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Schlafkrankheit nach Impfung:Verdacht gegen Schweinegrippe-Impfstoff

Im Norden Europas sind auffallend viele Kinder an Narkolepsie erkrankt, nachdem sie den Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix erhalten hatten. Finnische Forscher halten einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der seltenen Schlafkrankheit für wahrscheinlich.

Katrin Blawat

Kann der umstrittene Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix Schlafkrankheit bei Kindern auslösen? Zwei nun im Fachmagazin PLoS One (online) veröffentlichte Studien erhärten diesen Verdacht.

Finnische Behörden hatten die Daten schon zuvor bekanntgegeben. Wie ein Team um Hanna Nohynek vom Nationalen Gesundheitsinstitut berichtet, erkrankten in Finnland 2009 und 2010 insgesamt 71 Kinder und Jugendliche. Statistisch gesehen, waren 5,3 von 100.000 Finnen unter 17 Jahren betroffen. Vor der Pandemie, zwischen 2002 und 2009, gab es jährlich nur 0,31 neue Fälle pro 100.000 Finnen dieser Altersgruppe. Keine Änderungen zeigten sich in der Altersgruppe von 20 und mehr Jahren.

Ein zweites Team um Markku Partinen vom finnischen Narkolepsie-Forschungsinstitut verglich Neuerkrankungen von geimpften und nicht geimpften Finnen, die zwischen 1991 und 2005 geboren worden waren. 50 von 54 Fällen betrafen Kinder und Jugendliche, die bis zu acht Monaten vorher Pandemrix erhalten hatten. "Wir halten es für wahrscheinlich, dass Pandemrix zu den vermehrten Narkolepsie-Neuerkrankungen beigetragen hat", schreibt Partinen.

Das Gehirn von Narkolepsie-Patienten kann den Schlaf-Wach-Rhythmus nicht dauerhaft regulieren. Die Betroffenen brechen unvermittelt zusammen und schlafen ein - das macht einen normalen Alltag in vielen Fällen unmöglich. Narkolepsie gilt als seltene Autoimmunkrankheit, die vor allem Kinder unter elf Jahren normalerweise kaum betrifft.

War also die Pandemrix-Impfung verantwortlich für die vielen neuen Fälle? Das zeitliche Zusammentreffen allein belege dies noch nicht, schreiben die Autoren zwar. Doch schon frühere Studien hatten einen Zusammenhang nahegelegt - besonders deutlich in Schweden und Finnland.

Das in Deutschland für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut berichtet von 22 Narkolepsie-Verdachtsfällen zwischen Oktober 2010 und 2011, bei denen möglicherweise ein Zusammenhang mit Pandemrix besteht. Bis Ende November 2011 seien ihm insgesamt 479 Narkolepsie-Fälle bei Menschen bekannt, die zuvor mit Pandemrix geimpft wurden, berichtet der Hersteller Glaxo Smith Kline. 68 Prozent dieser Fälle seien in Schweden und Finnland aufgetreten. Die große Variabilität in den Meldungen über die Krankheitsfälle erschwere es, eine mögliche Verbindung zwischen Impfung und Narkolepsie zu beurteilen.

Die ungleiche geographische Verteilung schließt jedoch nicht aus, dass Pandemrix zu den Neuerkrankungen beigetragen hat. Anfällig für Narkolepsie sind vor allem Menschen mit einer speziellen Variante eines Immungens - und diese ist im Norden Europas doppelt so häufig wie im Süden. Hinzu kommt, dass möglicherweise nicht der Impfstoff selbst, sondern der zugesetzte Wirkverstärker AS03 zu der Krankheit beigetragen hat. Pandemrix mit diesem Zusatz hätten Kinder und Jugendliche außerhalb Nordeuropas, Irlands und Kanadas jedoch kaum erhalten, schreibt Nohynek.

Die Europäische Arzneimittelbehörde empfiehlt, Menschen unter 20 Jahren nur noch ausnahmsweise mit Pandemrix zu impfen. Unabhängig davon wurde das Vakzin in Deutschland in der vergangenen und derzeitigen Grippesaison nicht eingesetzt.

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SZ vom 29.03.2012/beu
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