Süddeutsche Zeitung

Notfallmedizin:Mehr Sicherheit für Notfallsanitäter

Es ist eine Unverschämtheit, dass der Rettungsdienst, der kranke und schwer verletzte Patienten zu versorgen hat, regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt kommt.

Kommentar von Felix Hütten

Manchmal, weit draußen auf dem Land, werden ihnen schon mal die Finger zittrig. Da liegt eine Motorradfahrerin blutend im Graben, der Geist trüb, Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma. Jetzt also knien zwei Notfallsanitäter über der Verletzten, die vor Schmerz wimmert und immer schlechter atmet.

Sie fordern einen Notarzt an, denn die Frau braucht schnell Schmerzmedikamente und eine künstliche Beatmung. Doch der nächste Notarzt ist weit weg, er wird acht Minuten brauchen, vielleicht sogar eine Viertelstunde. Für die Patientin könnte das zu lange sein, vor allem dann, wenn ihr Herz aufhört zu schlagen.

Was tun? Die rechtliche Lage für Notfallsanitäter in Deutschland ist in einer solchen Situation heikel, denn im Grunde ist jeder Eingriff in den Körper eines Menschen eine Körperverletzung, Patienten müssen dieser zustimmen. Außerdem gilt der sogenannte Heilkundevorbehalt: Eigentlich dürfen nur Ärzte eine Narkose einleiten und künstlich beatmen.

Eine Zwickmühle, kein Wunder, dass Rettungsdienste Nachwuchsprobleme haben

Doch damit zu warten ist für Notfallsanitäter manchmal schwierig, denn dies könnte Verletzte weiter in Richtung Tod treiben. Dann droht den Notfallsanitätern im schlimmsten Falle ein Verfahren wegen Körperverletzung durch Unterlassen. Als Lösung für dieses Dilemma gibt es die eher wacklige Konstruktion des "rechtfertigenden Notstands": Notfallsanitäter also intubieren zum Beispiel verbotenerweise einen Patienten, um damit die ebenso verbotene Körperverletzung durch Unterlassung zu umgehen (und im Idealfall damit Menschenleben zu retten).

Eine Zwickmühle, kein Wunder, dass die Rettungsdienste - unter anderem auch deshalb - Nachwuchsprobleme haben. Denn Notfallsanitäter klagen zurecht, dass nicht nur weite Teile der Bevölkerung, sondern auch der Gesetzgeber etwas mehr Wertschätzung ausdrücken könnte, in Form von Rechtssicherheit zum Beispiel. Es ist eine Unverschämtheit, dass Menschen, die täglich kranke und schwer verletzte Patienten zu versorgen haben, regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

Nun soll auf Antrag aus Bayern und Rheinland-Pfalz jener Heilkundevorbehalt für Notfallsanitäter aufgehoben werden. Es ist eine einfache Lösung, aber keine gute. Denn es kann zu einer Ausdünnung von Notärzten in Deutschland führen - das Gegenteil wäre notwendig. Denn dann würden sich die Anfahrtszeiten verkürzen und Notfallsanitäter deutlich seltener in die Situation geraten, intubieren oder kleine Not-OPs durchführen zu müssen.

Wenn sie dies aber tun sollen, dann reicht es nicht, einfach die Regeln zu lockern. Wer Notfallsanitätern mehr Verantwortung geben will, muss sie entsprechen ausbilden und fördern. Denn niemand hat etwas davon, wenn sie ärztliches Handeln übernehmen dürfen, aber nicht wissen, wie es geht.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019/fehu
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