Schwangerschaft:Neun Monate müssen reichen

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Wie lange eine Schwangerschaft dauert, hat der Stoffwechsel im Laufe der Evolution bestimmt, vermuten US-Forscher. Damit widersprechen sie der gängigen Theorie, das enge Becken der Frau sei hierfür verantwortlich.

Katrin Blawat

Warum dauert eine menschliche Schwangerschaft neun Monate - und nicht etwa zehn? Schließlich sind Säuglinge direkt nach der Geburt noch ausgesprochen hilflos. Kein Wunder: Verglichen mit dem ausgewachsenen Gehirn, ist das des Menschen bei seiner Geburt weniger entwickelt als bei anderen neugeborenen Primaten. Während zum Beispiel ein Schimpansenbaby schon mit einem Monat zu krabbeln beginnt, schaffen die meisten Kinder dies erst mit einem guten halben Jahr.

Neun Monate dauert die menschliche Schwangerschaft. Ein längerer Zeitraum würde den Stoffwechsel der Mutter überfordern, sagen US-Forscher. (Foto: iStockphoto)

Eine längere Schwangerschaft würde jedoch den Stoffwechsel der Mutter überfordern und sei daher aus physiologischen Gründen unmöglich, argumentiert ein Team um die Anthropologin Holly Dunsworth von der University of Rhode Island ( PNAS, online). "Die Kalorien, die ein Körper pro Tag verbrennen kann, sind begrenzt", sagt Seniorautor Hermann Pontzer. "Frauen gebären, kurz bevor sie ein Energie-Plateau erreichen." Schon eine um einen Monat verlängerte Schwangerschaft brächte den Stoffwechsel und damit die Gesundheit der Mutter in Gefahr.

Diese These ist pikant, weil sie eine weithin akzeptierte Theorie infrage stellt. Viele Anthropologen begründen die vergleichsweise kurze Schwangerschaft des Menschen nämlich mit der Anatomie der Mutter. Demnach muss der Kopf des Kindes bei der Geburt relativ klein sein, damit er durch die enge Beckenöffnung passt.

Theoretisch hätte sich zwar auch das weibliche Becken im Lauf der Evolution weiten können. Dies kollidiert der Hypothese zufolge aber mit den anatomischen Anforderungen, die es für den aufrechten Gang braucht. Hätten Frauen ein breiteres Becken, wäre ihr Gang energieaufwendiger. Die Unreife des menschlichen Gehirns bei der Geburt ist also ein Kompromiss: So weit entwickelt wie möglich, so klein wie nötig. Wissenschaftler sprechen vom "obstetrical dilemma".

Dunsworth und ihren Kollegen zufolge gibt es jedoch keine stichhaltigen Belege dafür, dass ein breiteres Becken den aufrechten Gang energieaufwendiger macht. Männer zum Beispiel haben zwar ein schmaleres Becken als Frauen, bewegen sich der Mehrzahl der Studien zufolge aber nicht effizienter. Allerdings erschweren Schwankungen sowohl in der Beckenweite der Probanden als auch in den Messmethoden genaue Aussagen.

Damit ein menschlicher Fötus in einem ähnlichen Entwicklungsstatus auf die Welt käme wie ein Schimpanse, müsste er 16 Monate statt neun ausgetragen werden, haben die Forscher errechnet. Sein Kopfdurchmesser wäre dann im Mittel drei Zentimeter größer als der, mit dem ein Säugling tatsächlich auf die Welt kommt. Diese Größenschwankungen lägen aber noch im Rahmen derer, die vom weiblichen Becken bekannt seien, schreiben die Forscher.

Allerdings ließen sie weitere Körperteile wie die Schultern, die ebenfalls die Passage des Geburtskanals erschweren können, bei ihren Überlegungen außer Acht. Und für die Annahme, dass die Leistungsfähigkeit des mütterlichen Stoffwechsels den Geburtszeitpunkt bestimmt, sprechen zwar einige Indizien und Berechnungen der Ernährungsphysiologie. Doch um Theorien, für die der endgültige Beweis noch aussteht, handelt es sich bei der bisherigen wie der neuen Erklärung von Holly Dunsworth.

© SZ vom 28.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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