Probleme mit Drogen-Schnelltests:Voll auf Mohnkuchen

Cannabis-Spuren im Baby-Urin? Schnelltests auf Drogen lösen oft Fehlalarm aus. Schon ein Mohnkuchen, Waschlotionen oder Antibiotika können Verdacht erregen. Junkies und Kiffer nutzen hingegen die Schwächen der Tests, um den eigenen Konsum zu verbergen.

Berit Uhlmann

Beim dritten seltsamen Laborbefund merkten die Ärzte der Neugeborenenstation auf. Dreimal hatte ein Schnelltest die gleiche Ungereimtheit gezeigt: Im Baby-Urin fanden sich Cannabis-Spuren, während eine ausführliche Untersuchung des Neugeborenenstuhls ergebnislos verlief. Die Ärzte vermuteten den Fehler bei der Auswertung der Harnprobe, doch keine der gängigen Fehlerquellen konnte die falschen Testresultate erklären.

Drogenschnelltest für Autofahrer

Ein Schnelltest der Polizei soll im Urin Spuren von Drogen nachweisen. Die Tests geben keine absolute Gewissheit über Drogenkonsum.

(Foto: DPA-SZ)

Labormediziner fanden schließlich die Lösung: Eine Waschlotion für Babys hatte den Urintest auf Cannabis ausschlagen lassen. Als die Wissenschaftler weitere Kinderkosmetika untersuchten, offenbarten vier andere Seifen das Potenzial, die Tests zu verfälschen. Gleich mehrere Inhaltsstoffe störten die Reaktionen, auf denen der Drogennachweis beruht. Schon 0,1 Milliliter Flüssigseife irritierten die Tests. Dass eine solche Menge nach dem Waschen am Babykörper zurückbleibt und mit dem Urin in die Probe gespült wird, sei nicht unrealistisch, schreiben die Wissenschaftler, die den Fall im Jahr 2012 im Fachblatt Clinical Biochemistry veröffentlicht haben.

Die Forscher waren überrascht, denn Seife war bislang in Laboren für ihre gegenteilige Wirkung bekannt: Einige Inhaltsstoffe können Urinproben fälschlicherweise als drogenfrei ausweisen. Süchtige nutzen das gelegentlich zur Manipulation. Die Testanleitungen sehen zum Aufspüren solcher Betrugsversuche eine Methode vor, die ein bisschen an Chemie-Experimente von Vorschülern erinnert: schütteln und schauen, ob der Urin Seifenblasen bildet.

Drogen werden vor allem in Urin, Neugeborenenstuhl, Speichel, Schweiß, Blut, Haaren und Nägeln nachgewiesen. Am häufigsten wird Urin verwendet, sagt Fritz Pragst, Toxikologe an der Berliner Charité. Urin kann verhältnismäßig einfach in ausreichenden Mengen gewonnen werden und ist im Vergleich zum Speichel aussagekräftiger. Mit Schnelltests, sogenannten Immunassays, kann die Probe rasch und kostengünstig untersucht werden. Der Drogennachweis erfolgt allerdings nur indirekt und ist alles andere als sicher.

Unbescholtene Bürger unter Verdacht

Wie schnell damit auch unbescholtene Bürger unter Verdacht geraten können, erfuhren vor Kurzem Dutzende Italiener. Anders als in Deutschland müssen sich in Italien Beschäftigte mit besonders verantwortungsvollen Tätigkeiten regelmäßig einem Drogenscreening unterziehen. Von 100.000 Urinproben wiesen die Schnelltests 267 als positiv aus.

Als die Angestellten die Ergebnisse anzweifelten, wurden die Proben mit einem Testverfahren untersucht, dessen Anwendung so kompliziert und teuer ist, wie sein Name klingt: Massenspektrometrie mit einem Gaschromatographen. Bei diesem Bestätigungstest entpuppte sich fast die Hälfte der positiven Ergebnisse als Fehlalarm. Besonders hoch war der Anteil der falsch-positiven Resultate bei den Tests auf Amphetamine, Cannabis und Opiate.

Was bedeutet das für den Normalbürger?

Falscher Verdacht kann aufkommen, wenn die Getesteten zuvor Medikamente eingenommen haben. Mehr als 30 verschiedene Arzneistoffe können Tests verfälschen, darunter weitverbreitete Mittel wie Hustensäfte, Antibiotika und das Schmerzmittel Ibuprofen. Auch ein üppiges Mahl kann falsch-positive Drogentests verursachen. Eine kräftige Mohnschnitte löst unter Umständen Opiat-Alarm aus. Die Fachliteratur kennt Fallberichte, wonach Menschen nach dem Genuss einiger Gläser chininhaltigen Tonic-Wassers zu Unrecht für Drogenkonsumenten gehalten wurden.

Dagegen scheinen Liebhaber von Hanftee auf der sicheren Seite zu sein. Cannabis-Spuren im Urin bleiben in der Regel unter den Grenzwerten, die für einen Drogenkonsum sprechen. Ähnliches gilt für das Cannabis-Passivrauchen. Selbst nach drei Stunden im niederländischen Coffee-Shop hatten Versuchspersonen keine kritischen Urinwerte erreicht.

Was bedeutet dies nun für den Normalbürger? Muss jeder, der bei Großmutters Mohnkuchen kräftig zulangt oder sein Kopfweh mit einer Tablette bekämpft, damit rechnen, in einer Drogenkontrolle für einen Junkie gehalten zu werden?

Am ehesten kommt der Durchschnittsdeutsche bei einer Verkehrskontrolle in die Verlegenheit, eine Urinprobe abgeben zu müssen. "Nahezu jedes Streifenfahrzeug hat auch Drogen-Schnelltests an Bord", sagt der Berliner Polizeihauptkommissar Stefan Drescher. 20.000 solcher Einmal-Tests bestellt die Polizei pro Jahr für das Stadtgebiet. Wer zur Urinabgabe in die nächstgelegene Toilette, im Notfall auch in den Straßengraben gebeten wird, liegt im Ermessen der Polizisten. "In der Regel werden die Fahrer getestet, die durch Fahrunsicherheit auffallen oder drogentypische Auffälligkeiten zeigen, etwa rote Bindehaut am Auge, weite Pupillen oder mangelnde Konzentration."

Ist der Schnelltest positiv, hat der Fahrer noch keine rechtlichen Folgen, wohl aber Unannehmlichkeiten zu befürchten. In vielen Fällen wird er aufs Polizeirevier gebracht, um eine Blutprobe abzuliefern. Anschließend darf er nach Hause - allerdings ohne Auto. Die Blutprobe wird derweil mit dem zuverlässigen Gaschromatografen untersucht. Erst wenn dessen Ergebnis positiv ist, drohen rechtliche Konsequenzen.

Laxer wird der Drogennachweis mitunter im klinischen Bereich gehandhabt. Drogentests dienen beispielsweise dazu, um einen Verdacht auf eine Vergiftung zu bestätigen oder Therapien von Drogensüchtigen zu überwachen. Nicht in allen Situationen ist genügend Zeit oder Geld vorhanden, um einen Schnelltest-Befund zu verifizieren. "Im schlimmsten Fall kann dies bedeuten, dass Patienten zu Unrecht aus der Drogenentzugstherapie ausgeschlossen werden oder wegen einer vermeintlichen nachgewiesenen Vergiftung eine falsche oder unnötige Behandlung bekommen", sagt Hans Maurer, Leiter der Abteilung für klinische Toxikologie an der Universität des Saarlandes.

Wie Süchtige die Tests austricksen

All dies ist nur die eine Seite des Problems: Während unbescholtene Bürger perplex vor einem positiven Drogenbefund stehen können, versuchen Drogensüchtige längst die Schwachstellen der Schnelltests auszunutzen. "Solange keine offenkundigen Anzeichen dagegen sprechen, wird ein negativer Test nicht mehr infrage gestellt", sagt Maurer.

Urin vom kleinen Bruder - oder aus dem Internet

Drogenkonsumenten versuchen zum einen von der Tatsache zu profitieren, dass ihnen bei der Urinabgabe eine gewisse Intimsphäre zugestanden wird. Am weitesten verbreitet ist dabei der Versuch, Fremdurin in den Probenbecher zu schmuggeln. Im Internet werden mehr oder weniger gut getarnte Behältnisse angeboten, die am Körper befestigt, die fremde Flüssigkeit unauffällig abgeben sollen. Mitgeliefert wird mitunter ein kleines Heizgerät, das die Probe auf eine realistische Temperatur bringt.

Der Fachliteratur kann man entnehmen, dass sauberer Harn heute nicht mehr nur vom kleinen Bruder, sondern zunehmend aus dem Internethandel stammt. Dort ist er gefriergetrocknet erhältlich; er muss in Wasser aufgelöst und erwärmt werden.

Andere Süchtige experimentieren mit harntreibenden Mitteln, die die Urinprobe verdünnen und die Drogenspuren unter die kritische Grenze drücken sollen. Diese Methode nutzt aus, dass die Nachweisgrenzen zum Teil recht hoch liegen, um falsch-positive Ergebnisse durch Medikamente oder Lebensmittel zu minimieren. Den Diuretika werden mitunter Vitamine zugesetzt, die dem stark verwässerten Urin seine ursprüngliche Farbe zurückgeben sollen. Letztlich lassen sich die Schnelltests auch durch eine Reihe von Chemikalien wie Seife oder Säuren manipulieren.

Experten zufolge schlagen viele dieser Versuche jedoch auf groteske Weise fehl: Urin-Behältnisse laufen vorzeitig aus oder im Becher landet leuchtend oranger, schäumender oder abnormal heißer Urin. Und selbst weniger dilettantischen Betrugsversuchen ist oft kein Erfolg beschieden: "Viele der Manipulationsversuche können aufgedeckt werden", sagt Maurer: "Es gibt genaue Testvorschriften dafür."

Ohnehin dürfte kompliziertes Mixen oder Köcheln von Urinproben unter deutschen Drogensüchtigen selten sein. Die Berliner Polizei zumindest hat keine Hinweise auf derart ausgefallene Praktiken. Dennoch treibt auch sie die Tatsache um, dass die Drogenszene weit erfindungsreicher ist als die Test-Branche: Für mehrere neue Drogen existiert bislang keinerlei Nachweismöglichkeit.

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