Süddeutsche Zeitung

Programm gegen Pflegenotstand:Mehr Lohn, bessere Ausbildung - und notfalls Zwang

Gesundheitsminister Spahn will die neuen Pläne streng umsetzen. Ziehen Krankenhäuser nicht mit, sollen sie geschlossen werden.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) haben am Dienstag angekündigt, die Arbeitsbedingungen und die Ausbildung von Pflegerinnen und Pflegern verbessern zu wollen. Sie haben dafür fünf Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, in denen Vertreter von mehr als 40 Verbänden Ideen für eine bessere Ausbildung, höhere Löhne, Arbeitsschutz, Digitalisierung sowie für die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte sammeln sollen.

Arbeitsminister Heil sagte, dass 80 Prozent der Beschäftigten in der Pflege für weniger als den Tariflohn arbeiteten. Er sei deshalb zurzeit im Gespräch mit Arbeitgebern aus privaten, gemeinnützigen und kirchlichen Einrichtungen, um bessere Gehälter für alle Pfleger zu erwirken. "Wer gute Fachkräfte will, der muss auch gut bezahlen", sagte Heil. Ein Gesetz, das höhere Löhne erzwinge, plane er zunächst nicht.

Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD und Union eine Reihe von Reformen angekündigt, die die Situation in den Heimen und Kliniken entschärfen sollen. Neben der nun eingeläuteten "Ausbildungsoffensive" legten die Koalitionäre fest, dass in Krankenhäusern künftig Personaluntergrenzen in allen "bettenführenden Abteilungen" gelten sollen. Gesundheitsminister Spahn kündigte an, diese Pläne bald streng umzusetzen: "Krankenhäuser, die strukturell mit zu wenig Mitarbeitern in der Pflege arbeiten, müssen entweder erhöhen und gezwungen werden, oder sie müssen schlicht und ergreifend vom Markt", sagte er: "Ein solches Instrument werden wir zeitnah in die Gesetzgebung bringen."

Forscher sollen ermitteln, wie viele Pfleger nötig sind, um Bewohner gut zu versorgen

Für Pflegeheime ermittelten im Moment Forscher der Universität Bremen, wie viele Pfleger nötig sind, um Bewohner gut zu versorgen. Die Wissenschaftler sollen ein fundiertes Verfahren entwickeln, wie das erforderliche Personal in Pflegeeinrichtungen bemessen werden kann. Ob ihre Vorgaben dann später auch für alle Heime gelten sollen, ist noch unklar.

Wie schwierig die Lage in den Einrichtungen im Augenblick ist, zeigen jüngste Befragungen des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung in Köln. Mehr als 80 Prozent der Einrichtungen gaben demnach an, dass sie im vergangenen Jahr Pflegebedürftige ablehnen mussten. 70 Prozent der Häuser führen eine Warteliste. Ein Fünftel der Heime verhängte wegen des Personalmangels zeitweise einen absoluten Aufnahmestopp.

Wegen der angespannten Personalsituation schrauben Einrichtungen längst die Anforderungen an ihre Pflegekräfte herunter. Zwei Drittel der befragten Altenheime gaben an, im Jahr 2017 Bewerber eingestellt zu haben, die sie vor fünf Jahren noch abgelehnt hätten.

In vielen Ländern ist die Pflege längst ein akademischer Beruf

Dabei müsste die Ausbildung der Pfleger eher anspruchsvoller werden, analysiert die Bertelsmann Stiftung in einem neuen Bericht. Je mehr medizinische Verantwortung die Pfleger übernähmen, desto attraktiver werde der Beruf für sie. Studierten Kräften stünden später schließlich auch Leitungsaufgaben offen. Die Wissenschaftler mahnten an, dass Pflegeheime jungen Leuten mehr Karriereoptionen bieten müssten.

In vielen anderen Ländern ist die Pflege längst ein akademischer Beruf. Altenpfleger aus dem Ausland, die Gesundheitsminister Spahn nach Deutschland holen möchte, werden dort oftmals besser qualifiziert als hier. Manche ausländische Pfleger kehren deshalb schnell in ihre Heimat zurück, berichten Arbeitgeber - weil sie in deutschen Heimen unterfordert seien.

Bereits im Mai hatte Spahn ein Sofortprogramm auf den Weg gebracht, das mit 13 000 Stellen aus Mitteln der Krankenversicherung für eine Entschärfung des Pflegenotstands sorgen soll. Wie die nun geplanten Lohnsteigerungen und die Arbeitskräfte finanziert werden sollen, ließen die drei Minister offen. Man müsse noch überprüfen, wie teuer die Verbesserungen letztlich für die Pflegebedürftigen, die Versicherten und die Sozialämter würden, sagte Spahn.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2018/hach
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