Reformpläne:Pflegeausbildung: "In drei Jahren drei Berufe lernen"

Krankenschwester in einem Krankenhaus in Cottbus, 1939

Die Ausbildung der Pflegeberufe soll umfassend reformiert werden.

(Foto: Scherl)
  • Bislang gibt es drei unterschiedliche Ausbildungsgänge für Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger. Nun will die Bundesregierung eine einheitliche Ausbildung schaffen.
  • Den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Gröhe und Familienministerin Schwesig will das Kabinett heute beschließen.
  • Pflegeeinrichtungen befürchten Probleme. Der Umgang mit einem Frühchen sei kaum vergleichbar mit der Aufgabe, einen schwer kranken Senior beim Sterben zu begleiten, sagt beispielsweise die Leiterin einer Altenpflegeschule.

Von Kim Björn Becker

Der Unterrichtsraum im Erdgeschoss ist hellgrün vertäfelt. Leere Wasserflaschen liegen auf den Tischen, Konzentration in der Luft. Es ist früher Nachmittag, an der Hans-Weinberger-Akademie in einem Außenbezirk Münchens werden gerade die Altenpfleger von morgen ausgebildet. In drei Reihen sitzen 19 Schüler im dritten Lehrjahr vor ihren Büchern, und vorne sitzt Wolfgang Bergler. Der Jurist war vor seiner Pensionierung Richter am Landgericht. Heute bringt er den Nachwuchspflegern bei, welche Gesetze für ihre spätere Arbeit im Altenheim wichtig sind. "Sie müssen nicht jeden Paragrafen auswendig können", sagt er zur Klasse. "Aber Sie sollten wissen, was in etwa drinsteht."

Deutschland hat einen enormen Bedarf an Pflegekräften. Schon heute sind viele Stellen in Heimen und in ambulanten Hilfsdiensten unbesetzt. Da die Gesellschaft weiter altert, wird der Mangel an Fachkräften noch zunehmen - düstere Prognosen sehen in ein paar Jahren gar einen Fehlbetrag von einer halben Million Altenpfleger voraus. Um das Problem zu lösen, plant die Bundesregierung nun eine grundlegende Reform der Pflegeausbildung. Bislang gibt es drei unterschiedliche Ausbildungsgänge für Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger.

Einheitliche Ausbildung samt Spezialisierung

Die Trias soll abgeschafft und durch eine einheitliche Pflegeausbildung samt Spezialisierung auf einen der drei Bereiche ersetzt werden. Von der sogenannten Generalistik verspricht sich die Regierung, dass der Beruf des Pflegers durchlässiger und somit attraktiver wird.

An diesem Mittwoch will das Bundeskabinett in Berlin den gemeinsamen Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) beschließen. In drei Jahren sollen die ersten Auszubildenden nach dem neuen System lernen. Im Vergleich zu heute kostet es 320 Millionen Euro pro Jahr mehr - und bringt nach Ansicht der Ministerien fast nur Verbesserungen.

Wenn Susanne Gerber, die Leiterin der Münchner Altenpflegeschule, über die Reformpläne spricht, werden ihre Züge härter. Die gelernte Kinderkrankenschwester kennt alle Sparten der Branche. Für sie sind das "drei eigenständige Berufe", die man keinesfalls leichtfertig zusammenlegen dürfe. Zwar gebe es durchaus Stoff, den alle Pflegeschüler lernen müssten - Anatomie zum Beispiel oder die Lehre von bestimmten Krankheiten. Doch sei der Umgang mit einem Frühchen eben kaum vergleichbar mit der Aufgabe, einen schwer kranken Senior beim Sterben zu begleiten. Die Reform aus Berlin bewirke, so Gerber, dass Pfleger in Zukunft "von allem ein bisschen können und nichts so ganz".

Verbände fürchten, dass es am Ende weniger Pflegeschüler gibt

Mit dieser Haltung ist die Schulleiterin nicht allein. Die Kritik der Verbände an dem Gesetz geht in dieselbe Richtung - und ist diesmal sogar ungewöhnlich hart. Ein Grund dafür mag im Verfahren selbst liegen: Als einen "Skandal" bezeichnete es der Deutsche Berufsverband für Altenpflege etwa, dass die Verbände im November nur zwei Wochen Zeit für eine Stellungnahme zu dem vorgelegten Referentenentwurf erhalten hätten.

Doch auch in der Sache sparen die Interessenvertreter nicht mit Kritik: Der Bundesverband der Arbeitgeberverbände rügte am Dienstag, es sei falsch, "einen unausgegorenen Entwurf mit derart weitreichenden Konsequenzen für die Pflege ohne jede Not durch das Gesetzgebungsverfahren zu peitschen". Die Dienstleistungswerkschaft Verdi will die bewährte Spezialisierung sowieso behalten, ebenso warnt der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte davor, dass nun ein funktionierendes System "kaputtreformiert" werde.

Nach Ansicht des Bundesverbands der Anbieter privater sozialer Dienste werden am Ende sogar nicht mehr Pfleger ausgebildet, sondern "weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen". Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, er geht von einem Minus von 50 000 Ausbildungsplätzen aus.

Pflegeschulene sehen organisatorische Probleme

Wie kann das sein? Ein Punkt, über den gerade heftig gestritten wird, ist das Geld. Die Schulen gibt es in allen drei Bereichen der Pflege, sie werden größtenteils vom Staat finanziert. Vereinzelt nehmen sie noch Schulgeld, das soll mit dem neuen Pflegeberufsgesetz aber verschwinden. Stattdessen plant der Bund eine einheitliche Finanzierung der Pflegeschulen - doch die könnte, so lautet die Sorge der Kritiker, zu gering ausfallen und manche Einrichtungen in die Bredouille bringen. Im Referentenentwurf des Gesetzes rechnen die Ministerien indes aus, dass ein Drittel der zusätzlichen Kosten der Reform, also etwa 100 Millionen Euro pro Jahr, den Schulen zugute kommt.

Und dann gibt es aus der Sicht der Pflegeschulen noch organisatorische Probleme im praktischen Teil der Ausbildung. Hintergrund ist, dass die Kinderkrankenpflege derzeit die wenigsten Ausbildungsplätze bereithält und für die Generalistik darum zum Nadelöhr werden könnte: Von den 18 000 Schülern, die vergangenen Schuljahr ihre Ausbildung an einer Pflegeschule begonnen haben, waren nur etwa 1100 in der Kinderkrankenpflege - das entspricht einem Anteil von sechs Prozent. In einem generalistischen System müssten die Pflegeschüler voraussichtlich Praktika in allen drei Bereichen machen - das könnte die Kinderkliniken überlasten.

Die Details des Curriculums sind derzeit aber noch nicht ausgearbeitet, dies soll im Zuge einer eigenen Verordnung entstehen, die nach dem Gesetzgebungsverfahren erlassen wird. In einem Schreiben an die Unionsfraktion ging Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe Anfang Januar auf die Kritik im Zusammenhang mit der Kinderkrankenpflege ein - und wies darauf hin, dass Kranken- und Kinderkrankenpfleger bereits jetzt zwei der drei Jahre gemeinsam lernen.

Für die Münchner Schulleiterin Susanne Gerber ist derzeit noch völlig unklar, wie im Zuge der Generalistik einmal zusätzlich 17 000 Lernende durch die Kinderkrankenpflege geschleust werden sollen. Irgendwie, sagt sie, müsse sie ihre Schüler ja unterbringen, wenn die Reform einmal da ist.

Ihre Schüler sehen den Plan der Bundesregierung denn auch eher kritisch. "Es ist nicht gut, wenn man in drei Jahren drei Berufe lernen soll. Dann wird es schnell oberflächlich", sagt die 23-jährige Arnela Becirspahic. Auch für Gloria Aras, die mit 54 eine Ausbildung zur Altenpflegerin in München begonnen hat, ginge durch ein generalistisches System "viel verloren".

Dafür sieht Oana Dolha auch die Vorteile der Reform: "Gut ist, dass man damit später überall arbeiten kann, es ist vielseitiger", sagt die 17-Jährige. Das sei ein klarer Vorteil. Aber um in allen Bereichen gleich gut zu sein, sagt sie, müsste die Ausbildung länger dauern als drei Jahre.

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