Süddeutsche Zeitung

Ungünstiger Schlafrhythmus:Gesundheitsrisiko sozialer Jetlag

Man muss nicht mehrere Zeitzonen kreuzen, um am Jetlag zu leiden. Wenn der Arbeitsrhythmus oder das Freizeitverhalten der inneren Uhr zuwiderläuft, zeigen sich Symptome des sozialen Jetlags. Bis zu 80 Prozent der Menschen in der westlichen Welt sollen betroffen sein - mit möglichen Folgen für ihre Gesundheit und ihr Gewicht.

Christian Weber

Menschen leiden nicht nur nach Flugreisen über viele Zeitzonen hinweg an Jetlag. Sondern auch dann, wenn Schul- und Arbeitszeiten oder Freizeitaktivitäten einen Takt vorgeben, der die innere Uhr des Körpers ignoriert. Von diesem "sozialen Jetlag", berichtet ein Team um den Chronobiologen Till Roenneberg von der Universität München, seien bis zu 80 Prozent der Bevölkerung in westlichen Ländern betroffen - mit Folgen für die Gesundheit (Current Biology, online).

Die Auswertung von 65.000 über einen Zeitraum von zehn Jahren online ausgefüllten Fragebögen habe ergeben, dass ein Leben gegen die Uhr, so schreiben zumindest die Autoren in einer begleitenden Pressemitteilung, zu "Übergewicht und Fettleibigkeit" beitrage, wobei "schwere Stoffwechselstörungen, etwa Diabetes" drohten.

Der Blick in die Studie relativiert die Aussage allerdings etwas. Der behauptete Zusammenhang erweist sich als eine Korrelation, die sich erstaunlicherweise nur bei Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von über 25 findet, die also bereits übergewichtig sind. Bei normalgewichtigen Menschen ist dieser Trend nicht feststellbar. Zu erklären bleibt auch, wieso der BMI der Übergewichtigen bei einem geringfügigen Jetlag von bis zu einer Stunde sogar noch abnimmt.

Dennoch ist unter Medizinern unbestritten, dass schlechter Schlaf der Gesundheit schadet, wobei es nicht nur um die Dauer des Schlafes geht, sondern auch um den Zeitpunkt. So gibt es - vermutlich stark genetisch beeinflusst - unterschiedliche Chronotypen, etwa Früh- oder Spätaufsteher, Lerchen oder Eulen. Auch im Schlafbedarf unterscheiden sich die Menschen. Spätaufstehende Langschläfer können nichts für ihre Disposition, sind aber besonders durch sozialen Jetlag gefährdet.

Gemäß den Daten der neuen Studie leiden immerhin gut zwei Drittel der Bevölkerung unter mindestens einer Stunde chronischem Jetlag, ein Drittel sogar an zwei Stunden und mehr. Am stärksten betroffen sind Teenager, die in der Regel eher Spätaufsteher sind, aber früh in die Schule müssen. Wie viel Schlaf einem Menschen fehlt, lässt sich den Autoren zufolge deutlich an den freien Tagen erkennen: Teenager schlafen etwa an Sonntagen durchschnittlich an die drei Stunden mehr als werktags. Nur bei Kleinkindern und Rentnern bleiben die Aufstehzeiten die ganze Woche über weitgehend gleich.

Für besonders bedenklich halten es die Autoren, dass sich der soziale Jetlag seit Jahren zu verschärfen scheint. Die durchschnittliche Schlafdauer an Werktagen nehme ab, während zugleich mehr Menschen zum Eulen-Chronotyp neigen. Die Forscher um Roenneberg machen dafür unter anderem die Tatsache verantwortlich, dass Menschen immer weniger Zeit unter freiem Himmel verbringen. Das schwache Licht in Innenräumen sei ein im Vergleich zur Sonne nur schwacher Zeitgeber, sodass sich die innere Uhr verstelle.

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SZ vom 11.05.2012/beu
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