Prostatakrebs:PSA-Test ist laut aktuellem Gutachten wertlos

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Das männliche Urogenitalsystem

(Foto: imago/Science Photo Library)
  • Ein aktuelles Gutachten des IQWIG stellt dem sogenannten PSA-Test auf Prostatakrebs ein sehr schlechtes Zeugnis aus.
  • Der Nutzen des Bluttests überwiegt demnach nicht im Vergleich zu den möglichen Schäden durch überflüssige Behandlungen, Operationen und Folgeuntersuchungen.
  • In jedem vierten Fall schlägt der Test sogar falschen Alarm und verängstigt die Patienten unnötig.

Von Werner Bartens

Wer sich für eine Untersuchung entscheidet, will etwas wissen. Ein veränderter Blutwert kann auf Krankheiten hinweisen, ein Röntgenbild bedrohliche Engstellen zeigen, ein endoskopischer Blick Leiden im Frühstadium aufdecken. Medizinische Testergebnisse beruhigen oder legen eine Veränderung des Lebensstils, vielleicht gar eine Therapie nahe. Ist nichts von alledem der Fall, taugt die Untersuchung hingegen wenig. Dieses Zeugnis gilt für den Test auf das prostataspezifische Antigen (PSA), zumindest wenn es um Männer geht, bei denen kein Verdacht auf Krebs der Vorsteherdrüse besteht. Oftmals verunsichert das Untersuchungsergebnis Männer nur und zieht konkrete körperliche Schäden nach sich.

Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Experten haben die Studienlage ausgewertet und schließen in ihrem 86-seitigen Vorbericht daraus, dass die gesetzliche Krankenversicherung kein Screening auf PSA anbieten und erstatten sollte. Einige Männer haben zwar Vorteile von der Untersuchung, insgesamt übertrifft der Schaden den Nutzen aber bei Weitem. Das IQWiG erstellt umfangreiche Gutachten zu Nutzen und Nachteilen medizinischer Tests und Therapien für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Dieses Gremium wiederum entscheidet, ob die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten übernimmt.

Jedes Jahr trifft etwa 57 000 Männer in Deutschland die Diagnose Prostatakrebs. Im Jahr 2017 sind 14 000 Männer an den Folgen des Karzinoms gestorben. Wenn ein Krebs wächst, kann ein Protein im Blut - das PSA - ansteigen. Befürworter des PSA-Screenings versprechen sich davon, den Krebs in einem frühen Stadium zu entdecken, sodass weniger Männer daran sterben. Zudem sollen Folgebeschwerden wie Schmerzen durch Metastasen in den Knochen vermindert werden.

Der PSA-Wert ist manchmal auch nach Radtouren erhöht

Der Eiweißstoff PSA gilt als Tumormarker. Er wird jedoch auch von Gesunden produziert und kann bei einer gutartigen Prostatavergrößerung ebenfalls erhöht sein. Die Messung des PSA ist unspezifisch, der Wert steigt manchmal auch nach Radtouren, Entzündungen oder Sex an. Auch aus diesem Grund wird die Untersuchung nicht von den Kassen erstattet. Viele Urologen bieten ihn dennoch als Selbstzahler-Leistung ("Igel") an.

In der aktuellen Auswertung hat sich zwar gezeigt, dass ein PSA-Screening einigen Männern nützt, indem es ihnen einen metastasierten Krebs erspart oder den Beginn verzögert. Durchschnittlich profitieren aber nur drei von 1000 Patienten innerhalb von zwölf Jahren davon. Die Gesamtsterblichkeit ändert sich durch den Test nicht, was wohl daran liegt, dass Männer, die durch ein PSA-Screening vor dem Krebstod bewahrt werden, meist älter sind und bald aus anderen Gründen sterben. Im Durchschnitt erkranken Männer mit 72 Jahren an dem Krebs, vor dem 50. Lebensjahr tritt das Karzinom kaum auf.

Mögliche Schäden durch das PSA-Screening sind vielfältig, zumeist handelt es sich um Folgen von Überdiagnose und Übertherapie. "Für die überdiagnostizierten Männer stellt allein die Diagnose einer potenziell tödlichen Erkrankung einen Schaden dar", so das IQWiG. Schließlich haben sie keinen Tumor - oder der Krebs wächst so langsam und ist so harmlos, dass er keiner Behandlung bedarf. Zudem müssen mehr Männer wegen Überdiagnosen und Übertherapie mit dauerhafter Inkontinenz und Impotenz rechnen. Sie werden unnötig bestrahlt oder operiert; dabei lassen sich Schäden an den nahe der Prostata verlaufenden Nerven nicht immer vermeiden. Hinzu kommen Belastungen durch die nicht notwendige Prostatabiopsie, die bei zwei Prozent der Männer Komplikationen mit sich bringt.

Gravierende Nebenwirkungen der Therapie sind oft nicht reversibel. Dauerhafte Inkontinenz infolge eines nicht erforderlichen PSA-Screenings trifft drei von 1000 Männern; 25 von 1000 bleiben dauerhaft impotent. Männer, bei denen der PSA-Test auf einen Tumor hinweist, obwohl keiner vorliegt ("falsch-positives Ergebnis"), haben vom Screening ebenfalls Nachteile. Sie erfahren ein besorgniserregendes Untersuchungsergebnis, das Gewebeproben nach sich zieht. Der Anteil der Screeningteilnehmer, bei denen der PSA-Test erhöhte Werte zeigt, aber kein Prostatakarzinom bestätigt wird, liegt zwischen 22 und 26 Prozent. Für einen medizinischen Test ist das eine miserable Quote. Ein Viertel der Männer wird also mit einer Krebsdiagnose verunsichert, die sich später als falsch herausstellt.

"Screeningmaßnahmen können erhebliche Schäden nach sich ziehen", sagt der Leiter des IQWiG, Jürgen Windeler. "Beim PSA-Screening kommt es zu einer beträchtlichen Zahl von Überdiagnosen, die an sich schon belastend sind, vor allem aber Übertherapien nach sich ziehen und zu schwerwiegenden und lang anhaltenden Komplikationen führen können. Männern ohne Verdacht auf Prostatakrebs sollte deshalb gegenwärtig kein organisiertes Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Test angeboten werden."

Das Screening ist auch in anderen Ländern äußerst umstritten

An den hochwertigen Studien, die in die Auswertung eingegangen sind, haben mehr als 400 000 Männer zwischen 55 und 70 Jahren teilgenommen. Die Kritik an der Untersuchung fußt also auf einer großen Datenbasis. Ein Einzelfall ist das IQWiG-Fazit auch nicht, im Gegenteil. Weltweit sprechen sich etliche Fachgesellschaften und Gesundheitsbehörden gegen ein bevölkerungsweites PSA-Screening aus.

Im urologischen Alltag zeigt sich diese kritische Haltung allerdings nicht. So werden in der Hälfte von 14 untersuchten deutschen Patienteninformationen Vor- und Nachteile des PSA-Screenings "nicht ausreichend neutral beschrieben", bemängelt das IQWiG. Zudem "scheint es allgemein an der Kompetenz und richtigen Einstellung zu mangeln, um das Konzept der gemeinsamen Entscheidungsfindung umsetzen zu können", also das individuell beste Vorgehen mit dem betroffenen Mann zu besprechen.

Dieses hart anmutende Urteil bestätigten Urologen in Deutschland kürzlich selbst. In einer umfangreichen Studie, die mit 23 Millionen Euro von Krankenkassen und Deutscher Krebshilfe unterstützt wurde, sollte an 7600 Männern die beste Therapie für die häufigste und harmloseste Form von Prostatakrebs ermittelt werden. Beim niedrig malignen Prostatakarzinom gibt es vier Optionen: operieren, von außen bestrahlen, mit implantierten Strahlenkörnern von innen bestrahlen oder aktiv überwachen - also regelmäßige Kontrolle ohne eingreifende Therapie.

2013 startete die Prefere-Studie, bis 2017 sollten jährlich 1500 Patienten dafür gewonnen werden. Die Studie scheiterte kläglich, bis Ende 2016 waren 343 Männer aufgenommen worden. Viele Urologen boykottierten die Studie oder waren voreingenommen, wie das Leiden zu therapieren sei. Das zeigt sich an der Behandlungsstatistik: In Deutschland werden 50 Prozent der Patienten mit niedrig malignem Prostata-Karzinom operiert, 40 Prozent bestrahlt - aber nur zehn Prozent aktiv überwacht. Verfechter der invasiven Therapie verhinderten eine ergebnisoffene Untersuchung. Das Beharrungsvermögen der Urologen war stärker. Auch am PSA-Screening halten viele Vertreter der Zunft trotz umfangreicher Kritik weiterhin fest.

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