Neumann.

Interview von Felix Hütten

Die Geburtsmedizin ist in Deutschland auf Topniveau, die Säuglingssterblichkeit hierzulande ist in den vergangenen 20 Jahren um etwa ein Drittel gesunken. Auch schwere Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt als Risiko für die Mutter kommen selten vor, 2015 starben sechs Frauen pro 100 000 Geburten, in anderen Ländern sind es 500 bis 800. Und doch sei etwas aus dem Lot geraten, sagt Olaf Neumann, Chef der Frauenklinik am Klinikum München-Schwabing. Der Zauber des Kinderkriegens verfliege immer mehr, sagt der Mediziner. Nicht selten regiere bei werdenden Eltern die Angst.

SZ: In Internetforen sorgen sich werdende Eltern um Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt. Täuscht der Eindruck oder haben Paare tatsächlich mehr Angst vor dem Kinderkriegen als früher?

Olaf Neumann: Eltern fokussieren sich heutzutage stark auf die Pathologie, also auf mögliche Krankheiten. Sie sind oftmals zutiefst verunsichert. Eine Schwangerschaft ist aber keine Krankheit, sie ist ein ganz normaler biologischer Vorgang, der Freude machen soll. Wir sollten werdende Eltern daher vor dem "Was ist, wenn ...?" schützen. Kinderkriegen ist wahrscheinlich das Emotionalste, was ein Mensch erleben kann. Viele Frauen genießen die Schwangerschaft aber nicht mehr, sondern sorgen sich, was mit ihrem Kind passiert.

Wie äußert sich das?

Ein Beispiel: Sie können als Arzt beinahe jede Schwangere extrem ängstigen, wenn Sie beim Ultraschall intensiv auf dem Bildschirm starren und nicht mehr mit der Frau sprechen. Die werdenden Eltern reagieren da extrem sensibel. Manchmal liegt das Kind aber einfach so, dass man Schwierigkeiten hat, das zu sehen, was man sehen will, die Patientin denkt aber sofort, dass etwas nicht stimmt. Darum ist die Kommunikation so wichtig. Ich erkläre immer, warum etwas gerade schlecht zu erkennen ist.

Heute sehen Ärzte im Ultraschall deutlich mehr als früher. Kommt die Angst vielleicht daher, dass der technische Fortschritt schon übers Ziel hinausgeschossen ist und mehr Angst macht als hilft?

Die Medizin ist in der Diagnostik mittlerweile sehr weit, auch in der Genetik. Früher war beispielsweise eine Amniozentese, also eine Fruchtwasseruntersuchung, für einen Gentest nötig. Heutzutage reicht oftmals eine Blutabnahme der Mutter. Es wird also immer einfacher. Das Problem ist aber: In der Medizin, besonders in der Pränataldiagnostik, arbeiten wir mit Wahrscheinlichkeiten. Eltern wollen von ihrem Arzt die Bestätigung, dass ihr Kind gesund ist. Wenn ein Test dann aber zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) erhöht ist, ist das sogar für mich als Arzt schwer einzuschätzen, für Eltern ist es noch viel schwieriger.

Sie bieten solche Untersuchungen aber auch an. Warum?

Ich kann zu meinen Patienten nicht sagen: Es gibt zwar Methoden wie zum Beispiel den Ultraschall, aber damit könnte ich Sie ängstigen, deshalb machen wir es nicht. Das wäre ein falscher Rückschluss.

Was ist richtig?

Viel wichtiger ist, dass sich Schwangere einen Arzt suchen, dem sie vertrauen, und sich durch die Schwangerschaft leiten lassen. Gute Kommunikation ist dabei essentiell. Ich rate dazu, viele Fragen zu stellen und den Ärzten viel von sich zu erzählen. Denn Angst entsteht immer dann, wenn man als Patient Informationen bekommt, die man nicht deuten kann. Eltern suchen dann häufig nach einer Untersuchung im Internet nach Rat, sprechen mit der Nachbarin - und bekommen so viele Informationen, die gar nicht zu ihrem Fall passen.

Der richtige Zeitpunkt für das Kinderkriegen

Früher aber war der Austausch mit Familienmitgliedern oder Nachbarn über das Thema Kinderkriegen nichts Besonderes. Was hat sich geändert?

In Deutschland war es lange Zeit ganz normal, dass Frauen drei oder vier Kinder bekommen haben. Das gehörte zum Leben, und daher hatten die Menschen auch viel mehr Erfahrung mit dem Thema Geburt. Heutzutage lernen viele Paare den Umgang mit einem Säugling erst, wenn sie selbst Eltern werden. Es ist oftmals ihr einziges Kind, und bei diesem wollen sie dann auch alles perfekt machen.

Was aber spricht dagegen, wenn sich Paare eine möglichst perfekte Geburt wünschen?

Ich war vor Kurzem in Nepal, dort sterben auch heute noch sehr viele Frauen während der Geburt. Eine Frau in Nepal ist daher schon mal froh, wenn sie die Entbindung überhaupt überlebt. Wenn das Kind dann noch gesund ist, ist sie überglücklich. Was ich damit sagen will: In der Geburtshilfe sehe ich, dass sich die Begehrlichkeiten verschieben. Niemand geht in Deutschland davon aus, dass eine Frau bei der Geburt stirbt, Gott sei Dank. Hierzulande soll eine Geburt aber nicht nur sicher, sondern auch ein Erlebnis sein. Das können wir nicht immer befriedigen.

Woher kommt dieser Anspruch?

Ich glaube, wir haben in den vergangenen Jahren in der Medizin ein bisschen die Natürlichkeit verloren. Die Medizin hatte immer schon einen Drang dazu, Sachen zu messen, zu kontrollieren, zu steuern - auch bei der Geburt. Ein Beispiel: Nach der Entbindung muss sich die Gebärmutter der Frau wieder zusammenziehen, da ist Oxytocin als Hormon beteiligt. Es sorgt dafür, dass sich die Plazenta löst. Ich kann der Mutter also ein Medikament spritzten, damit genau das passiert. Ich kann der Mutter aber auch ihr Kind auf die Brust legen. Dann wird das Kind in der Regel von ganz alleine versuchen zu saugen. Das sorgt bei der Frau für eine unglaubliche Oxytocinausschüttung. Wir Mediziner haben dann nichts gemacht. Also: Warum muss ich das Natürliche ablehnen und ersetzen, wenn es eigentlich ein ganz gutes System ist? Diese Frage ist aus dem Blickfeld geraten.

Viele Paare, die sich für eine Geburt ohne Hightechmedizin entscheiden, gebären in Geburtshäusern oder zu Hause. Sind Sie als Klinik zu spät dran mit der Rückbesinnung auf die Natur?

Nein, eine Geburt mit Musik und Lavendelöl kann ich mir auch bei uns im Haus gut vorstellen. Die Geburt leitet bei uns eine Hebamme, wir halten uns zurück. Aber es kann immer etwas passieren bei einer Geburt: Die Frau blutet stark, das Kind atmet nicht. Dafür braucht es eine Infrastruktur im Hintergrund: Kinderchirurgen, Pädiater, Anästhesisten, Ärzte, die die allermeisten Frauen bei einer Geburt nie zu Gesicht bekommen, für den Notfall aber bereitstehen.

Jetzt machen Sie werdenden Eltern aber auch Angst.

Überhaupt nicht. Wir planen die Abläufe nach dem Rhythmus der Familie, nicht andersherum. Auch deshalb sind wir eine von der Weltgesundheitsorganisation WHO und Unicef zertifizierte "babyfreundliche Geburtsklinik". Ich bin davon überzeugt, dass das Familie-Werden besser funktioniert, wenn der Vater dabei ist, deshalb dürfen Väter bei uns übernachten. Wir trennen das Kind nicht von den Eltern.

Es klingt nicht nach einer besonders revolutionären Strategie, wenn Eltern ihr Kind nach der Geburt bei sich haben dürfen.

Ich habe Hoffnung, dass mit solchen einfachen Angeboten der Zauber des Kinderkriegens zurückkommt, Stichwort Natürlichkeit. Vergangenes Jahr war die Geburtenrate in Deutschland so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Ich sehe es daher nicht so pessimistisch: Immer mehr Menschen besinnen sich wieder auf die Frage, was ihnen wichtig ist, wofür sie sich Zeit nehmen möchten.

Also Schluss mit der Angst vor dem Kinderkriegen?

Wenn sich ein Paar Kinder wünscht, sollte es nicht zu lange über den richtigen Zeitpunkt nachdenken. Der günstigste Zeitpunkt ist immer da.

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