Trotz aller Aufklärung, trotz aller Berichte und tragischen Zwischenfälle - das Thema Depression und der Umgang mit Betroffenen ist noch immer in weiten Teilen der Gesellschaft tabuisiert. Es existieren Vorurteile über das Leiden, Kranke werden oft falsch oder gar nicht behandelt. Höchste Zeit, die erwachsene Bevölkerung auf Anzeichen einer Depression zu untersuchen. Das fordert zumindest die US Preventive Services Task Force (USPSTF), ein Zusammenschluss unabhängiger Gesundheitsexperten. Im Journal of the American Medical Association wird die Empfehlung in einer vierteiligen Artikelserie begründet ( Bd. 315, S. 380, 2016).
Patienten sprechen sehr ungern über Depressionen. Ärzte müssen die richtigen Fragen stellen
Die Mediziner und Psychologen haben Vor- und Nachteile eines bevölkerungsweiten Screenings abgewogen und kommen zu dem Schluss, dass der Nutzen überwiegt. Der Schaden einer Depression für den Einzelnen, seine Familie, aber auch die volkswirtschaftlichen Verluste seien so enorm, dass mehr gegen die Krankheit getan werden müsse.
Ausdrücklich bezieht sich der Vorschlag auch auf Schwangere und junge Mütter, die nicht nur selbst gefährdet seien, sondern mit ihrem Leiden auch die Gesundheit ihres Kindes beeinträchtigen. Für das Screening werden bewährte Tests und Fragebögen vorgeschlagen, die das Ausmaß einer depressiven Veranlagung eingrenzen. Spricht der Test dafür, wird mithilfe weiterer Untersuchungen geklärt, wie stark die Betroffenen von Angst, Panikattacken oder anderen Symptomen geplagt sind.
Wird die Krankheit frühzeitig erkannt, können Medikamente, Psychotherapie und verhaltenstherapeutische Behandlungen die Symptome lindern. Zwar gelten Psychopharmaka aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als potenziell schädlich; bei Erwachsenen unter 30 Jahren steigt die Suizid-Neigung, bei Senioren jenseits der 70 das Risiko für gastrointestinale Blutungen. Trotzdem überwiege der Nutzen, so die USPSTF-Experten, die sich auf hochwertige Studien mit mehr als 10 000 Erwachsenen berufen.
Um die optimale Versorgung zu gewährleisten, seien aber bessere Strukturen nötig, betont Michael Thase von der University of Pennsylvania. "Wir brauchen Pflegedienste und stationäre Einrichtungen, in denen schnell und flexibel reagiert werden kann, wenn ein Patient nicht mehr seinem Behandlungsplan folgt oder die Therapie versagt", so der Psychiater. "Wenn sich beispielsweise nach 14 Tagen Behandlung die Symptome nicht bessern und das in einem internetbasierten System dokumentiert wird, kann der Arzt sofort intervenieren und das Therapieschema ändern."
In wohlhabenden Ländern gehört die Depression zu jenen Erkrankungen, die besonders viel Leid und Folgeschäden verursachen. So betragen die Behandlungskosten für Menschen mit Depression allein in den USA jährlich 22 Milliarden Dollar - der hochgerechnete Produktivitätsausfall liegt pro Jahr bei 23 Milliarden Dollar.
Wie sich eine Depression für Patienten anfühlt, dass sie beim Arzt nicht gerne darüber reden, wenn sie nicht gefragt werden, und dass sich hinter wiederkehrenden Kopf-, Rücken- oder Bauchschmerzen eine Depression verbergen kann, erklärt der Arzt Jill Jin in einem weiteren Beitrag für das Fachblatt. Diese "Patient Page", die das Leiden und Möglichkeiten der Therapie beschreibt, ist eine vorbildliche Methode, um nicht nur über Patienten, sondern auch mit ihnen zu reden.