Crystal Meth:"So etwas habe ich noch bei keiner anderen Droge erlebt"

Lesezeit: 4 min

Crystal Meth ist keine neue Droge; schon die Nazis nutzten den Stoff. Doch mittlerweile ist das hochgefährliche Suchtgift in Sachsen stärker verbreitet als Cannabis. Trotzdem lehnen sich Experten in weiten Teilen Deutschlands tatenlos zurück. Suchtmediziner Roland Härtel-Petri hat ein mutiges Buch über ein vernachlässigtes Problem geschrieben.

Von Berit Uhlmann

Als das junge Mädchen zum ersten Mal die Droge Crystal Meth durch die Nase zog, erfasste sie ein nie dagewesener Tatendrang. "An diesem Tag hatte ich plötzlich eine unbändige Lust, ein Bild zu malen. Ich war überzeugt, dass ich etwas Einzigartiges schaffen konnte." Voll Hingabe zeichnete das Mädchen, fügte immer noch eine Kontur, immer noch eine Schattierung hinzu. Nach acht Stunden fand ihr drogenüberschwemmtes Hirn das Werk perfekt. Es war ein Blatt, "von einem einheitlichen Grau überzogen".

Von Menschen wie diesem Mädchen, von grotesken Auswirkungen des Methamphetamins, von Sorgen und vom Wegschauen der Experten berichten der Bayreuther Suchtmediziner Roland Härtel-Petri und der Journalist Heiko Haupt in ihrem Sachbuch: "Crystal Meth".

Methamphetamin unterdrückt Müdigkeit, Hunger, Schmerz - und jeglichen Zweifel. Es gab in der deutschen Vergangenheit durchaus Zeiten, in denen solch kritikloses Funktionieren hochwillkommen war. Denn Crystal ist keine neue Modedroge, der Stoff hat eine lange, beschämende Geschichte. Die Wehrmacht verteilte den seit 1938 unter dem Namen Pervitin erhältlichen Stoff an ihre Soldaten. Heinrich Böll war einer von ihnen, immer wieder spricht er in seinen Briefen von der Droge, die damals als Medikament galt. In Konzentrationslagern, so berichten es die Autoren Härtel-Petri und Haupt, soll das Rauschmittel verabreicht worden sein. Gefangene des KZ Sachsenhausen liefen unter seinem Einfluss ganze Tage lang schwerbeladen im Kreis, man ließ sie auf diese grauenvolle Weise die Qualität von Schuhen testen. Die Bundeswehr soll Pervitin noch bis in die 70er Jahre, die Nationale Volksarmee der DDR sogar bis 1988 in ihren Schränken gehabt haben.

Droge des Mittelstandes

Seine zweite Karriere erlebte der Stoff als kristalline Lifestyle-Droge unter anderem in den USA, Australien und in Mitteleuropa. In Europa ebneten ihr wahrscheinlich junge Tschechen den Weg. Die Männer suchten Anfang der 70er Jahre nach einem Rauschmittel, dessen Grundstoffe leicht zu beschaffen waren. Sie stießen auf Anleitungen zur Pervitin-Herstellung. Von da an verbreitete sich die Droge im Land und wahrscheinlich von Mitte der 90er Jahre an auch über die Grenze nach Deutschland.

All diese Entwicklungen zeichnet das Buch detailliert nach. Doch je weiter die Autoren die unmittelbare Gegenwart oder gar Zukunft der Droge erkunden, umso stärker bewegen sie sich im Ungefähren. Wie verbreitet die Droge wirklich ist, bis wohin sie sich bereits ins Land gefressen hat, weiß momentan niemand.

So beharrte die Bundesregierung bislang darauf, dass das Problem regional begrenzt und die Aufmerksamkeit für den Stoff mithin übertrieben oder gar gefährlich sei. Schließlich könne man ein Problem auch herbeireden. Dieser Auffassung halten Experten aus den betroffenen Regionen die Besonderheiten von Crystal Meth entgegen. Der Stoff ist vergleichsweise billig und steigert in geringerer Dosierung zunächst die Leistungsfähigkeit, was ihn auch in Kreisen attraktiv macht, die bisher nichts mit harten Drogen zu tun hatten. In Sachsen ist Crystal mittlerweile verbreiteter als Cannabis, ist längst ein Dopingmittel für den Alltag, eine Droge für Mittelstand und Handwerk. Niemand kann einen Grund dafür nennen, warum die Verheißungen dieser Droge auf Dauer nur im tschechisch-deutschen Grenzgebiet verfangen sollten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema