Schlangen-Gegengift Fav-Afrique:Warum bald mehr Menschen an Schlangenbissen sterben könnten

A common green mamba is pictured in its enclosure at Munich's Hellabrunn Zoo

Nach dem Biss einer Grünen Mamba muss das Gegengift schnell verabreicht werden, damit das Opfer nicht stirbt.

(Foto: REUTERS)
  • Nach Angaben der WHO beißen Giftschlangen jedes Jahr fünf Millionen Menschen. Etwa 100 000 der Gebissenen sterben.
  • Das Gegengift Fav-Afrique wirkt gegen die zehn häufigsten Schlangengifte.
  • Jetzt will der Hersteller die Produktion einstellen. 250-500 Dollar pro Behandlung seien unrentabel.

Von Tina Baier

Mona Tammania erinnert sich noch genau an den Tag, an dem ein etwa achtjähriges Mädchen ins Krankenhaus von Agok eingeliefert wurde. Das Kind war nachts im Schlaf von einer Schlange gebissen worden. "Der ganze Kopf des Mädchens war angeschwollen", sagt die Berliner Kinderärztin. "Auch der Rachen und der Hals." Das Kind drohte zu ersticken.

Zum Glück war in dem Hospital im Südsudan, in dem Tammania von Januar bis Juni dieses Jahres für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" gearbeitet hat, das Gegengift Fav-Afrique des Pharmaunternehmens Sanofi Pasteur vorrätig. Das Mädchen kam sofort an den Tropf. "Man konnte zusehen, wie es ihr besser ging", sagt Tammania.

Doch bald wird es Fav-Afrique - das derzeit wichtigste Mittel gegen Schlangenbisse in den südlichen Staaten Afrikas - nicht mehr geben. "Sanofi Pasteur hat die Produktion im vergangenen Jahr eingestellt", sagt Philipp Frisch, der bei Ärzte ohne Grenzen die Medikamentenkampagne in Deutschland leitet. Das Verfallsdatum der letzten Bestände laufe im Juni 2016 ab. Danach gibt es für Krankenhäuser wie das in Agok, wo allein im vergangenen Jahr mehr als 300 Menschen wegen eines Schlangenbisses behandelt wurden, keinen Nachschub mehr. "Wir werden dann vielen Patienten nicht mehr helfen können", fürchtet Frisch.

Mäuse lösen sich auf, Menschen zerfließen

"Sanofi Pasteur bedauert die weltweite Situation in Bezug auf die Versorgung mit dem Gegengift", sagt Alain Bernal, Sprecher des Unternehmens. Sanofi verhandelt derzeit mit einem anderen Unternehmen, das die Produktion von Fav-Afrique möglicherweise übernehmen könnte. Doch vor Ende 2016 dürfte es nach Einschätzung von Ärzte ohne Grenzen zu keiner Einigung kommen. Bis die Produktion dann anläuft, vergeht weitere wertvolle Zeit. Frühestens Ende 2018 könnte das Gegengift nach Einschätzung von der Hilfsorganisation dann wieder zur Verfügung stehen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass jedes Jahr fünf Millionen Menschen von Giftschlangen gebissen werden. Etwa 100 000 von ihnen sterben, 400 000 bleiben dauerhaft geschädigt. Oft müssen Gliedmaßen amputiert werden, in die die Schlange gebissen hat. Manche Schlangen injizieren ihren Opfern ein hoch konzentriertes Verdauungsenzym, das ihre Beute praktisch bei lebendigem Leib verdaut. Eine Maus, die von einer solchen Schlange gebissen wird, löst sich innerhalb einer Stunde auf. Auch beim Menschen können an der Stelle, an der die Schlange zugebissen hat, Blutgefäße und Muskeln regelrecht zerfließen. Wenn nicht schnell ein Gegengift zur Verfügung steht, ist das Gewebe so stark geschädigt, dass das betroffene Körperteil nicht mehr zu retten ist.

Fav-Afrique ist so wertvoll, weil es gegen die Toxine von zehn Schlangenarten wirkt

Die meisten Schlangengifte bestehen aus einem Cocktail unterschiedlicher Substanzen. Aber jede Art hat ihr eigenes individuelles Gift, das sich von dem anderer Spezies unterscheidet. Vipern und Klapperschlangen injizieren ihren Opfern unter anderem die zersetzenden Enzyme und Zellgifte. Die meisten Giftnattern wie Kobras und Kraits produzieren Toxine, welche die Übertragung der Signale von Nerven auf Muskelzellen blockieren.

Eine fortschreitende Lähmung ist die Folge. Das Besondere an Fav-Afrique ist, dass es nicht nur gegen eines, sondern gleichzeitig gegen die zehn häufigsten Gifte von Schlangen wirkt, die es in Afrika gibt - darunter das der Mamba, Kobra und Echis ocellatus, die Westafrikanische Sandrasselotter. Ohne Gegengift sterben zehn bis zwanzig Prozent der Menschen, die von Echis gebissen werden. Ein Bestandteil des Toxins ist das Enzym Ecarin, das die Blutgerinnung stört - manchmal so extrem, dass Blutungen überhaupt nicht mehr gestillt werden können. Das Gift ist extrem stabil, seine Wirkung kann deshalb über Wochen anhalten. Die Opfer haben starke Schmerzen und erbrechen Blut, der Kreislauf bricht zusammen.

Fav-Afrique ist für die Ärzte in Afrika fast so etwas wie ein Allheilmittel. In den seltensten Fällen wissen die Opfer, welche Schlange sie gebissen hat. "Alle riefen immer ,Mamba, Mamba'", erinnert sich Tammania - "doch ob das immer so gestimmt hat . . ." Dazu kommt, dass das Sanofi-Antidot eines der wenigen Gegengifte ist, dessen Wirksamkeit und Sicherheit wissenschaftlich belegt ist.

Schlangenbisse sind vernachlässigbare Krankheiten, weil die Betroffenen kein Geld für Medikamente haben

Dafür ist es auch teuer. Zwischen 250 und 500 Dollar kostet die Behandlung eines einzigen Menschen. Meistens sind es Hilfsorganisationen, die das Mittel den Opfern von Schlangenbissen in Afrika zur Verfügung stellen. Die Länder selbst können es sich in der Regel nicht leisten, so viel Geld auszugeben. Sanofi-Sprecher Alain Bernal sagt, in vielen afrikanischen Ländern seien seit dem Jahr 2006 zunehmend Konkurrenzprodukte auf den Markt gekommen. Die Nachfrage nach Fav-Afrique habe dramatisch abgenommen. Deshalb habe das Unternehmen die Entscheidung gefällt, statt Fav-Afrique Antikörper gegen den Tollwut-Erreger herzustellen.

"Das Grundproblem ist, dass Schlangenbisse zu den so genannten vernachlässigten Krankheiten gehören", sagt der Mediziner Frisch. Das sind Leiden, von denen vor allem Menschen in Entwicklungsländern betroffen sind, die es sich nicht leisten können, teure Medikamente zu bezahlen. Für die Pharmafirmen lohnt sich die Produktion solcher Produkte nicht, weil sie zu wenig daran verdienen. Zumal wenn die Herstellung wie im Fall von Fav-Afrique sehr aufwendig und teuer ist.

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