Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Chaos in der Seele

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Viele Kriegsveteranen, Opfer von Gewalt und Unfällen leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Dann sieht es in ihren Autos aus wie in den verletzten Seelen.

Von Christina Berndt

Nicht nur die Menschen rührten Matthew Casteel an, sondern auch ihre Autos. Sie zeigten dem 38-Jährigen die ganze Verwundung der Seelen. Der US-Fotograf jobbte vor ein paar Jahren beim Parkservice eines Krankenhauses für Kriegsveteranen. Tagtäglich blickte Casteel in die Innenräume völlig verwahrloster Wagen - und damit tief in die Seelen der Veteranen, wie er erzählt: "Vernachlässigung und Verfall waren allgegenwärtig in diesen Autos, aber auch bei den Leuten, die sie fuhren." So entstand die Fotoserie "American Interiors", die ein bewegender Spiegel der Haltlosigkeit ist, des inneren Chaos, der fehlenden Struktur im Leben der kriegstraumatisierten Veteranen.

Das Wageninnere wirkt oftmals, als hätte hier wahrlich "eine Bombe eingeschlagen". Drogen, Medikamente, Waffen nehmen großen Raum ein. Manch einer sucht sein Glück im Spiel, andere hoffen auf die Nation und die Bibel. "In diesen Bildern wird sehr deutlich, dass viele Veteranen nach ihrer Heimkehr nicht mehr ins Leben zurückgefunden haben", sagt Ingo Schäfer, Leiter der Arbeitsgruppe Trauma- und Stressforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Sie erproben die typischen Bewältigungsstrategien wie Drogen, Alkohol, Glücksspiel, in die sich viele Menschen flüchten. Die schaffen erst einmal Entlastung, aber auf lange Sicht sind sie leider nur destruktiv."

Soldaten kehren mitunter mit körperlichen Versehrungen oder gar tot aus dem Einsatz im Ausland zurück. Aber viel häufiger erleiden sie schwere Wunden an der Seele. Unter den US-Überlebenden des besonders entsetzlichen Vietnamkriegs soll es jeder Dritte gewesen sein. Aber auch nach den Einsätzen im Irak oder in Afghanistan, wo weniger Zweikämpfe stattfanden, der Krieg vielfach im Panzerwagen oder am Computer geführt wurde und die Zahl der Toten kleiner war, wurden laut einer Langzeitstudie 17 Prozent der Soldaten traumatisiert. Diese Daten des US-Psychologen George Bonanno gelten als besonders verlässlich, weil die Soldaten auch schon vor ihrem Abflug psychisch untersucht wurden.

Bei etwa sieben Prozent der Heimkehrer ist demnach das Leid so groß, dass eine anhaltende posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt. Die Soldaten leiden unter Angst, Albträumen und Panikattacken; regelmäßig werden sie von grässlichen Bildern eingeholt. Auch deutsche Soldaten kennen das Problem, ebenso Zivilisten, die etwa durch einen Unfall, eine Gewalttat oder Missbrauch traumatisiert werden können. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2011 entwickelten rund drei Prozent der Afghanistan-Heimkehrer der Bundeswehr eine PTBS.

Unbehandelt können die Folgen das ganze weitere Leben beeinträchtigen. Doch wenn die Betroffenen sich Hilfe suchen, sind die Heilungschancen gut: "Wir haben inzwischen sehr effektive Behandlungsmöglichkeiten", sagt Ingo Schäfer. Traumafokussierte Therapien hätten eine so hohe Wirksamkeit wie kaum eine andere psychiatrische Behandlung. Allerdings sei auch bei einer PTBS eine möglichst frühzeitige Therapie wichtig, sonst könne das Leiden chronisch werden.

"Wer sich nach potenziell traumatisierenden Erfahrungen belastet fühlt, sollte eine qualifizierte Beratung suchen", empfiehlt Schäfer daher. Es müsse nicht unbedingt direkt eine Therapie begonnen werden: "Die menschliche Seele verfügt über gute Selbstheilungskräfte. Aber es ist für Patienten wichtig, dass sie möglichst von Anfang an begleitet werden, damit direkt jemand da ist, wenn die Probleme größer werden."

Aus "Ich sterbe, ich gehe unter" kann ein "Ich habe überlebt" werden.

Wichtig ist es dann, das Trauma gezielt zu behandeln - zum Beispiel mittels "Eye Movement Desensitization and Reprocessing". Bei dieser Methode stellt sich der Patient dem traumatischen Erlebnis unter Begleitung seines Therapeuten noch einmal im Geiste. Während die Gedanken fließen, wird der Patient durch äußere Reize angeregt, seine Augen zu bewegen, er wird also aus der Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart geholt. "Das ermöglicht eine neue Einordnung", sagt die Psychiaterin Julia Schellong, Leiterin der Abteilung Trauma und Traumafolgestörungen am Universitätsklinikum Dresden. "Da geschieht ganz viel, da knüpfen sich viele Verbindungen neu." So können mit der Zeit negative Gedanken in positive verwandelt werden. Aus "Ich sterbe, ich gehe unter" kann ein "Ich habe überlebt" werden. Oder aus "Weil ich versagt habe, ist mein Kamerad gestorben" ein "Ich habe getan, was ich konnte. Heute würde ich anders reagieren". Der Patient kann Frieden mit sich und dem Erlebten schließen und die negativen Gedankenschleifen beenden.

Die Bundeswehr hat inzwischen ebenso wie die US Army ihre Verantwortung erkannt. Beide haben gemeinsam mit Fachleuten Programme und Apps entwickelt, um ihre Soldaten vor den psychischen Folgen des Krieges zu schützen. Es gebe zwei große Ziele, sagt Peter Zimmermann, der Leiter des Psychotraumazentrums der Bundeswehr: die Prävention einer PTBS nach dem Einsatz, aber auch die Erarbeitung von Schutzmaßnahmen schon vor dem Aufbruch ins Ausland. "Dazu gehört es, dem Thema psychische Erkrankungen überhaupt Aufmerksamkeit zu geben, damit sich die Soldaten dann auch Hilfe holen", so Zimmermann.

In diesem Punkt habe sich in der Bundeswehr sehr viel getan, sagt Julia Schellong, die eine App namens "PTBS Coach" für die Bundeswehr mitentwickelt hat. "Dass Soldaten gelernt haben, überhaupt über dieses Thema zu sprechen, und nicht meinen, sie müssten das irgendwie alleine durchstehen, ist wegweisend."

Inzwischen wird aber noch mehr getan: Gezielt soll im Rahmen des Projekts "Charly" auch die psychische Widerstandskraft der Bundeswehrsoldaten gestärkt werden, die Resilienz. So lernen die Soldaten, wie sie Stress besser bewältigen können - zum Beispiel mithilfe von Computerspielen. Die Idee: Stress schützt vor Stress, es gibt eine Art "Stress-Impfung", die ähnlich einer Impfung gegen Viren die Seele auf schwierige Situationen vorbereiten kann. Gerade zur Stärkung der Seele müsste die Bundeswehr den Soldaten aber noch mehr anbieten, sagt Peter Zimmermann. "Hier fehlt es noch an umfassenderen Programmen."

Dankbar sein für gut gelaufene Dinge, und lernen, sich selbst und anderen zu verzeihen

Die US Army hat dagegen schon vor mehr als zehn Jahren eine ausgedehnte Resilienz-Strategie begonnen. "Ich möchte eine Armee erschaffen, die psychisch ebenso fit ist, wie sie körperlich fit ist", sagte General George Casey bei der Einweihung des "Comprehensive Soldier Fitness"-Programms im Jahr 2009. "Und der Schlüssel zur seelischen Fitness ist Resilienz." Deshalb werde von nun an Resilienz in der Army trainiert.

Hinter alldem steht der US-Psychologe Martin Seligman, der mit seinen Maßnahmen zur "Positiven Psychologie" berühmt geworden ist. Zu den zentralen Aufgaben, die nun auch Soldaten üben, gehört: das Positive in der Welt sehen; dankbar sein für Dinge, die gut gelaufen sind; und lernen, sich selbst und anderen zu verzeihen. Teil des Programms ist es auch, die Ausbilder in der Armee zu schulen. Statt die Soldaten in Grund und Boden zu schreien, sollen sie ihnen eine positive Weltsicht vermitteln. Sie sollen ihnen erzählen, dass alle Menschen verletzbar sind und Angst und Trauer gesunde Reaktionen. Auch ermuntern sie die Soldaten, offen über ihre Schwierigkeiten zu sprechen. Es gibt immer schlechte Tage, lautet die Devise. Aber man kann mit ihnen auf möglichst gute Weise umgehen.

Inzwischen wurde das Programm wissenschaftlich evaluiert. Die Soldaten mit dem Resilienztraining sind demnach emotional belastbarer, verfügen über aktive Bewältigungsstrategien und sind insgesamt optimistischer eingestellt als jene ohne. Und schließlich entwickelten die seelisch gestärkten Soldaten nach einem Auslandseinsatz seltener eine PTBS, Angststörung oder Depression. "Auch die Rate von Drogenmissbrauch halbierte sich", schrieb Martin Seligman im vergangenen Jahr im Annual Review of Clinical Psychology.

Zum Erstaunen der Generäle gefiel den Soldaten das Programm sogar. Während die Oberen in der Armee schon gefürchtet hatten, ihre "hartgesottenen Soldaten" würden das Resilienztraining für "Mädchenkram", "Gefühlsduselei" oder "Psychoquatsch" halten, bewerteten diese den Kurs mit durchschnittlich 4,9 von 5,0 Punkten. Etwa jeder Zweite sagte, das sei das Beste gewesen, was er jemals in der Armee gelernt habe. Er könne jetzt auch Probleme im Privatleben besser bewältigen.

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