Süddeutsche Zeitung

Rehasport:Dem Krebs davon joggen

Sport kann den Verlauf von Krebserkrankungen verbessern und Therapien unterstützen. Doch viele Patienten tun sich mit der Motivation schwer.

Von Veronika Kormaier

Aus der Turnhalle der Münchner Hochschulsportanlage ertönt Tanzmusik und der Hall schneller Schritte. Gerade hat die Leiterin der Rehasportgruppe von Krebspatienten zu einem Fangspiel aufgerufen. Die 15 Frauen und Männer rufen sich "das schaffst du" zu, sobald einem von ihnen die Luft ausgeht. Nach dem Spiel stehen alle im Kreis und machen Gymnastik- und Konditionsübungen. Jeder so, wie die eigene Kraft es zulässt.

Eine Teilnehmerin hat die Chemotherapie gerade erst hinter sich, bei einer anderen ist noch nicht sicher, ob bald eine weitere folgt. Gemeinsam haben aber alle, dass sie mit körperlicher Aktivität die Therapie so gut wie möglich unterstützen wollen. So wie Roswitha, eine Bruskrebspatientin, die etwas außer Atem ist. "Für mich spielt die Bewegung die vielleicht wichtigste Rolle in meinem Genesungsprozess", sagt sie.

Bereits ab der Diagnose sollte mit Sport angefangen werden, raten Experten

Das Institut von Martin Halle, Sportmediziner und Kardiologe an der Technischen Universität München, forscht zum Zusammenhang zwischen Sport und Krebstherapien. "Wie wichtig die eigene Körperkraft im Falle einer Krebserkrankung ist, ist immer noch zu wenig bekannt", sagt der Mediziner. Halle untersucht den Einfluss körperlicher Aktivität auf genetisch bedingten Brust-, Eierstock und Darmkrebs. Was bereits bekannt ist: Körperliche Aktivität senkt nicht nur das Risiko eines Rückfalls, sie kann sich - je nach Tumorart - sogar positiv auf eine Erkrankung auswirken. Bei einem fitten Körper kann die Chemotherapie auch besser anschlagen, da Nebenwirkungen im Durchschnitt seltener auftreten und Patienten die Therapiezyklen besser durchhalten. Sport kann zum Beispiel das sogenannte "Fatigue-Syndrom" reduzieren. Davon spricht man, wenn Patienten sich während ihrer Erkrankung chronisch antriebslos und müde fühlen.

Die biologischen Mechanismen zwischen Sport auf Krebs sind sehr komplex, über vieles sind Wissenschaftler sich noch im Unklaren. Recht gut belegt ist, dass körperliche Aktivität fast alle Organsysteme sowie das Gehirn anregt. Das begünstigt einen ausgeglichenen Energiehaushalt oder ein gesundes Körpergewicht. "Deshalb sollte mit dem Sport nicht erst nach einer Behandlung, also als Reha begonnen werden, sondern am besten ab dem Zeitpunkt der Diagnose", sagt Halle. "Das ist in der Bevölkerung aber noch nicht ausreichend angekommen. Gerade Männer sind dafür schwer zu motivieren." 80 Prozent seiner Patienten seien weiblich, sagt Halle, denn besonders ältere Herren integrieren Sport ohnehin selten in ihren Alltag und müssen nach einer Diagnose eine größere Hemmschwelle überwinden.

Dabei sind die ersten Schritte eigentlich ganz einfach: In Spezialsprechstunden werden Patienten über Ernährung und Bewegung während der Erkrankung aufgeklärt. Nach einem Gesundheitscheck ermitteln Ärzte die individuelle Belastbarkeit. Das soll Patienten die Sorge nehmen, sich mit Sport zu überanstrengen. Ein individueller Trainingsplan erleichtert den Einstieg.

Radfahren oder gelenkschonende Sportarten werden häufig empfohlen

Welche Art der Bewegung sich eignet, hängt sowohl von der Tumorerkrankung als auch von der Therapie ab. Eine Langzeitstudie im US-Fachmagazin JAMA belegt, dass Joggen bei Frauen mit Brustkrebs die Überlebenschancen deutlich erhöht. Frauen, die sich mehrere Stunden pro Woche körperlich betätigten, hatten laut der Untersuchung ein bis zu 50 Prozent geringeres Risiko, an ihrer Krebserkrankung zu sterben. Eine mögliche Erklärung der Mediziner: Das Wachstum von Brustkrebs ist abhängig von Hormonen; Laufen vermag den Östrogenspiegel im Blut und im Gewebe zu senken. Bei vielen anderen Krebserkrankungen empfehlen sich Radfahren oder gelenkschonende Ausdauersportarten wie zum Beispiel Nordic Walking. "Aber selbst Physiotherapie oder Massagen sind ein Anfang", sagt Halle.

Wer sich schwer motivieren kann, ist in Rehasportgruppen gut aufgehoben. "Ich bin immer wieder überrascht über die gegenseitige Unterstützung hier", sagt die Gruppenleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Anika Berling-Ernst. "Hier sitzen alle in einem Boot. Dadurch entsteht ein unglaublicher Zusammenhalt." Wenn sich die Patienten gegenseitig motivieren, ist das auch psychisch eine Erleichterung.

Auch Caroline V. trainiert in einer solchen Gruppe. Das ist der Sportlerin aber noch nicht genug: Sie läuft und fährt mit dem Rad, trotz ihrer schweren Krebs-Erkrankung. Vor sechs Jahren wurde bei der damals 48-Jährigen Eierstockkrebs diagnostiziert. "Jetzt erst recht", sagte sich die gebürtige Berlinerin nach der Diagnose. Noch vor der ersten Operation und während der Chemotherapie verfolgte Caroline ein Ziel: Die Teilnahme an ihrem ersten Triathlon: 50 Kilometer Radfahren, 500 Meter Schwimmen, 5 Kilometer Laufen.

Vier Monate nach der ersten Chemo lief sie mit ihrer Tochter und ihrem damaligen Lebensgefährten über die Ziellinie. Es folgten sechs Jahre des Kampfes, mit Höhen und Rückschlägen, weiteren Chemotherapien, und viel Sport. Caroline ist sich sicher: Hätte sie den Sport nicht gehabt, hätte sie bis heute nicht überlebt. "Dadurch fühle ich mich am Leben", sagt sie. "Wenn man krank ist, ist diese Bestätigung das Allerwichtigste. Schon allein das hat mich für die Therapien stark gemacht."

Den Kampf gegen den Krebs konnte Caroline nicht erfolgreich abschließen. Die Zeit die bleibt, will sie aber nutzen, um andere zu motivieren. "Ich möchte zeigen, was alles möglich ist - auch wenn man krank ist." Gerade ist sie von einer Radtour aus Bozen zurückgekehrt.

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