Täuschend harmlos sieht die Wunde aus, die eine Schwarze Mamba direkt nach dem Biss hinterlässt: zwei kleine blutige Punkte, die das Tier mit seinen hohlen Zähnen geschlagen hat. Doch was die Schlange über die Wunde injiziert, ist hochgefährlich. Ihre Giftstoffe schädigen das Herz und lähmen die Muskeln. Eine halbe Stunde, länger braucht das Gift nicht, um einen Menschen zu töten. Andere Schlangen bilden Toxine, die Haut und Muskeln förmlich wegschmelzen lassen, innere Blutungen auslösen oder zu Nieren- und Leberversagen führen. Hunderttausend Menschen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation, kosten Schlangenbisse jedes Jahr das Leben - vor allem in Afrika, Lateinamerika, Indien und Südostasien. Dreimal so viele überleben den Schlangenbiss nur schwer traumatisiert, blind oder mit amputierten Gliedmaßen.
Das müsste nicht sein: Mit einem Gegengift, einem sogenannten Antivenom, können Schlangenbisse gut behandelt werden. Sie neutralisieren die Toxine und machen das Gift unschädlich. Das Problem ist nur: Von diesen Antivenomen wird viel zu wenig produziert. In ländlichen Regionen von Ländern wie Nepal, Tansania oder Indien, wo die Präparate dringend gebraucht würden, haben die Krankenhäuser sie oft nicht vorrätig. Nach Schätzungen des britischen "Wellcome Trust" wird gerade einmal für die Hälfte der Menschen, die von einer Schlange gebissen werden, mit den Gegengiften behandeln. Das will die Weltgesundheitsorganisation jetzt mit einer neuen Strategie ändern. Bis 2030 soll so die Zahl der Menschen, die an Schlangenbissen sterben, um die Hälfte sinken. Dafür wird ein Budget von rund 120 Millionen Euro bereitgestellt. "Vorsichtig optimistisch" sei er, sagt Julien Potet von der Medikamentenkampagne von "Ärzte ohne Grenzen", dass dies ein "Wendepunkt bei der Bekämpfung von Schangenbissen ist".
Schlangen:Gefährliches Gift
Extrem schnell, besonders toxisch oder mehrere Meter lang: fünf Giftschlangen, und was sie so gefährlich macht.
Die Gegengifte werden hergestellt, indem Schafen oder Pferden eine kleine Dosis des Schlangengifts injiziert wird und die gebildeten Antikörper dann später mit dem Blut der Tiere abgenommen werden. An diesem aufwändigen und teuren Verfahren hat sich seit dem 19. Jahrhundert wenig geändert. Heraus kommt ein Medikamentenpreis, der für viele nicht bezahlbar ist: Zwischen 100 und 300 US-Dollar kostet die Therapie, sagt der nigerianische Infektiologe Abdulrazaq Habib, der am neuen WHO-Aktionsplan mitgearbeitet hat. "Mehr, als viele unserer Patienten in einem halben Jahr verdienen." Und ein solches Medikament, das die betroffenen Menschen sich nicht leisten können, ist für Pharmafirmen nicht lukrativ. Der Pharmariese Sanofi-Pasteur stellte 2015 die Produktion des Antivenoms Fav-Afrique, eines der effektivsten Präparate, ein: Zu wenig Nachfrage, die Herstellung rentierte sich nicht. Den Medikamentenpreis trieb das nur noch weiter in die Höhe, ein wahrer Teufelskreis. Gleichzeitig wurde der afrikanische Markt von billigen Präparaten überschwemmt: Manche bestimmt für das Gift von asiatischen Schlangen, die dort gar nicht vorkommen, andere gar komplett unwirksame Fälschungen.
Neue Antivenome werden dringend gebraucht
"In vielen Ländern Subsahara-Afrikas ist die Lage dramatisch", sagt Julien Potet. Für Krankenhäuser in diesen Regionen will die WHO in Zukunft kostenlose Antivenome bereitstellen. Gleichzeitig gibt es verschiedene Forschungsansätze, das Medikament zu verbessern: "Zunächst müssen die Antivenome, die es schon gibt, auf ihre Wirksamkeit hin untersucht und wenn nötig verbessert werden", sagt Potet. Moderne Gegengifte könnten außerdem synthetisch im Labor produziert werden, statt sie an Pferden oder Schafen herzustellen. Das würde sie günstiger machen - und sicherer: Die tierischen Proteine in den Gegengiften lösen bei manchen Patienten lebensgefährliche allergische Reaktionen aus.
Andere Wissenschaftler arbeiten daran, ein Antivenom zu entwickeln, das das Gift möglichst vieler Schlangen neutralisiert, statt nur die spezifischen Toxine der Kobra, der Schwarzen Mamba oder der Gabunviper ungefährlich zu machen. So ein universell einsetzbares Antiveno m hätte verschiedene Vorteile: Für die Pharmafirmen ist der finanzielle Anreiz größer, ein solches Medikament herzustellen, weil es in vielen Regionen verkauft werden kann. Gleichzeitig müssen Helfer so im Notfall bei einem blutspuckenden, krampfenden Patienten nicht erst mühsam herausfinden, welche Schlangenart zugebissen hat.
Viele Opfer von Schlangenbissen kommen nicht rechtzeitig ins Krankenhaus
Die besten Antivenome sind jedoch nutzlos, wenn die Opfer der Schlangenbissen nicht damit behandelt werden. "Viele lassen sich zunächst von traditionellen Heilern mit behandeln, statt direkt ins Krankenhaus zu fahren", sagt Potet. Dabei geht wertvolle Zeit verloren: Je früher der Biss behandelt wird, desto besser sind die Überlebenschancen. Gesundheitshelfer sollen die Menschen in den abgelegenen Gebieten in Zukunft darüber aufklären. Für ihre Ärzte und Pfleger will die WHO klare Leitlinien aufstellen: Die meisten, erzählt Abdulrazaq Habib, hätten nie gelernt, wie man einen Schlangenbiss erkennt, erste Hilfe leistet und die Gegengifte anwendet. Und auch für den oft weiten, beschwerlichen Weg zum Krankenhaus werden neue Lösungen entwickelt: In Nepal zum Beispiel werden Opfer von Schlangenbissen auf Motorrädern transportiert. Die erreichen abgelegene Orte, in die ein Krankenwagen nicht kommt. Klar sei aber auch, sagt Potet: "Um die Zahl der Todesopfer durch Schlangenbisse zu reduzieren, muss die gesamte medizinische Versorgung in den betroffenen ländlichen Gebieten verbessert werden."
Viele der Schlangenbisse ließen sich verhindern, sagt Abdulrazaq Habib - durch einfache Maßnahmen: In der Dunkelheit den Weg mit Taschenlampen leuchten, Netze vor offene Fenster spannen, damit die Schlangen nicht nachts nicht in die Häuser kommen. Und bei der Feldarbeit Gummstiefel und Handschuhe tragen, statt barfuß und mit bloßen Händen zu arbeiten. Anders als Mücken oder Parasiten, die häufig der Überträger vernächlässigter Krankheiten sind, können die Schlangen nicht ausgerottet werden: Sie sind ein wichtiger Teil des Ökosystems. Die Landbevölkerung in Nigeria, Myanmar oder Nepal muss wohl oder übel mit ihnen auskommen.