Risiken der Reproduktionsmedizin:Überfordert vom Kinderwunsch

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Wenn Paare sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden und die Schwangerschaft ausbleibt, kann das zu starken seelischen Belastungen führen.

Wiebke Rögener

Hochfliegende Hoffnung und abgrundtiefe Enttäuschung - zwischen diesen beiden Polen wechselt oft die Stimmung von Paaren, die die Hilfe der Medizin in Anspruch nehmen, um ein Kind zu bekommen. Oft folgt auf Hormonspritzen, auf eine künstliche Befruchtung und das Einsetzen des Embryos nicht die ersehnte Schwangerschaft. Der emotionale Stress belastet viele Frauen stärker als die unangenehmen medizinischen Prozeduren.

Abbildungen von künstlich befruchteten Eizellen im Zentrum für Reproduktionsmedizin in der Universitätsfrauenklinik Leipzig. Wenn der Kinderwunsch mit Hilfe der Hormonspritze erfüllt wird, birgt das oft unbekannte Risiken für die Psyche. (Foto: dpa)

Auf diese Achterbahnfahrt der Gefühle sind Patientinnen oft nicht angemessen vorbereitet, zeigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum (Human Reproduction) aus dem Jahr 2011. Der Medizinethiker Oliver Rauprich und seine Kollegen befragten fast 1600 Patientinnen und Patienten (rund 90 Prozent waren Frauen). Auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 6 (sehr schlecht) sollten sie angeben, wie gut sie sich bei einer Kinderwunschbehandlung beraten fühlten.

Der Fragebogen wurde über 18 deutsche Fertilitätszentren sowie über Internetforen verbreitet. Repräsentativ sei diese Stichprobe nicht, räumt Rauprich ein, aber doch groß genug, um erhebliche Probleme in der Beratung aufzuzeigen. Dabei glaubt er nicht, dass sich vor allem besonders enttäuschte Frauen beteiligt haben: "Bei vielen Fragen äußerten sich die Patientinnen ja durchaus zufrieden."

Demnach können die Ärzte vor allem das gut, was sie gelernt haben: Über körperliche Risiken seien sie ausreichend informiert worden, erklären die Befragten, ebenso über die Erfolgschancen und Kosten. Weit schlechter fühlten sie sich aber über die emotionalen Belastungen aufgeklärt, die eine Kinderwunschbehandlung mit sich bringt. Auch auf die Möglichkeit einer unabhängigen psychosozialen Beratung wurde nicht ausreichend hingewiesen.

Dabei ist das seelische Leid groß. "Mehr als 80 Prozent der Patientinnen gaben an, dass die emotionalen Kosten hoch oder sehr hoch seien", berichtet Rauprich. Die Beziehung zum Partner wird stark belastet, auch der Umgang mit Familie und Freunden ist in dieser Zeit oft schwierig. Vor allem aber scheint der Kinderwunsch im Laufe der Behandlung immer mehr Raum im Leben einzunehmen. Bei drei von vier Befragten war er so beherrschend, dass sich alles diesem Ziel unterordnete und andere Lebenspläne völlig in den Hintergrund traten. Jede zweite Patientin empfand sogar, dass sie durch das überwältigende Verlangen nach einem Baby die Kontrolle über die Situation verlor. Rauprich bezweifelt, dass Betroffene dann noch fähig sind, informiert zu entscheiden, ob sie die Behandlung fortsetzen möchten. Viele wagten es einfach nicht auszusteigen.

Ärzte und psychosoziale Berater, die in der Bochumer Studie ebenfalls befragt wurden, hielten die Erwartungen der Patienten oft für unrealistisch. Jeder vierte Reproduktionsmediziner und jeder zweite psychosoziale Berater sagte, die Patientinnen seien häufig damit überfordert, über das Ende einer Kinderwunschbehandlung zu entscheiden.

Gleichwohl fällt es Ärzten schwer, von sich aus einen Abbruch der Behandlung zu empfehlen. "Das ist immer auch eine narzisstische Kränkung für den Arzt", sagt Ulrich Hilland, Ärztlicher Leiter des Fertility Center Münsterland und Vorsitzender des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands. "Man fühlt sich dann schlecht als Arzt und muss das wahrnehmen und zulassen können." Doch nach vier oder fünf erfolglosen Behandlungszyklen ist für ihn die Grenze erreicht, er rät dann von weiteren Versuchen ab. "Man muss von Anfang an darüber reden, dass es keine Garantie für eine Schwangerschaft gibt." Aber manche Patientinnen wollten das nicht hören. "Die wechseln dann einfach in eine andere Praxis und machen weiter."

Hilland betont: "Ein Erfolg ist nicht nur die Schwangerschaft oder die Geburt eines Kindes. Ein Erfolg ist es für mich auch, wenn ein Paar nach einigen Versuchen akzeptieren kann, dass sich sein Wunsch nach einem Kind nicht erfüllen wird, und beide mit sich im Reinen sind." Eine seelische Wunde bleibe immer zurück, aber sie könne vernarben. "Solange ein Paar ständig weitere Versuche unternimmt, reißt die Wunde immer wieder auf. Mit den gewachsenen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin ist es schwerer geworden, Kinderlosigkeit als Schicksal anzunehmen."

Oliver Rauprich schlägt vor, den Ausstieg aus einer wenig erfolgversprechenden Kinderwunschbehandlung durch eine verpflichtende Beratung zu erleichtern, bei der schon zu Beginn darüber gesprochen wird, wann die Bemühungen beendet werden sollen. In Großbritannien gehörten psychosoziale Beratungsgespräche zur Routine, in Deutschland nicht. Ulrich Hilland widerspricht: "Auch in Deutschland müssen sich Paare vor einer reproduktionsmedizinischen Behandlung über körperliche und psychische Risiken beraten lassen, und zwar von einem anderen Frauenarzt als dem, der die Maßnahmen durchführt." So schreiben es die Richtlinien über künstliche Befruchtung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vor. Demnach sollen auch die "seelischen Belastungen insbesondere für die Frau sowie möglich Alternativen zum eigenen Kind (zum Beispiel Adoption) eingehend erörtert werden."

Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs liegt in dem Ernst, mit dem die Richtlinien beachtet werden. "Die Qualität dieser Beratungen ist sehr unterschiedlich", sagt Sabine Zimmerling vom Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Düsseldorf. "Sie hängt ganz davon ab, wie ein Arzt sich engagiert." Eine richtige Ausbildung dafür hat er meist nicht: Lediglich 80 Stunden Fortbildungen zur "psychosomatischen Grundversorgung" muss besucht haben, wer solche Beratungen anbietet. "Eine reine Alibiveranstaltung", sagt Zimmerling. Nicht viel Rüstzeug jedenfalls für schwere psychische Konflikte.

Nach wie vor können die meisten Paare am Ende der Behandlung kein Kind mit nach Hause nehmen. "Das bedeutet einen Abschied vom Kinderwunsch auf Raten. Ein solch verzögerter Trauerprozess ist ungeheuer belastend", hebt die Düsseldorfer Psychotherapeutin hervor. Manche Patientinnen würden derart depressiv, dass die Gefahr eines Suizids bestehe. "So schwere Störungen sind selten. Aber etwa ein Drittel der Patienten - übrigens auch Männer - entwickelt während der Behandlung ernsthafte emotionale Probleme."

Viele der Betroffenen schämten sich, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagt Sabine Zimmerling. Eine kurze obligatorische Beratung durch Psychologen oder Psychotherapeuten zu Beginn jeder Kinderwunschbehandlung hält sie daher für sinnvoll. "Dann wäre das normal und die Hemmschwelle niedriger, wieder hinzugehen, wenn im Verlauf der Behandlung emotionale Probleme auftreten."

Doch so groß die seelischen Belastungen durch die Reproduktionsmedizin auch sind, in der Regel werden sie erfolgreich überwunden. "Die Lebensqualität der Paare - ob sie nun ein Kind bekommen haben oder nicht - ist fünf Jahre nach der Therapie wieder so hoch wie vorher", sagt Zimmerling. "Egal, wie die Kinderwunschbehandlung ausgeht, es gibt eine Aussicht auf ein glückliches Leben danach."

© SZ vom 23.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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