Geschichte der Quarantäne:Inseln der Gezeichneten

Liberia Battles Spreading Ebola Epidemic

Quarantänestation in Liberia: Den Bewohnern sollte es an nichts mangeln - nur an ihrer Freiheit.

(Foto: John Moore/Getty Images)

Um eine Ausbreitung von Ebola oder anderen Infektionskrankheiten zu verhindern, werden die Kranken isoliert. Die Quarantäne ist ein altes Mittel gegen Seuchen - das nicht immer erfolgreich ist.

Von Christina Berndt

"Es gibt kein Ebola", skandierte die aufgebrachte Menge in Monrovia. Und sie war fest entschlossen, die Ebola-Patienten aus ihrer Isolation zu befreien. Mit Knüppeln bewaffnet, stürmten die jungen Leute im August die Quarantänestation, die notdürftig in einer Schule in der Hauptstadt Liberias eingerichtet war. Mindestens 17 Patienten entkamen; manche wurden von ihren Befreiern mit nach Hause genommen. Auch wenn die Kranken vielleicht nicht an fadenförmige Viren und die Gefahr von Infektionskrankheiten glaubten: Sie wussten sehr wohl, dass es ihnen nicht gut ging, dass sich eine Macht in ihrem Körper ausbreitete, die ihr Leben bedrohte. Aber in Isolation leben und allein auf den Tod warten, das wollten sie nicht.

Die Reaktion der Regierung war harsch: Sie stellte den gesamten Slum, in dem sich die Schule befand, unter Quarantäne. "Wir werden Lebensmittel und andere Güter nach West Point bringen, bevor die Maßnahme in Kraft tritt", versprachen die Regierenden laut der Zeitung Front Page Africa. Den Bewohnern sollte es an nichts mangeln. Nur an ihrer Freiheit.

Zum Wohl der Volksgesundheit und für die ökonomische Stabilität

Das Wort Quarantäne ist weithin in Vergessenheit geraten. Seit es Impfungen, Antibiotika und Hygieneregeln gibt, ist die staatlich verordnete Freiheitsberaubung tatsächlich oder vermeintlich ansteckender Menschen selten geworden. Doch das sich exponentiell ausbreitende Ebolafieber in Westafrika bringt diese drastische Maßnahme ins Gedächtnis zurück.

Isolierstation

Im Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, in dem Deutschlands erster Ebola-Patient behandelt wurde, kommen die Anzüge zum Einsatz.

(Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Menschen in Quarantäne zu stecken ist durch alle Zeiten ein schwerer Eingriff in das Leben des Einzelnen gewesen. Zum Wohl der Volksgesundheit oder, das war mitunter das viel stärkere Motiv, der ökonomischen Stabilität werden die Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten: Da werden Menschen interniert, die einfach nur das Pech hatten, krank geworden zu sein, oder jemandem nahe waren, der krank geworden ist. Die Quarantäne schützt ja nicht einmal jene, die sie kaserniert. Sie schützt alle anderen.

"Keine Kunst vermochte etwas, kein Kraut nützte, keine Medizin richtete etwas aus"

Den Machthabern war das egal. Als Mitte des 14. Jahrhunderts in den Hafenstädten des Mittelmeers nichts mehr gegen die Pest half, da beschloss die Regierung Venedigs umfassende Quarantänemaßnahmen. Fast ein Viertel der europäischen Bevölkerung hatte die Epidemie von 1348/49 schon dahingerafft, blühende Städte waren ein Schatten ihrer selbst geworden. Auch in Venedig waren so viele Menschen gestorben, dass auf den Friedhöfen kein Platz mehr für die Gräber war. "Keine Kunst vermochte etwas, kein Kraut nützte, keine Medizin richtete etwas aus", schrieb der Chronist Lorenzo de Monacis.

Deshalb dachten sich die Stadtoberen beim Wiederaufflammen der Pest einige Jahre später etwas Neues aus. Sie forderten drei weise Männer, die "Savi", dazu auf, einen Notfallplan zu erarbeiten. Das Resultat: Jeder, der todkrank und dazu noch arm war, sollte auf eine Insel gebracht werden. Die Idee war nicht ganz neu, Vorbild waren wohl die Leprakolonien (Leprosorien), die schon in der Antike Ausgestoßene aufnahmen. Aber bald erweiterten die Veneter ihren Plan. Kam nicht der Tod oft genug über das Wasser?

Der Senat befahl "anzuschlagen, dass von den Gebieten außerhalb Venedigs kein Kranker mehr einreisen darf. Und zwar unter Androhung der Galeerenstrafe und Verbrennung des betreffenden Schiffes". Alle Fremden sollten draußen bleiben - so lange, bis sicher war, dass sie nicht ansteckend waren. Instinktiv nahmen die Menschen des Mittelalters also bereits eine Inkubationszeit von Krankheiten an. Sie wussten, dass jemand, der heute noch ganz gesund wirkte, die Pest womöglich schon in sich trug - und dass man ihn also besser erst einmal beobachtete.

Mehrere Wochen sollten die Schiffe der Reisenden und Kaufleute vor den Toren der Stadt ankern, verfügten die Venezianer wohl schon im Jahr 1374. Ganz gesichert ist das Datum aber nicht. Womöglich waren daher die Regierenden der Republik Ragusa (heute Dubrovnik) die Ersten, die auf die Idee mit der Quarantäne kamen. Jedenfalls ist gut belegt, dass sie 1377 eine Isolation von Ankömmlingen beschlossen. In eigens dafür errichteten Lazaretten mussten sich die Reisenden aufhalten; zunächst 30 Tage lang, später 40 Tage, was auf Italienisch "quarantina di giorni" heißt und bis heute der Quarantäne ihren Namen gibt.

Tödliche Maßnahme

Dabei sind 40 Tage aus infektiologischen Gesichtspunkten reichlich übertrieben: Kaum ein Virus, kaum ein Bakterium brütet so lange im Körper, bevor es sich durch Fieber, Bläschen, Flecken oder andere Symptome erkennbar macht. Das Ebolafieber mit seiner Inkubationszeit von 21 Tagen zwischen Ansteckung und dem ersten Auftreten von Symptomen liegt am oberen Ende; bei der Pest hätte eine Woche völlig ausgereicht. Dann hätten die reisenden Kaufleute ruhig den Handel in Venedig aufnehmen können. Vermutlich wurden die 40 Tage aus religiösen Gründen auserkoren: Schließlich hatten sich sowohl Moses als auch Jesus der Bibel zufolge 40 Tage in die Wüste zurückgezogen.

Für die Städte mag die harsche Quarantäne-Regelung ordnend gewesen sein. Für die Isolierten war sie mitunter tödlich - vor allem dann, wenn sie zu Beginn der Maßnahme selbst noch nicht infiziert waren und sich erst durch die gemeinsame Isolation mit den Kranken ansteckten. Das sahen mit der Zeit auch Venedigs Stadtobere ein. Knapp hundert Jahre später kamen sie auf eine weitere, revolutionäre Idee: Sie trennten die zweifellos Kranken von den nur fraglich Infizierten. Während die Kranken per Galeere ins Lazzaretto Vecchio gebracht wurden, kamen die Pest-Verdachtsfälle ins 1468 gegründete Lazzaretto Nuovo auf einer Insel nordöstlich der Stadt. Dort mussten sie ihre Kleider ablegen und sich mit Essig waschen. In neuen Kleidern harrten sie dann die 40 Tage aus. Fliehen war keine gute Idee: War sich davonmachte, dem drohte die Todesstrafe.

"Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord"

Über Jahrhunderte durften Schiffe, die Seuchenkranke an Bord hatten, nicht in die Häfen einlaufen. Sie lagen dann in Sichtweite des Landes, eine schwimmende Quarantänestation, von der das alte Lied erzählt:

"Wir lagen vor Madagaskar

Und hatten die Pest an Bord.

In den Kesseln, da faulte das Wasser

Und täglich ging einer über Bord."

So modern die Trennung von Gesunden und Kranken auch war: Gegen die Ausbreitung der Pest hat die Quarantäne wohl eher nicht geholfen - vielleicht, weil nicht nur Menschen, sondern auch Ratten mit ihren Flöhen die Krankheit übertragen. Weshalb der Schwarze Tod nach 1771 dann plötzlich aus Europa verschwand, ist ungeklärt. Der Isolierung der Kranken ist es wohl eher nicht zu danken.

Nicht immer eine Kapitulation

Doch die Quarantäne war nicht immer eine Kapitulation der Menschen vor unheimlichen Krankheiten. Mitunter war sie durchaus wirkungsvoll, um Seuchen einzudämmen. 1918 hat sich Australien durch Abschottung vor der Spanischen Grippe geschützt, die für den Rest des Erdballs ein unfassbar großes Sterben bedeutete. 50 Millionen Menschen sollen damals weltweit den Tod gefunden haben. Und im aktuell von Ebola bedrohten Westafrika scheint die Isolation der Kranken und Infizierten sogar der einzige Weg zu sein, um die Epidemie noch zu beenden.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Quarantäne deshalb zu einer beliebten Maßnahme gegen eine ganze Reihe von ansteckenden Krankheiten. Auch in der Bevölkerung stieg die Akzeptanz: So positiv war der Ruf der Isolationsmaßnahmen zum Schutze der Allgemeinheit zuletzt, dass US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1937 seine berühmte "Quarantine Speech" hielt: Darin kündigte er an, "die Aggressor-Nationen" - womit er Deutschland, Italien und Japan meinte - international "unter Quarantäne stellen" zu wollen. Der Begriff sollte offenbar helfen, Stimmung für die Abkehr von der Neutralität zu machen.

Tatsächlich hatten Quarantänemaßnahmen in den USA besonders großen Rückhalt, weil sich das Einwandererland auf diese Weise viel Unbill vom Hals gehalten hat: Auf Hoffman Island und Swinburne Island, zwei Inseln in der New York Bay, mussten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Immigranten, die auf Ellis Island mit Anzeichen eines Infekts aufgefallen waren, auf ihre Einreise warten. Selbst als Erkunder ganz neuer Welten setzten die Amerikaner auf die Abschottungstechnik: Als 1969 die Apollo-Astronauten vom Mond auf die Erde zurückkamen, hatten sie sich einige Wochen in die Abgeschiedenheit einer Wüste zurückzuziehen, bevor sie wieder unter Menschen durften. Man dachte, auf dem Mond gebe es womöglich Krankheitserreger, vor denen es die Erde zu schützen gelte.

Zur Akzeptanz der Quarantäne trugen aber sicher nicht nur ihre Erfolge bei, sondern auch die Tatsache, dass sie mit der Zeit immer professioneller durchgeführt wurde: Als in der frühen Neuzeit stehende Heere entstanden, sei es möglich geworden, ganze Städte längere Zeit abzuriegeln, schreibt der Historiker Franz Mauelshagen. Inseln wie vor Venedig waren nicht mehr zwingend nötig. Das wohl größte Viren-Kontrollsystem errichtete Österreich-Ungarn mit einem rund 1850 Kilometer langen Cordon sanitaire an seiner Ostgrenze. Dieses Netz aus Beobachtungs- und Quarantänestationen sollte nicht nur Angreifer, sondern auch Seuchen aus dem Osmanischen Reich fernhalten. Und das gelang.

Blutige Aufstände

Liberia Battles Spreading Ebola Epidemic

Soldaten im Armenviertel West Point in der liberianischen Hauptstadt Monrovia: Wegen der schweren Versorgungsengpässe während der Quarantäne kam es zu blutigen Aufständen.

(Foto: Getty Images)

Trotz solcher historischen Vorbilder stellen Fachleute Quarantänemaßnahmen in der heutigen Zeit infrage: Die Versorgung der Bevölkerung wird durch die Isolation schwieriger - wie sich zuletzt auch im Fall von Ebola zeigte: Die Machthaber hatten nach der Abriegelung des Armenviertels West Point ihr Versprechen nicht gehalten, gut für die Bewohner zu sorgen. Wegen der schweren Versorgungsengpässe kam es zu blutigen Aufständen. Bald mussten die Behörden die Quarantäne wieder aufheben.

Sie hatte ohnehin wenig genützt. Denn die Bewohner versuchten immer wieder, den Kontrollen zu entgehen. Weil die Menschen nicht von der Notwendigkeit der Maßnahmen überzeugt waren, versteckten sie Erkrankte und deren Kontaktpersonen. So aber konnte niemand mehr die Infektionswege nachverfolgen - die Krankheit zu bekämpfen wurde noch schwieriger. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Quarantänemaßnahmen Denunziantentum fördern. In Venedig wurde die Bevölkerung im 16. Jahrhundert sogar gezielt dazu aufgefordert, Mitmenschen zu verraten: Wer meldete, dass sein Nachbar die Pest hatte, bekam eine Belohnung.

Quarantäne als Ultima Ratio

Neben den sozialen Folgen ist auch die psychologische Komponente nicht zu unterschätzen, die erst in den letzten Jahren vor allem in Kanada untersucht wurde. Dort sah sich die Stadt Toronto noch 2003 gezwungen, 15 000 Menschen in ihren Wohnungen unter Quarantäne zu stellen. Eine bis dahin unbekannte Seuche namens Sars breitete sich aus und hatte neben asiatischen Metropolen vor allem Toronto erfasst. Die Isolierten sollten zu Hause bleiben, zweimal täglich Fieber messen und in Gegenwart anderer Familienmitglieder stets einen Mundschutz tragen. Wer die Auflagen nicht einhielt, dem drohte eine Geldstrafe von 5000 kanadischen Dollar. Immerhin wurde das Befolgen der Regeln nicht, wie etwa in Singapur, durch Videokameras in den Wohnungen überprüft.

Psychologen befragten die Betroffenen später: Fast ein Drittel von ihnen hatte eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Dabei hatte ihre Isolation nur zehn Tage gedauert. In jedem Fall müsse die Quarantäne eine Ultima Ratio des Seuchenschutzes bleiben, ist daher die einhellige Meinung in Fachkreisen.

Auch in Deutschland ist die Verhängung von Quarantänemaßnahmen jederzeit möglich. Quarantänepflicht besteht derzeit zwar nur bei der Pest und hämorrhagischen Fiebern wie Ebola, sodass Infizierte, die mit solchen Krankheiten einreisen, gleich nach Entdeckung in Isolierstationen gelangen. Aber möglich ist die Quarantäne laut Infektionsschutzgesetz bei allen übertragbaren Krankheiten.

Die letzte drastische Anwendung traf 1970 das Städtchen Meschede. Ein Deutscher hatte damals die eigentlich schon ausgerotteten Pocken aus Pakistan mit ins Sauerland gebracht. 19 Menschen steckten sich an, vier starben. Rund um die "Pockenstadt" ging bald die Angst um: An Tankstellen bekamen Autofahrer mit einem Meschede-Nummernschild nicht einmal mehr Benzin. Der Vater einer Verstorbenen musste selbst einen Leichenwagen leihen, um die Tote ins Krematorium zu bringen, weil kein Bestatter helfen wollte. Den Höhepunkt erreichte die Hysterie, als ein Mitarbeiter des örtlichen St.-Walburga-Krankenhauses von der Quarantänestation floh. Die Behörden waren zum Äußersten bereit: Sie ließen die Türen der Klinik mit Brettern zunageln.

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