Süddeutsche Zeitung

Rauchen in Deutschland:Alte Laster, neue Versuchungen

  • In Deutschland rauchen mehr Erwachsene als in den meisten anderen mittel- und westeuropäischen Ländern, ergibt eine neue Analyse.
  • Jugendliche stecken sich dagegen immer seltener klassische Zigaretten an. Allerdings greifen sie zunehmend zur E-Zigarette.
  • Der Griff zu den Dampfgeräten scheint die Gefahr zu erhöhen, dass die Kinds zu Rauchern werden.

Von Werner Bartens

Deutschland raucht und qualmt immer noch erstaunlich viel. Im Vergleich zu etlichen anderen europäischen Ländern ist der Tabakkonsum dort weiterhin recht hoch. Zudem bergen E-Zigaretten unklare Gefahren für die Gesundheit und gelten als Einstieg in den Konsum konventioneller Zigaretten. Zu diesen Ergebnissen kommen Analysen in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes.

Der Stichprobe mit mehr als 12 000 Befragten zufolge qualmten im Zeitraum zwischen Sommer 2016 und Frühjahr 2017 immerhin 28,3 Prozent der Menschen in Deutschland - 32,3 Prozent der Männer und 24,5 Prozent der Frauen. Das sind wesentlich mehr als in den meisten nord- und mitteleuropäischen Ländern. Allgemeinmediziner um Daniel Kotz von der Uni Düsseldorf haben die Daten ausgewertet und erhebliche geografische Unterschiede gefunden. In Hessen (18,1 Prozent) und Rheinland-Pfalz (24,5 Prozent) rauchen vergleichsweise wenig Menschen, in Brandenburg (42,6 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (33,5 Prozent) liegt der Anteil deutlich höher. Männer mit niedrigem Einkommen aus den neuen Bundesländer rauchen demnach am häufigsten. Europaweit schneidet Deutschland nicht besonders gut ab, was das Rauchverhalten angeht.

Auch die Zurückhaltenden und Besorgten greifen plötzlich zur E-Zigarette

In Schweden rauchen beispielsweise nur sieben Prozent der Bevölkerung. Auch in Großbritannien (17 Prozent), den Niederlanden, Irland, Dänemark und Belgien sind es mit 19 Prozent weniger als ein Fünftel der Bevölkerung. Deutlich über dem EU-Durchschnitt von 26 Prozent liegen hingegen die Griechen (37 Prozent), Bulgaren, Franzosen (jeweils 36 Prozent) und Kroaten (35 Prozent). Insgesamt hängt der Süden und Osten des Kontinents stärker am Tabak als die Nord- und Mitteleuropäer.

Einen anderen Zusammenhang belegen die Daten ebenfalls: Es bestehen erhebliche sozioökonomische Unterschiede beim Rauchen. Je niedriger der Schulabschluss und das Haushaltsnettoeinkommen sind, desto mehr Menschen konsumieren Tabak. So rauchen in Deutschland 41,6 Prozent der Menschen ohne Schulabschluss, während dies nur bei 20 Prozent der Menschen mit Abitur der Fall ist.

Gesundheitswissenschaftler aus Kiel sind in einer weiteren Untersuchung der Frage nachgegangen, ob sich Jugendliche durch E-Zigaretten dazu verleiten lassen, konventionelle Zigaretten zu rauchen. Unter Zehntklässlern in Schleswig-Holstein hatten 14,3 Prozent schon mal E-Zigaretten probiert; dies erhöhte das Risiko um mehr als das Doppelte, konventionelle Zigaretten zu probieren. Besonders überraschend war für die Wissenschaftler, dass auch viele Jugendliche, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur eigentlich nicht zum Rauchen neigen, darunter waren. Gemeinhin gelten Menschen, die nicht ständig Abwechslung und Spannungsreize suchen ("sensation seeking") als wenig anfällig, mit dem Rauchen anzufangen. "Jugendliche, die riskantes Verhalten tendenziell vermeiden, wurden durch E-Zigaretten offenbar animiert, auch konventionelle Zigaretten auszuprobieren", so die Autoren um Rainer Hanewinkel.

Beklemmendes Déjà-vu: Die Strategie der Tabakkonzerne hat sich kaum geändert

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr sechs Millionen Menschen weltweit an Krankheiten, die auf Tabakrauchen zurückzuführen sind. In Deutschland gehen jedes Jahr ungefähr 125 000 Todesfälle auf Nikotinkonsum zurück. Die Gefahren sind unbestritten. Lungenexperte Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover fühlt sich dennoch angesichts der Diskussion um E-Zigaretten an seine Zeit als Assistenzarzt 1985 erinnert. "Damals versuchte die Tabakindustrie mit einer Vielzahl von Studien, die Ungefährlichkeit der Zigarette zu belegen", so der ehemalige Präsident der deutschen Pneumologen. Heute sei zwar längst nicht mehr strittig, dass Zigaretten schädlich sind, aber mehr als 90 Prozent des Marktes für E-Zigaretten befänden sich in der Hand großer Tabakkonzerne, "und genau wie vor 30 Jahren wird die Schädlichkeit des neuen Produktes infrage gestellt und werden entsprechende Untersuchungen finanziert". Ein beklemmendes Déjà-vu. Welte warnt davor, E-Zigaretten einen Persilschein auszustellen und erneut auf die alten Marketingtricks der Industrie hereinzufallen.

Wer mit dem Rauchen aufhören will, was 28 Prozent der Raucher schon versucht haben, findet wenig Orientierung, was hilfreich ist. Die Methoden sind oftmals nicht evidenzbasiert. "Verschiedene Hilfsmittel wie Nikotinersatzstoffe, verhaltenstherapeutische Maßnahmen oder Medikamente sind auf dem Markt, ohne dass sicher wäre, welches Verfahren den größten Erfolg verspricht", kritisiert Lungenexperte Welte. "Entwöhnungsprogramme, für die Erfolge nachzuweisen sind, werden unzureichend angeboten und selten von den Kostenträgern finanziert."

Dabei gibt es eigentlich Erfolge im Kampf gegen das Rauchen zu verzeichnen. "Bei den 12- bis 17-Jährigen liegt die Raucherquote bundesweit mit 7,4 Prozent auf einem historischen Tiefstand", sagt Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. "Jugendliche sind dem Rauchen gegenüber zunehmend kritisch. Diesen Präventionserfolg wollen wir stabilisieren. Es gilt zu verhindern, dass junge Menschen durch E-Zigaretten und E-Shishas zum Tabakrauchen angeregt werden."

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SZ vom 06.04.2018
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