Süddeutsche Zeitung

Psychologie der Impfgegner:Meinungen schlagen Argumente

Bei Impfgegnern hilft rationale Überzeugungsarbeit oft nicht: Wird eines ihrer Argumente widerlegt, verweigern sie sich Impfungen erst recht. Das liegt an einer psychologischen Schwäche des Menschen.

Von Sebastian Herrmann

Die Medizin ist ein fruchtbares Feld, auf dem Irrtümer besonders gut gedeihen. Gerade zum Thema Impfen kursieren so viele Fehlinformationen, dass Diskussionen mit Zweiflern regelmäßig zu ungläubigem Staunen und massivem Frust führen: Offenbar existiert keine Strategie, mit der sich die vielen Mythen rund um das Thema aus der Welt schaffen lassen.

Wie kompliziert der Umgang mit Impfmythen sein kann, demonstrieren Brendan Nyhan vom Dartmouth College und Jason Reifler von der Universität Exeter in einer Studie im Fachjournal Vaccine (online). Demnach ist es zwar möglich, Impfgegner zu überzeugen, dass manche ihrer Ansichten falsch sind; doch das kann dazu führen, dass sie Immunisierungen erst recht verweigern.

Wie lässt sich der Irrtum korrigieren?

Eine der vielen Fehlinformationen rund um die Impfung gegen die saisonale Grippe lautet, die Immunisierung selbst sei in der Lage, die Krankheit auszulösen. 43 Prozent der Amerikaner hielten diese Aussage in einer repräsentativen Befragung von etwa 1000 US-Bürgern für korrekt oder weitgehend zutreffend, berichten Nyhan und Reifler.

Die Sozialwissenschaftler untersuchten daraufhin, in welcher Form sich dieser Irrtum am effektivsten korrigieren lässt. Mit Aussagen über Gefahren der Krankheit, vor der geschützt werden soll? Oder mit der direkten Information, dass es sich um eine Legende handelt?

Die direkte Ansage machte den Unterschied. In einer zweiten Runde der Befragung zeigte sich, dass diese Form der Korrektur am besten fruchtete. Den Fehler als solchen zu benennen, reduzierte den Glauben daran tatsächlich. Die Gefahren der Krankheit zu beschwören, hatte keinen ähnlich ausgeprägten Effekt.

Doch die Sache hat einen Haken. Die Forscher fragten ihre Probanden danach erneut, ob sie in Zukunft bereit wären, sich gegen die saisonale Grippe immunisieren zu lassen. Und unter den Befragten, die Impfungen mit großer Skepsis betrachteten, nahm die Bereitschaft nach der Korrektur der Fehlinformation sogar ab.

Diese Probanden hatten also verstanden, dass eine ihrer Ängste unbegründet war. Aber als Konsequenz daraus wollten sie erst recht keine Impfung akzeptieren - wie passt das zusammen? Zunächst fügt sich der Befund in ähnliche Ergebnisse ein, es handelt sich wohl nicht um einen Zufallstreffer.

Eine langgehegte Ansicht aufzugeben, ist schwer

Bei Studien zum Umgang mit Mythen rund um die Masern-Mumps-Röteln- oder die Diphtherie-Keuchhusten-Tetanus-Impfung hatte sich ebenfalls gezeigt: Die teilnehmenden Eltern mit den größten Sorgen nahmen die Korrektur von Fehlinformationen wahr und weigerten sich erst recht, ihre Kinder impfen zu lassen. Nyhan und Reifler interpretieren diese Befunde als Hinweis, wie sehr Menschen ihre Einstellungen verteidigen: Wenn ein Argument wegfällt, dann begründen Skeptiker ihre Haltung eben mit einem anderen Punkt.

Psychologen weisen seit langem auf einen Umstand hin, der wenig schmeichelhaft für das Selbstbild des Menschen als rationales Wesen ist. Haltungen entstehen eher unbewusst, erst dann begibt man sich auf die Suche nach Argumenten, mit denen sich diese Meinungen scheinbar absichern lassen. Und das gilt für jeden, nicht nur in Impffragen.

Eine langgehegte Ansicht aufzugeben, bereitet Unbehagen. So erklärt sich wohl auch die Beobachtung, dass sich Impfgegner einer Immunisierung noch heftiger verweigern, wenn sie eines ihrer Argumente verlieren. Die Ablehnung ganz aufzugeben, bedeutet nämlich, einen lange verteidigten Fehler mit potenziell gravierenden Folgen für sich und die eigenen Kinder einzugestehen. Das schmerzt, außer man behält die Meinung trotz widerlegter Argumente bei.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2014/fued
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