Fast jeder hat es einmal im Kreuz: 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leidet mindestens einmal im Jahr mehr oder weniger stark an Rückenschmerzen. Viele erhoffen sich dann Heilung beim Arzt. Doch wenn der Rücken weh tut, reagieren Patienten wie Ärzte häufig falsch. Das zeigt die Studie "Faktenscheck Rücken" der Bertelsmann Stiftung.
Für die Untersuchung hat das Institut für angewandte Gesundheitsforschung die anonymisierten Daten von sieben Millionen gesetzlich Krankenversicherten ausgewertet. Außerdem wurden im Juni 2016 etwa 1000 Bürger von TNS Emnid zum Thema Rückenschmerzen befragt. Das Hauptergebnis der Studie: In Deutschland wird der Rücken gern durchleuchtet. Doch viele der Röntgen-, Computertomographie- (CT) und Magnetresonanztomographie-Aufnahmen (MRT) sind unnötig und damit Geldverschwendung. Folgende Fehler passieren häufig in Arztpraxen:
Fehler Nummer eins
Jeder Zweite ist überzeugt, dass es nötig ist, bei Rückenschmerzen unbedingt einen Arzt aufzusuchen. So geht jeder fünfte Versicherte mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt, gut ein Viertel sogar vier Mal oder häufiger. Tatsächlich könnten Rückenschmerzen aber "kommen und gehen", heißt es in der Studie. Außerdem seien die Behandlungserfolge bescheiden. So erklärten nur 27 von 100 Patienten, die wegen Rückenschmerzen bis zu zwölf Monate vor der Befragung medizinische Hilfe in Anspruch nahmen, dauerhaft und bis heute schmerzfrei zu sein.
Fehler Nummer zwei
Patienten bestehen auf einer Diagnose und dem Einsatz von Geräten. 60 Prozent der Versicherten erwarten eine bildgebende Untersuchung. Mehr als zwei Drittel glauben sogar, dass mit einer Röntgenaufnahme, einer CT oder einer MRT die genaue Ursache des Schmerzes zu finden ist. Dies ist jedoch ein Trugschluss. So gilt bei Rückenschmerzen die Faustregel, dass sich mit oder ohne Aufnahme bei gerade einmal 15 Prozent der Betroffenen eine spezifische Ursache für den Schmerz feststellen lässt. "Die meisten Bilder verbessern oft also weder Diagnose noch Behandlung von Rückenschmerzen", argumentiert die Bertelsmann-Stiftung.
Fehler Nummer drei
Die bildgebende Diagnostik erfolgt oft vorschnell, vor allem bei Orthopäden, die im Quartal der Erstdiagnose viermal so häufig ein Röntgenbild veranlassen wie Hausärzte. Nach der Nationalen Versorgungsleitlinie sollte dies jedoch, wenn keine besonderen Hinweise auf ein Krankheitsbild vorliegen, frühestens nach sechs oder zwölf Wochen erfolgen, sofern eine konservative Therapie, wie etwa eine Physiotherapie, erfolglos ist. Trotzdem kam es bei jeder zweiten Aufnahme zu einem frühen Einsatz bildgebender Verfahren.
Auffällig sind die großen regionalen Unterschiede: So weicht in einzelnen Bundesländern die Zahl der Verordnungen von Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen um bis zu 30 Prozent voneinander ab. In manchen Stadt- und Landkreisen werden sogar doppelt so viele Aufnahmen veranlasst als anderswo. In der Studie heißt es dazu: Die regionale Häufigkeit von MRT-Aufnahmen könnte auch "durch die Verfügbarkeit von MRT-Geräten oder Wartezeiten in radiologischen Praxen beeinflusst sein". Viele der sechs Millionen Bildaufnahmen, die auf die jährlich mehr als 38 Millionen Besuche bei Haus- oder Fachärzten auf Grund von Rückenproblemen zurückgehen, seien daher vermeidbar.
Fehler Nummer vier
"Oft werden die Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen", was den Patienten verunsichere und zu ständig wiederkehrenden Beschwerden beitragen könne, sagt Jean-François Chenot von der Universität Greifswald. Er ist der medizinische Experte für die Studie.
Fehler Nummer fünf
Ärzte halten sich bei ihren Ratschlägen nicht an wissenschaftliche Empfehlungen. So legen ärztliche Leitlinien nahe, dass Patienten bei Rückenschmerzen ohne Hinweise auf gefährliche Verläufe (wie zum Beispiel Wirbelbrüche oder Entzündungen) Bettruhe vermeiden und weiter ihren Körper bewegen sollten. Fast die Hälfte der Ärzte empfiehlt jedoch der Untersuchung zufolge Ruhe und Schonung. Auch verstärkten viele Mediziner das Krankheitsgefühl.
So würden 47 Prozent der Ärzte den Patienten vermitteln, ihr Rücken sei "kaputt" oder "verschlissen". Und nur jeder zweite Arzt rede mit Patienten mit Rückenleiden über mögliche psychische Krankheitsursachen wie Stressfaktoren oder mentale Belastungen."Die gründliche körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient müssen wieder mehr Gewicht erhalten", fordert deshalb Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Das ärztliche Vergütungssystem müsse zu Gunsten der Gespräche korrigiert werden.
Dass es anders geht, zeigen Länder wie die Niederlande, die den Zugang zu Röntgen-, CT-, und MRT-Geräten strikter beschränkt haben. In der kanadischen Provinz Ontario werden seit 2012 mit Patienten anhand eines Fragebogens und eines einstündigen Untersuchungs- und Behandlungsgesprächs Strategien gegen Rückenschmerzen erarbeitet. Zeitgleich hat das Gesundheitsministerium außerhalb dieses Programms die Vergütung für bildgebende Diagnostik bei Rückenschmerzen ohne erkennbar gefährlichen Verlauf gestrichen. Seitdem ist die Zahl der verordneten Aufnahmen deutlich zurückgegangen.