Rückenschmerzen:Der Job ist schuld

Dauersitzen ist eine Ursache für Rückenschmerzen, noch mehr Einfluss aber hat seelischer Stress. Wer sich im Beruf nicht wertgeschätzt fühlt, leidet.

Von Werner Bartens

Wahrscheinlich hat es mit dem aufrechten Gang zu tun. Und mit der Schwierigkeit, diesen ein Leben lang durchzuhalten. Kein Leiden verursacht so viele Fehltage, Frühberentungen und wirtschaftliche Ausfälle wie Rückenschmerzen. "Es ist eine weltweite Epidemie", sagt Marcus Schiltenwolf, Schmerztherapeut und Leiter der Abteilung für konservative Orthopädie an der Uniklinik Heidelberg. "In Deutschland sind Rückenschmerzen aber besonders ausgeprägt. Eventuell ist das die Folge hiesiger Versorgungsverhältnisse und von zu viel Medizin."

Irgendwann erwischt es jeden. Die Muskeln im Bereich der Lendenwirbelsäule verhärten sich, Bandscheiben geben nach, und die Nervenbahnen, die Beine und Becken versorgen, geraten in Mitleidenschaft. Die gepeinigte Kreatur weiß dann kaum noch, was schlimmer ist: sitzen, stehen oder liegen. Natürlich liegt die Häufung der Rückenschmerzen auch daran, dass wir sesshaft geworden und kaum noch auf dem Feld oder anderweitig körperlich tätig sind, sondern im Büro verharren. Übergewicht, Depressionen und schweres Heben tragen zu Rückenschmerzen bei.

Das, was Mediziner tapfer als Stütz- und Halteapparat bezeichnen, ist bei den meisten Dauersitzern die größte Schwachstelle. Trotzdem erklären schlaffe Muskeln, wenig geübte Bänder und weiche Knochen nicht allein, warum es den Menschen so oft ins Kreuz fährt. Es liegt auch an der seelischen Verwundbarkeit von Homo sapiens, die im Bereich der Lendenwirbelsäule ihren körperlichen Ausdruck findet.

Psychische Unzufriedenheit ist der entscheidende Faktor

Psychische Unzufriedenheit ist der entscheidende prognostische Faktor, der baldiges Leiden wahrscheinlich macht. Private Probleme spielen zwar eine Rolle, aber noch stärker geben berufliche Schwierigkeiten den Ausschlag dafür, dass sich Rückenschmerzen entwickeln. Wer sich im Job nicht wertgeschätzt fühlt und sein Bemühen nicht anerkannt sieht, leidet besonders häufig an der Pein im Kreuz.

Weil die Beschwerden im Rücken so häufig psychische Ursachen haben, lässt sich aus medizinischen Bildern oft nichts ablesen, egal ob Röntgen, Kernspin oder CT. In kaum einem Bereich klaffen Befinden der Patienten und Befund so weit auseinander. Aus diesem Grund wird in unabhängigen Leitlinien auch davon abgeraten, bei unkomplizierten Rückenschmerzen in den ersten sechs Wochen Aufnahmen zu machen. Orthopäden und Radiologen hält dies - trotz bewiesener Nutzlosigkeit - nicht davon ab, immer mehr zu röntgen, sowie Kernspin und CT auszulasten.

"Medizinische Faktoren tragen leider dazu bei, dass Rückenschmerzen so verbreitet sind", sagt Schiltenwolf. "Patienten werden zu früh zur Physiotherapie geschickt, dabei sollten sie sich selbst bewegen und keinen Coach neben sich haben, der sagt, was falsch und richtig ist. Es werden zu schnell Bilder gemacht, zu schnell Opioide verschrieben, und es wird zu schnell operiert. Die Bevölkerung delegiert den Rücken an den Arzt. Was verloren geht, ist die gesunde Handlungskompetenz."

Weil weder Bilder noch Befund etwas über das Ausmaß der Beschwerden verraten, sollten Operationsempfehlungen zurückhaltend ausgesprochen werden. Bewegen statt schonen, das ist der beste Rat. "Rückenschmerzen sind wie Erkältungen - mit Arzt dauern sie zwei Wochen, ohne 14 Tage", sagt Peer Eysel, Chefarzt an der Kölner Uniklinik für Orthopädie.

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