Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Ein Krankheitserreger namens Einsamkeit

Das Gefühl der Einsamkeit hat viele Menschen nicht nur zum Jahreswechsel fest im Griff. Das ist auch ein Gesundheitsproblem.

Von Berit Uhlmann

"Ich bin bewohnt von einem Schrei", so beschrieb Silvia Plath die Einsamkeit in ihren dunkelsten Stunden. "Nachts flattert er aus und sieht sich mit seinem Haken um, nach etwas zum Lieben." Hermann Hesse verglich die Einsamkeit mit einem isolierenden Nebel, Rainer Maria Rilke mit der Monotonie des Regens. Als Zuflucht erscheint sie bei Emily Dickinson, der Dichterin, die sich von der Welt zunehmend abwandte: "Es könnte einsamer sein, ohne die Einsamkeit, ich bin so an mein Schicksal gewöhnt."

Einsamkeit kann Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Lungenleiden und Schlafstörungen begünstigen

Doch nicht nur Dichter und Schriftsteller befassen sich mit der Einsamkeit. Auch Wissenschaftler widmen sich dem Phänomen schon lange intensiv, aus guten Gründen: Viele Experten sind überzeugt davon, dass Einsamkeit - ganz abgesehen vom unmittelbar empfundenen seelischen Schmerz - erhebliche Folgen für die Gesundheit hat. Einsamkeit, das wurde in verschiedenen Studien gezeigt, kann mit Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Lungenleiden, Depressionen, Schlafstörungen und einem beschleunigten kognitiven Abbau im Alter einhergehen. Die Effekte sind auch in Tiermodellen gut untersucht. Wer sich einsam und ausgeschlossen fühlt, leidet unter chronischem Stress, mit all seinen schädlichen Konsequenzen: Entzündungen, eingeschränkter Immunabwehr, Übergewicht.

Einsamkeit könne sogar töten, schlussfolgerten amerikanische Psychologen erst vor wenigen Monaten. Die Forscher hatten etwa 70 Studien mit Daten von mehr als drei Millionen Menschen analysiert. Die Vereinsamten hatten laut der Untersuchung ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko. vorzeitig zu sterben. "Der Effekt ist vergleichbar mit dem des Übergewichts", sagt Studienautorin Julianne Holt-Lunstad und fügt hinzu: Einsamkeit sei so etwas wie die neue Fettleibigkeit. Als Problem der öffentlichen Gesundheit werde sie allerdings nicht ernst genommen.

Was aber bedeutet es überhaupt, einsam zu sein - und ab wann wird Einsamkeit wirklich gefährlich? Es gilt zunächst, den wichtigen Unterschied zu machen zwischen sozialer Isolation, die vor allem beschreibt, mit wie vielen oder wenigen Menschen jemand Kontakte pflegt. Und dem subjektiven Gefühl, einsam und verlassen in die Welt geworfen zu sein. Einsamkeit kann man inmitten einer großen Familie oder anderen sozialen Gruppe empfinden, das erfahren schon Schulkinder und spüren auch die Bewohner von Wohngemeinschaften oder Altersheimen. Wer hingegen alleine lebt oder sich sogar absichtlich in die Isolation zurückzieht, muss keinesfalls einsam sein.

Tatsächlich ist echte Einsamkeit noch nicht schädlich, sondern vielmehr ein normaler Teil des Lebens. Psychologen aus Großbritannien, den Niederlanden und Belgien haben kürzlich berichtet, dass sich fast alle Menschen im Laufe ihres Lebens ein- oder mehrmalig einsam fühlen. Doch als das hoch soziale Wesen, das er nun einmal ist, suche der Vereinsamte auch schnell wieder nach Anschluss. Die Forscher nennen diesen Impuls reaffiliation motive, zu Deutsch Wiederangliederungsmotivation. Und sie glauben, dass die Probleme genau dann beginnen, wenn diese Motivation fehlt - oder scheitert. Bei älteren Menschen, auch das haben Studien gezeigt, ist der fehlende Impuls zur Kontaktaufnahme oft mit einer beginnenden Depression verbunden, wobei noch nicht ganz klar ist, ob Einsamkeit hier nur ein frühes Symptom oder doch eine Ursache der depressiven Störung ist.

Schon ein kurzes Gespräch am Gartenzaun kann viel Auftrieb geben

Fest steht, dass einsame Menschen Unterstützung brauchen. Zum einen zum Schutz der Betroffenen, denen manchmal selbst ein etwas Small-Talk und eine Umarmung schon viel Auftrieb geben. Zum anderen aber könnte die Hilfe für Einzelne verhindern, dass sich die Einsamkeit ausbreitet. Psychologen vermuten nämlich, dass Einsamkeit übertragbar ist. Demnach reicht der Einsame sein Gefühl des Ausgeschlossenseins an seine verbliebenen Kontakte weiter, ehe er sich auch von ihnen abkapselt und sie mit dem gleichen Schicksal zurücklässt. Das zumindest legen Daten aus der bekannten Framingham Heart Study nahe, die sich eigentlich mit Herzerkrankungen befassen sollte, aber auch psychologische Fragestellungen untersuchte. Dabei zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Freunde und Angehörige von einsamen Menschen binnen zwei Jahren selbst Gefühle von Einsamkeit entwickelten. Der Psychologe und Studienleiter John Cacioppo von der University of Chicago macht dafür die negative Ausstrahlung einsamer Menschen verantwortlich. Sie seien meist misstrauisch und pessimistisch.

Doch nicht nur der Kontakt mit den Einsamen, auch das Alter scheint ein Risikofaktor zu sein. Karl-Heinz Ladwig, Psychosomatiker am Helmholtz Zentrum München, hat zusammen mit Kollegen Daten von Senioren aus dem Augsburger Raum ausgewertet. Die so genannte Kora-Age-Studie liefert Anhaltspunkte dafür, wie es um das Sozialleben der Über-65-Jährigen in Deutschland steht: 17 Prozent von ihnen fühlen sich einsam - Männer genauso wie Frauen. Doch geht diese Einsamkeit bei Männern fünfmal so häufig mit einer Depression einher wie bei sozial gut eingebundenen Altersgenossen. Bei einsamen Frauen sind Depressionen dreimal so häufig.

Und doch zeigen auch diese Daten, dass es nicht das Alleinsein - insbesondere nach dem Tod des Partners - ist, das einsam macht. Denn gerade die Über-85-Jährigen, die schon lange alleine leben und oft gesundheitliche Probleme haben, fühlen sich nicht einsamer als andere Senioren. Ihnen hilft ihr soziales Netzwerk, schon ein Gespräch am Gartenzaun kann ein Rezept gegen die Einsamkeit sein.

"Jeder sollte der Alterseinsamkeit gegensteuern, und zwar nicht erst, wenn er den Rentenbescheid in der Hand hält", sagt Ladwig. Der Wissenschaftler, der auch an der TU München Patienten behandelt, hält auch nichts davon, nach mehr Senioren- Programmen zu rufen. "Es gibt bereits eine sehr große Zahl an Angeboten für ältere Menschen." Wenn überhaupt etwas gebraucht wird, dann mehr Motivation, diese Möglichkeiten auch anzunehmen.

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SZ vom 30.12.2015
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