Süddeutsche Zeitung

Medikamente:Wenn Schmerzmittel Kopfschmerzen verursachen

Manche Kopfschmerz-Patienten nehmen eine Tablette nach der anderen - und wundern sich, dass nichts mehr hilft. Sie ahnen nicht, dass die Pillen selbst zur Schmerzursache geworden sind.

Von Katrin Neubauer

Der Schädel hämmert dumpf. Der Magen möchte sich entleeren. Licht und Lärm feuern den Schmerz noch an. Die Qual einer Migräneattacke kann nur ein Schmerzmittel rasch beenden. Solange das Medikament hin und wieder eingenommen wird - kein Problem. Wird der Griff zur Schmerztablette jedoch zur Gewohnheit, erzeugt diese irgendwann selbst den Schmerz.

Rund ein Prozent der Erwachsenen in Deutschland leidet unter Dauerkopfschmerzen. Bei mindestens der Hälfte von ihnen sind Tabletten die Ursache; Ärzte sprechen von medikamenteninduziertem Kopfschmerz.

Er droht all jenen, die ein Vierteljahr lang an mindestens 10 bis 15 Tagen pro Monat Kopfschmerztabletten einnehmen. Bei Einnahme einzelner Präparate wie Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen liegt die kritische Grenze bei 15 Tagen, bei Kombinationspräparaten oder dem Wechsel zwischen verschiedenen Tabletten ist die rote Linie schon nach zehn Tagen erreicht. "Am besten sollte man generell an höchstens zehn Tagen im Monat Schmerzmittel einnehmen", sagt Stefanie Förderreuther, Neurologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).

Bei vielen Betroffenen entwickelt sich der Medikamentenkopfschmerz über viele Jahre, erläutert Förderreuther: "Es beginnt mit ein bis zwei Migräneattacken im Monat. Kommen diese in Zeiten von Stress und Anspannung öfter vor, häuft sich der Tablettenverbrauch. Zehn Tage im Monat sind dann schnell überschritten."

Manche schlucken auch aus Angst vor der nächsten Attacke Tabletten. Ohne Pillen, so fürchten sie, könnten sie den Erwartungen in Job und Familie nicht gerecht werden. Da die gängigsten Schmerzmittel ohne Rezept in der Apotheke verkauft werden, halten viele Menschen sie für harmlos. Auf Beipackzetteln wird zwar auf die Gefahr von Dauerkopfschmerzen bei zu häufiger Einnahme hingewiesen. Aber wer liest die schon? Die meisten Patienten erahnen den Zusammenhang zwischen ihrem Leid und den Tabletten nicht.

Nicht selten hören Mediziner dann von ihnen: "Ich kann nehmen, was ich will. Nichts hilft mehr." Stattdessen werden die Kopfschmerzen immer schlimmer und häufiger. Hinzu kommen manchmal Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Angst, Unruhe, Schwindel und teilweise auch Fieber. Der Griff zur nächsten Tablette mindert vorübergehend die Qual - und macht sie auf lange Sicht heftiger.

Warum Schmerzmittel bei Dauergebrauch selbst zum Auslöser des Leidens werden, ist noch nicht bis ins Detail erforscht. In Studien wurde bei Betroffenen unter anderem ein abgesenkter Spiegel des Botenstoffs Serotonin festgestellt. Auch die körpereigenen Schmerzregulatoren, die so genannten Endocannabinoide, waren verringert.

Forscher vermuten, dass der Körper durch den Dauergebrauch der Tabletten sein eigenes feinjustiertes System der Schmerzregulation herunterfährt und somit die Schmerzempfindlichkeit zunimmt. Kopfschmerzen verstärken sich dadurch und treten häufiger auf. Pillen werden zum Dauerbegleiter, ein Teufelskreis.

Ob chronische Kopfschmerzen tatsächlich von zu vielen Tabletten kommen, kann nur durch eine Medikamentenpause zuverlässig diagnostiziert und damit zugleich behandelt werden. Eine Alternative gibt es nicht. "Mit einer guten Vorbereitung schaffen das über 90 Prozent unserer Patienten zu Hause", sagt Peter Storch, Leiter des Kopfschmerzzentrums der Universitätsklinik Jena.

"Entzugssymptome wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Unruhe treten am stärksten zwischen dem 2. und 6. Tag auf. Danach beginnt eine Phase der Normalisierung. Nach 14 Tagen ist in der Regel alles überstanden." Ein stationärer Entzug ist in schwierigen Fällen ratsam, etwa wenn Patienten an Depressionen oder Angststörungen leiden oder andere Substanzen missbrauchen.

Doch die Ursachen für den übermäßigen Tablettengebrauch, die häufigen Migräne- und Kopfschmerzattacken, sind damit noch nicht aus der Welt. Über 20 Prozent der Patienten werden allein im ersten Jahr wieder rückfällig. "Deshalb sollten Patienten eine strukturierte Nachbehandlung mit medikamentösen und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen erhalten", sagt Storch.

So lassen sich Migräneattacken mit verschiedenen Substanzen vorbeugend behandeln, beispielsweise mit sogenannten Beta-Blockern, mit bestimmten Antidepressiva, Anti-Epileptika oder muskelentspannenden Präparaten. Ausdauersport und Entspannungsübungen können ebenfalls helfen. "Eine wirksame Kopfschmerzprophylaxe kann die Rückfallquote signifikant senken", so der Leiter des Schmerzzentrums.

Nach einer Medikamentenpause von vier Wochen ist die Einnahme eines Schmerzmittels bei Kopfschmerzen wieder unbedenklich. "Aber man sollte lernen, mit den Schmerzmitteln zu haushalten", sagt die Sprecherin der DMKG. Mithilfe eines Kopfschmerzkalenders behalten Patienten die Tabletteneinnahme unter Kontrolle.

Für die Entwicklung des Medikamentenkopfschmerzes ist nicht die Stärke des Wirkstoffes, sondern die Häufigkeit seiner Einahme entscheidend. Daher gilt: "Eine Attacke sollte am besten mit einer angemessenen Dosis bekämpft werden, damit sich die Einnahme nicht über mehrere Tage hinzieht, bis der Schmerz verschwindet", so Förderreuther.

Wer wegen anderer Beschwerden, etwa Rheuma oder einem Bandscheibenvorfall, längere Zeit Schmerzmittel nehmen müssen, ist nicht gefährdet. Der Medikamenten-Kopfschmerz tritt offenbar nur bei Menschen auf, die an Migräne oder häufigem Spannungskopfschmerz leiden.

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