Süddeutsche Zeitung

Schizophrenie-Medikamente:Weniger Rückfälle - starke Nebenwirkungen

Schizophrenie-Mittel haben heftige Nebenwirkung und Psychiater sind nicht immer sicher, ob sie auch zur Vorbeugung eines Rückfalls gegeben werden sollten. Die Ergebnisse einer neuen Metaanalyse sprechen für die Rückfallprophylaxe. Doch es bleiben Fragen.

Christian Weber

Während einer akuten Psychose fällt die Entscheidung leicht: So ziemlich jeder klinische Psychiater wird die Wahnsymptome eines schizophrenen Patienten mit Medikamenten behandeln. Die entsprechenden Antipsychotika haben es überhaupt erst möglich gemacht, die schwerste psychische Krankheit effektiv zu behandeln und so die moderne Psychiatrie mitbegründet. Schwieriger wird es, wenn die Entscheidung ansteht, wie einem Rückfall vorgebeugt werden soll.

Schließlich haben Antipsychotika starke Nebenwirkungen - ältere Präparate können Bewegungsstörungen verursachen, neuere Mittel können eine starke Gewichtszunahme bewirken. Bei Langzeitgebrauch deuten erste, allerdings unzureichend bestätigte Studien sogar auf ein erhöhtes Sterberisiko hin. Werden sie nicht weiter behandelt, erleiden zwar die meisten Betroffenen einen Rückfall, aber eben nicht alle. Hinzu kommen enorme Ausgaben: Antipsychotische Medikamente kosten die Gesundheitssysteme weltweit jährlich 18,5 Milliarden Dollar.

Eine umfassende Metaanalyse eines Teams um Stefan Leucht von der Technischen Universität München liefert nun neue Argumente für den Medikamenteneinsatz (Lancet, online). Die Epidemiologen und Psychiater untersuchten die Daten von knapp 6500 Schizophrenie-Patienten aus 116 methodisch hochwertigen Studienberichten, die zwischen 1959 und 2011 publiziert wurden.

Im Durchschnitt zeigte sich, dass die antipsychotischen Medikamente die Rückfallhäufigkeit auf jährlich 27 Prozent gegenüber 64 Prozent bei Placebogabe senkte. In der Medikamenten-Gruppe mussten zudem weniger Patienten das Krankenhaus aufsuchen (zehn Prozent gegenüber 26 Prozent). Begrenzte Belege aus nur wenigen Studien deuten außerdem darauf hin, dass unter der Medikation die Aggressivität nachlässt und die Lebensqualität steigt. Umgekehrt zeigten sich die erwarteten Nebenwirkungen: Erhielten sie das Medikament, klagten Patienten häufiger über Bewegungsstörungen (16 gegenüber neun Prozent bei Placebo), Müdigkeit (13 zu neun Prozent) und Gewichtszunahme (zehn zu sechs Prozent).

Diese Ergebnisse sprechen zwar für die medikamentöse Rückfallprophylaxe, dennoch bleiben Fragen. So verfolgten die analysierten Studien die Patienten nur maximal zwei Jahre, doch die Schizophrenie bleibt häufig ein Leben lang. Immer noch unklar sind zudem die Langzeit-Nebenwirkungen der Antipsychotika.

Zugleich deutet die Lancet-Metaanalyse darauf hin, dass die Wirksamkeit der Medikamente mit der Zeit nachzulassen scheint. Nicht zuletzt streiten sich die Psychiater darüber, woran man den Erfolg einer Schizophrenie-Medikation misst. Klassischerweise konzentrieren Ärzte sich auf die Bekämpfung psychotischer Symptome, doch leiden Betroffene auch stark unter kognitiven Störungen und der Beeinträchtigung ihrer sozialen Fähigkeiten.

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Quelle:
SZ vom 03.05.2012/beu
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