Psychiatrie:Lebensgefahr Depression

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Psychische Krankheiten wie Depressionen oder Schizophrenie senken die Lebenserwartung überraschend deutlich - zum Teil mehr als starkes Rauchen.

Von Christian Weber

Dass Raucher früher sterben, hat sich herumgesprochen. Entsprechend rigoros und weitgehend erfolgreich führen Gesundheitspolitiker auf der ganzen Welt Kampagnen gegen den Konsum von Nikotin. Wenig bekannt hingegen ist, welche Lebensgefahr von psychischen Krankheiten ausgeht. Darauf weist ein Team um den Psychiater Seena Fazel von der University of Oxford in einer Metaanalyse im Fachmagazin World Psychiatry (online) hin: "Wir fanden heraus, dass manche psychische Krankheiten die Lebenserwartung ähnlich stark senken wie der Konsum von täglich 20 Zigaretten", sagt Fazel.

Die Forscher berufen sich auf die Analyse von 20 Überblicksarbeiten, in denen insgesamt 1,7 Millionen Patienten mit 21 unterschiedlichen psychiatrischen Diagnosen eingeschlossen waren; dabei wurden mehr als 250 000 Todesfälle in die Statistik einbezogen.

Es zeigte sich, dass Drogen-und Alkoholmissbrauch die Lebenserwartung je nach Studie durchschnittlich um neun bis 24 Jahre verringert; Schizophrenie raubt zehn bis 20 Jahre, bei Bipolaren Störungen sind es neun bis 20 Jahre, bei wiederholten Depressionen sieben bis elf Jahre. Schwere Raucher verlieren im Vergleich dazu etwa acht bis zehn Jahre.

Die Gründe für diese Zahlen sind sehr komplex, erläutern die Studienautoren. Offensichtlich sind die gesundheitlichen Folgen von Substanzmissbrauch, wobei die Sucht selber häufig schon die Folge einer vorgelagerten psychischen Störung ist. Ganz allgemein neigen viele psychiatrische Patienten zu Hochrisiko-Verhalten und zu erhöhter Suizidalität.

Hinzu kommt, dass sich körperliche und seelische Erkrankungen gar nicht klar trennen lassen, warnt Fazel: "Viele Ursachen für psychische Störungen haben auch physische Folgen, und psychische Krankheit verschlechtert die Prognose vieler körperlicher Krankheiten, insbesondere bei Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs."

Die neue Metaanalyse, angeblich die erste ihrer Art, bestätigt frühere Ergebnisse, etwa der "Global Burden of Disease"-Studie der WHO. Diese hatte 2010 befunden, dass jährlich 8,6 Millionen Lebensjahre aufgrund von psychischen Störungen verloren gehen.

Die neuen Zahlen sind ernüchternd, wenn man bedenkt, dass epidemiologischen Erhebungen zufolge jedes Jahr mehr als ein Drittel der Menschen in Europa zumindest zeitweise an einer psychischen Störung leidet. Angststörungen und Depressionen sind Volkskrankheiten, die ähnlich viel Leid und gesellschaftliche Kosten verursachen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Verschärfend hinzu kommt, dass viele psychische Störungen bereits im jungen Erwachsenenalter beginnen und unbehandelt das ganze Leben belasten können.

Wolfgang Maier von der Universität Bonn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt daher die Studie: "Die Mortalität der psychischen Erkrankungen, auch jenseits der Suizidalität, wird immer noch unterschätzt." Umso weniger verständlich sei es, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung die psychischen Störungen bei der Gründung der neuen Zentren für Gesundheitsforschung bislang nicht berücksichtigt habe. Dabei wurden diese ausdrücklich etabliert, um die wichtigsten Volkserkrankungen zu bekämpfen.

© SZ vom 23.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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