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Wissenschaftler Robert Koch:"Er konnte mit Menschen nicht so wie mit Mikroben"

Robert Koch war ein akribisches Laborgenie, doch kosteten Eitelkeit und Ehrgeiz ihn beinahe seine Karriere. Über einen großen Forscher und schwierigen Charakter.

Von Christina Berndt

Sein Name ist momentan so oft in der Presse wie früher nur zu seinen besten Zeiten - und zu seinen schlechtesten. Die öffentliche Aufmerksamkeit, am Anfang hatte Robert Koch sie noch gesucht, wurde dann für ihn zum Fluch. Heute wäre der Name des großen Arztes und Wissenschaftlers Robert Koch neben denen seiner vielen berühmten Schüler, Mitstreiter und Gegner vielleicht gar nicht so bekannt, gäbe es nicht dieses Institut, das seinen Namen trägt, und das die Deutschen nun, in der Corona-Krise, täglich mit Nachrichten zum jüngsten Stand der Seuche versorgt.

Das Robert-Koch-Institut in Berlin ist die für Infektionskrankheiten zuständige Bundesoberbehörde - und ihre tagtägliche Zitation lenkt in diesen Tagen den Blick auf den Namensgeber und ersten Direktor des Hauses. Auf den weltoffenen, methodisch exzellent arbeitenden Forscher, aber auch den empfindlichen, unversöhnlichen, um Anerkennung, Geld und Liebe buhlenden Menschen Robert Koch.

Ein großer Entdecker ist Robert Koch nicht gewesen

Selten lagen Stern- und Finsternisstunden im Leben eines Wissenschaftlers so dicht beisammen wie in seinem. Trotz allem trägt das wichtige deutsche Gesundheitsinstitut heute zu Recht seinen Namen. Denn der 1843 als Sohn eines Bergwerksbeamten in Clausthal im Harz geborene Koch war ein Pionier der modernen Bakteriologie und Hygiene, der das Verständnis von den Ursachen und von der Ausbreitung von Krankheiten fundamental vorantrieb. Koch identifizierte die Erreger zahlreicher Seuchen und schenkte der Welt völlig neue Methoden, um Krankheiten besser zu verstehen.

Ein großer Entdecker aber sei Robert Koch eigentlich nicht gewesen, sagt der Medizinhistoriker und Koch-Experte Christoph Gradmann von der Universität Oslo: "Das Bild des Entdeckers suggeriert heroische Vorgehensweise, unberührte Natur und Einzigartigkeit im Geschehen." Was Koch war: ein Laborgenie, das akribisch Ideen verfolgte und neue Methoden ersann. Das zog sich durch sein ganzes Leben, auch wenn man Gradmann zufolge im jungen Koch noch nicht den künftigen Weltklasseforscher erkennen konnte, "einmal abgesehen von einer Neigung zum Sammeln und Katalogisieren von Pflanzen". Koch war kein schlechter Schüler, liebte vor allem die Mathematik und das Schachspiel, aber als genial galt er nicht. Er träumte davon, ein weitreisender Naturforscher zu sein.

Im Kampf gegen "die schreckliche Plage des Menschengeschlechts"

So studierte Koch zunächst Botanik, Physik und Mathematik im heimatnahen Göttingen. Aber dann schwenkte er, wie viele Studenten seiner Generation, die nicht aus wohlhabenden Elternhäusern kamen, "auf die Medizin als Brotberuf" um, wie Gradmann sagt. Koch erwies sich als begabter Student, er bekam sogar einen Preis für seine Doktorarbeit, in der er die Entstehung von Bernsteinsäure im menschlichen Organismus untersuchte - und sich dafür in einem beachtlichen Selbstexperiment mehrere Kilogramm Butter einverleibte. Dennoch ging er nach dem Studium nicht in die Wissenschaft, sondern suchte eine "auskömmliche Stellung", um sich und seine frisch angetraute Frau Emmy versorgen zu können. 1872 wurde Koch Kreisarzt in Posen.

Dort machte er das Beste aus seiner nicht sehr aufregenden Position: Er nutzte sein Labor, um zu forschen. Dabei nahm er sich den Milzbrand vor - eine Tierseuche, die Landwirte in den Ruin trieb und manchmal auch Menschen befiel. Jetzt zahlte sich Kochs frühes Interesse für Pflanzen aus, denn sie bahnten ihm den Weg zu wissenschaftlichen Meriten.

Schon vor ihm hatten andere Forscher zwar erkannt, dass der Milzbrand offenbar von seltsamen Stäbchen übertragen wurde, die man im Blut erkrankter Tiere fand. Doch erst Koch entdeckte, dass der Milzbranderreger ebenso wie manche Pflanzen Sporen bildet. Diese widerstandsfähigen Gebilde konnten selbst in winterharten Böden überdauern und im Frühjahr erneut ganze Herden vernichten. Vor allem aber bewies er, dass die Stäbchen tatsächlich die Erreger des Milzbrandes sind: Er isolierte die Bazillen aus dem Blut kranker Tiere, vermehrte sie und machte zuvor gesunde Tiere damit krank. Das war revolutionär.

Seine 1876 veröffentlichten Erkenntnisse begeisterten einflussreiche Mikrobiologen wie den Breslauer Botaniker Ferdinand Cohn. So erhielt Koch Eintritt in universitäre Kreise. Beflügelt stürzte er sich weiter in die Arbeit, und 1880 wurde er belohnt - mit der Berufung an das neu gegründete Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin. Hier begann seine wissenschaftlich produktivste Phase, in der er sich der Erforschung der Tuberkulose widmete, die damals als "Schwindsucht" eine häufige Todesursache in Europa war. Sie bereitete ihm den wissenschaftlichen Durchbruch.

Am 24. März 1882 konnte Koch der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin den Erreger der Tuberkulose präsentieren, den er Tuberkelbazillus nannte. "In Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechts nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben", sagte Koch in Berlin. Endlich schien der Feind umzingelt, ein Sieg gegen die todbringende Krankheit zum Greifen nah. Die Entdeckung, für die er später den Nobelpreis erhalten sollte, machte "ihn mit einem Schlage zum größten, erfolgreichsten und verdienstvollsten Forscher für alle Zeiten", stellte sein damaliger Mitarbeiter Friedrich Loeffler fest. Und Paul Ehrlich notierte, ihm sei "jener Abend stets als mein größtes wissenschaftliches Erlebnis in Erinnerung geblieben". Das Echo in der Wissenschaft war überwältigend. Koch hatte nicht nur einen Erreger präsentiert, sondern auch ein ganzes Repertoire an bakteriologischen Techniken, Methoden und Kriterien, mit denen Erregernachweise künftig gelingen würden - und für die Loeffler bald darauf den Begriff "Koch'sche Postulate" prägte.

Unter Erfolgsdruck präsentierte Koch ein Heilmittel, das keines war

Doch Koch machte auch Fehler. In der Überzeugung, stets die richtigen Antworten zu haben, legte er sich mit zahlreichen Konkurrenten und einigen seiner eigenen Schüler an. Schon ab Anfang der 1880er-Jahre stritt er mit dem Begründer der Hygiene in Deutschland, dem Münchner Max von Pettenkofer, über die Entstehung der Cholera. "Es ging vor allem um unterschiedliche Strategien zur Seuchenbekämpfung", sagt der Medizinhistoriker Wolfgang Locher, Autor einer Pettenkofer-Biografie. "Zwischen den beiden war das Verhältnis bis zum Tode unterkühlt, da fielen auch Worte, die kein guter Stil waren." Ab 1881 verstrickte sich Koch zudem immer tiefer in eine Kontroverse mit dem großen französischen Mikrobiologen Louis Pasteur über den Milzbrand. Das war allerdings gar nicht so schlecht für Koch, denn er wurde durch den Zwist mit dem damals schon berühmten Franzosen selbst bekannter - zumal die Auseinandersetzung in Zeiten deutsch-französischer Rivalität auch politisch angeheizt wurde. Während Pasteur durchaus antideutsche Gefühle hegte, hatte Koch trotz seiner Erfahrungen als Lazarettarzt im Krieg von 1870/71 keine Vorbehalte gegen die Franzosen, für ihn prägten die wissenschaftlichen Inhalte den Dissens.

Spätestens ab 1884 kannte dann fast jeder Deutsche den Namen Robert Koch. Denn dieser konnte mit seinem nächsten großen Erfolg aufwarten: Während einer Indienexpedition hatte er den Erreger der Cholera identifiziert, den er wegen seiner Form "Kommabazillus" nannte. 30 Jahre lang hatten Forscher bereits nach diesem Keim gesucht, der Menschen auch in Europa den Tod brachte. Schon während der Expedition berichteten die Zeitungen damals regelmäßig, bei seiner Rückkehr wurde Koch wie ein Kriegsheld gefeiert. Ihm gefiel das: "Mein Lieblingsorden ist mein Kronenorden II. Klasse, den mir unser alter Kaiser nach der Rückkehr von der Cholerakampagne in Indien persönlich überreicht hat", schrieb er. "Er ist am schwarz-weißen Bande zu tragen, wie ein Kriegsorden. Er war ja auch schließlich einer."

Robert Koch

1843 geboren in Claustha im Harz

1862 bis 1866 Studium in Göttingen

1867 Heirat mit Emmy Fraatz

1872 Anstellung als Kreisarzt

1876 Erstes wissenschaftliches Renommee durch Arbeiten zum Milzbrand

1880 Berufung an das neu gegründete Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin

1881 Beginn der Kontroverse mit Louis Pasteur

1882 Präsentation des Tuberkelbazillus als Erreger der Tuberkulose

1884 Identifizierung des Erregers der Cholera

1884 Stellvertretender Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamts

1890 Tuberkulin als angebliches Heilmittel gegen Tuberkulose

1890 Trennung von Emmy

1891 Tuberkulin-Skandal und Bekanntwerden der Affäre mit der 17-jährigen Kunststudentin Hedwig Freiberg

1891 Gründungsdirektor des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten (Vorläufer des heutigen Robert-Koch-Instituts)

1892/93 Koch bewältigt die Hamburger Cholera-Epidemie

1893 Heirat mit Hedwig Freiberg

ab 1895 Hinwendung zur Tropenmedizin

1904 Pensionierung

1905 Nobelpreis für Medizin

1906/07 Große Expedition zur Schlafkrankheit

1910 Tod in Baden-Baden

Zwar sah Kochs Rückkehr zunächst wie ein Sieg aus, aber der Choleraerreger bereitete seinem Entdecker auch Probleme. Koch konnte manche der Postulate nicht erfüllen, die er selbst zum Nachweis eines Erregers forderte. Zum Beispiel ließ sich kein Tier mit seiner Kommabazillus-Reinkultur krank machen.

Eine erste Krise begann. Noch dazu fand sich Koch zur Belohnung für seine Cholera-Entdeckung auf dem ungeliebtesten Posten seiner Karriere wieder: auf einem gegen den Willen der Fakultät an der Berliner Universität geschaffenen Lehrstuhl für Hygiene. Das war zwar ein Sieg für die Hygiene, die damit Lehrfach wurde, doch für Koch begann eine schwere Zeit. Er sah sich als Nicht-Habilitierter in eine Fakultät gesetzt, die ihm kritisch gesonnen war.

Umso mehr mühte sich Koch, Erfolge vorzuweisen - was sich zu einem Desaster für ihn entwickeln sollte. Der Druck stieg noch dazu, weil seine Konkurrenten bedeutende Durchbrüche erzielten. Koch hatte bei seiner Fokussierung auf die Mikroben das junge Fach Immunologie vernachlässigt, mit dem nicht nur sein inzwischen ungeliebter Schüler Emil von Behring Erfolge gegen die Diphtherie feierte (und Koch zu dessen Verdruss damit den ersten Nobelpreis für Medizin, der 1901 verliehen wurde, wegschnappte), sondern auch sein Pariser Konkurrent Pasteur gegen die Tollwut. Der präsentierte 1885 ein Immunserum gegen die verbreitete Krankheit, das auch zum kommerziellen Erfolg wurde. Mit seinem neuen Reichtum gründete der Franzose 1887 sein Institut Pasteur, dem weitere in aller Welt folgten, schon 1891 kam es zur ersten Ausgründung in Saigon.

"Sofort ist eine Schar von Missgünstigen und Eifersüchtigen bei der Hand."

So sah sich Koch immer mehr gedrängt, endlich das Heilmittel gegen die Tuberkulose zu entwickeln, das er versprochen hatte. Im Herbst 1890 präsentierte er sein "Tuberkulin", dessen Rezeptur zunächst sein Geheimnis bleiben durfte, da es damals noch keinen Patentschutz für Medikamente gab. Das Mittel gegen die Schwindsucht löste eine beispiellose Euphorie aus.

Aber dann kam es zu ersten dramatischen Todesfällen infolge der Tuberkulintherapie. Koch sah sich 1891 schließlich gezwungen, das Rezept offenzulegen. Damit offenbarte er, dass es sich beim Tuberkulin lediglich um ein Extrakt aus Tuberkelerregern handelte und er in Wahrheit gar nicht wusste, wie er die Schwindsucht bekämpfen könnte. "Die wirksamen Bestandteile waren ihm gänzlich unbekannt", sagt Gradmann. Noch dazu litt Kochs Ansehen, als im Frühjahr 1891 die Affäre des nunmehr 48-Jährigen mit der erst 17-jährigen Kunststudentin Hedwig Freiberg bekannt wurde, die er 1893 heiratete.

Trotzdem wurde Koch im Sommer 1891 Direktor des eigens für ihn gegründeten Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, das ab 1912 seinen Namen tragen sollte. Allerdings nutzte die preußische Kultusbürokratie den angeschlagenen Ruf Kochs, um ihm einige Auflagen zu verpassen: Er verlor das Recht auf eine Privatpraxis und auf die Patente aus seinen am Institut gemachten Erfindungen. Man hatte nicht vergessen, dass Koch versucht hatte, dem Staat Tuberkulin zu einem hohen Preis zu verkaufen.

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Kochs Ruf erholte sich dennoch - als er sich in Hamburg als Retter vor der Cholera präsentierte. Bei der Epidemie, die die Stadt ab 1892 ergriff, zeigte sich, wie recht Koch mit seiner Strategie zur Bekämpfung von Seuchen hatte, die im Gegensatz zu den Überlegungen Pettenkofers vor allem auf sauberes Trinkwasser baute. Koch setzte sich über den zögerlichen und überforderten Hamburger Senat hinweg. Die hygienischen Zustände, welche die Cholera so begünstigten, schockierten ihn: "Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln. Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde."

Doch bei allem Aufwind durch seinen Sieg über die Cholera: Die schwierigen Zeiten hatten bei Koch Spuren hinterlassen. Er sah sich zunehmend von Kritikern umgeben. Noch dazu war er an seinem Institut eher unglücklich, als Führungskraft taugte er nur bedingt. "Er konnte mit Menschen nicht so wie mit Mikroben", sagt Christoph Gradmann.

So sehnte sich Robert Koch zurück nach den "alten Zeiten, als wir noch ganz unbefangen und ungestört uns unseren Studien hingeben konnten", wie er 1904 in einem Brief schrieb. "Was ich jetzt auch anfassen und unternehmen mag, sofort ist eine Schar von Missgünstigen und Eifersüchtigen bei der Hand, die sich auf dieselbe Sache stürzen, sie streitig zu machen oder, wenn ihnen das nicht gelingt, sie einem zu verekeln versuchen."

Immer stärker fokussierte sich Robert Koch daher auf Tropenkrankheiten, die er im Ausland erforschte. Ab Mitte der 1890er-Jahre verbrachte er zusammen mit seiner jungen Frau mehr Zeit auf Reisen als in dem Institut. 1904 ließ er sich, erst 60 Jahre alt, pensionieren. Er wollte nur noch eines: die Führung des Instituts, das heute seinen Namen trägt, so schnell wie möglich abgeben.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2020
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